Unter einem fast zwei Jahre alten Diary-Eintrag mit dem Titel „Mich selbst erkennen“ fand ich gestern einen Kommentar von „Oskopia“ – mit der Frage, ob ich da „noch dran sei“.
Gute Frage! Eine, die nicht so einfach mit JA oder NEIN zu beantworten ist. Ja, einerseits bin ich da „immer dran“, denn es ist mir zur zweiten Natur geworden, quasi mitlaufend drauf zu schauen, was „ich“ fühle, empfinde, wahrnehme und darüber denke. Und nein, ich bin nicht mehr auf der Suche nach irgend etwas GANZ ANDEREM, was mein Da-Sein und So-Sein mittels neuer Mega-Einsichten (etwa ins „Selbst“) übersteigen könnte. Die Dinge sind ja, wie sie sind, ganz unabhängig davon, was ich in so manche Phänomene hinein interpretiere, seien sie nun „innen“ oder „außen“ oder gar nicht einzuordnen. Der Satz klingt banal, doch bildet die Aussage den Boden meiner Gelassenheit im Blick auf jegliche Form spiritueller Suche: nach Gott bzw. dem „Göttlichen“, nach dem Selbst, nach Erleuchtung oder was auch immer.
Ich hab‘ ein wenig in den Seiten von „Oskopia“ gestöbert, um den Schreibimpuls, den sie mir vermittelt hat, zu vertiefen. Und fand dort einen Bericht, der davon handelt, wie ein bislang intensiv nach dem „Überpersönlichen“ suchender Mensch eines Morgens erwachte und das ganze „spirituelle Gedöhns“ (=meine Worte) auf einmal als leeres Suchen erkannte. Quasi ein Anfall von spontanem Materialismus, der sie auch gleich bewegte, ihren „Abschied von der Spiritualität“ mittels einer Reihe logischer Überlegungen in Worte zu fassen und in einschlägigen Foren bekannt zu machen. Durch die Antworten, die sie darauf bekam, wurde ihr bewusst, was ihr eigentliches Problem war: nicht etwa eine unbefriedigend verlaufende Gott- und Selbstsuche, sondern die schlichte Tatsache, dass sie nicht tut, was sie will. Dass sie nicht so lebt, wie sie es gerne möchte, sondern dazu neigt, in unstrukturiertem Chaos zu versacken:
„Ich hab schlicht und einfach kein psychologisches Problem mit meiner Vergangenheit (von wegen ungeliebt oder unterdrückt oder mißbraucht, oder was man sich sonst noch so ausmalen könnte) und ich hab kein spirituelles Problem. Ich hab kein Problem mit meiner Umwelt, keines mit meinem Gott (ganz gleich, was das ist), keines mit meinem Schicksal. Ich hab einzig und alleine ein Problem mit mir. Und dieses Problem versuchte ich mit Lösungen aus meiner spirituellen oder Eso-Weltsicht zu beheben.“
Das erinnert mich an die Zeit Ende dreißig, als ich ein massives Alkoholproblem hatte und versuchte, mittels verschiedenster „kleiner Fluchten“ davon loszukommen: mal in eine psychotherapeutische Selbstfindungsgruppe, mal in ein spirituelles Zentrum, um dort zu meditieren, zu massieren, zu tanzen und zu malen. Immer in der Hoffnung, forcierte Selbstbesinnung und das Bemühen ums ganz Andere, um das Höhere und Heilige werde mich aus meiner leidvollen Verstrickung befreien.
Doch weit gefehlt! Das alles hat den Weg nur verlängert, den ich doch einfach nur weiter gehen musste. Nämlich weiter trinken, solange es mich danach verlangte, bis hin zum Tiefpunkt, an dem ich endlich in der Lage war, einzusehen, was offenkundig war: dass ich am Ende war mit meinem Latein, trotz des spritzigen Verstands mit seinen immer neuen Rettungsideen. Sie alle hatten sich wieder und wieder als lächerlich erwiesen – und plötzlich war da nur noch Stille. Der Verstand war schlicht verzweifelt und hielt nun die Klappe, weil ihm nichts mehr einfiel. Ein FURCHTBARES Erlebnis! Ich dachte, ich sterbe.
Es war dann das Gegenteil eines Kraftakts, was mich vom Alkohol befreite: kein mich zusammen reißen, sondern das ausweglose Erleben, Zulassen und Einsehen des eigenen Scheiterns, der eigenen Machtlosigkeit. Plötzlich konnte ich einfach tun, was Andere mir rieten: das erste Glas stehen lassen. (Und tschüss Alkohol-Phase!)
Angeleitet durch viele Bücher und diverse spirituelle und psychologische Lehrer hatte ich auch in den Jahrzehnten zuvor schon phasenweise versucht, „mich selbst zu beobachten“. Nun aber fiel es mir wie Schuppen von den Augen, dass ich trotz all der engagierten Belehrungen und sogar stellenweise ernsthafter eigener Bemühungen nie den Schimmer einer Chance gehabt hatte, der Wirklichkeit ansichtig zu werden. Wer nämlich dauernd die Bewertungsbrille auf hat und die eigenen Schattenseiten entweder nicht sieht oder uminterpretiert und schön redet, kann noch so lange „beobachten“ und wird dennoch nichts erkennen.
Das ist nun fast zwanzig Jahre her, doch noch immer kann ich über Selbsterkenntnis nicht sinnvoll sprechen, ohne diese Geschichte zu erzählen. Was spirituelles Suchen und Streben angeht, hat es mich auf nicht rücknehmbare Art verändert: ich fühle mich seitdem in einer Weise „bei mir“, von der ich zuvor nicht mal träumen konnte. Wie viel ich nun noch beobachte und erkenne, hat etwa den Stellenwert eines interessanten Hobbys – und jetzt wird es gerade Frühling, da ist mir das „Garten-Hobby“ deutlich näher!
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15 Kommentare zu „Selbsterkenntnis – bin ich da noch dran?“.