Claudia am 23. April 2002 —

Nachhaltiger Verzicht – wenn Verbraucher streiken

Wenn ich so durch die Berliner Straßen und Parks laufe, bemerke ich normalerweise jedes Blümelein, das den Asphaltdschungel mit seiner Anwesenheit beehrt und freue mich darüber. Eines ist mir auf meinen Wegen durch reale und virtuelle Welten allerdings lange nicht begegnet: das „zarte Pflänzchen des Aufschwungs“, von dem die Politiker so gerne reden. Es muss sehr versteckt vorkommen, vielleicht kennen nur Eingeweihte seine Standorte, Deutschland jedenfalls scheint im Moment nicht dazu zu gehören.

Der Handel vermeldet bis zu 20% Umsatzminus im ersten Quartal, die Entlassungen und Insolvenzen gehen munter weiter, der SPIEGEL fasst zusammen: Die Leute kaufen nur noch das Nötigste und auch beim Nötigsten sparen sie, wo sie können. ALDI, LIDL & Co verzeichnen zweistellige Zuwachsraten.

Auch bei mir ist schon einige Zeit ins Land gegangen, seit ich mir mal etwas kaufte, das nicht unbedingt sein muss. Mein Luxus ist das Fitness-Center und gelegentlich die Sauna. Mir fehlt nichts, ich habe alles, was ich brauche, sogar ein Handy, das ich eigentlich nicht haben wollte, aber schließlich geschenkt bekam. Wie soll so eine Wirtschaft florieren, die auf WACHSTUM angewiesen ist? Sogar mein PC, den ich bisher alle 2,5 Jahre durch einen neuen ersetzte, tut es noch wunderbar. Noch immer erfüllt er meine Bedürfnisse: kein Wunsch nach „mehr Speicher“ oder mehr Geschwindigkeit kommt auf, alles funktioniert blendend – und wer denkt denn noch im Traum daran, einfach mal ein neues „Winword“ zu kaufen? Ein komischer Gedanke aus alten Zeiten, als man noch bei jeder Version glaubte, mit der neuen MEHR machen zu können, im Ergebnis aber auch ein Betriebssystemupdate und einen frischen Computer brauchte. Um dann – im besten Fall – genau das tun zu können, was vorher schon funktionierte! Ha, da haben wir dazu gelernt, zum Elend der Softwareschmieden.

Nun warten alle auf UMTS, auf dass der Austausch sämtlicher Handys und neue Dienste den widerborstigen „Verbraucher“ aus dem Dornröschenschlaf holen möge, die Kids hoffentlich einen Boom anstoßen wie mit SMS – bangen, hoffen, zittern – ob die Hoffnungen berechtigt sind? Eine neue Euphorie, ein Hype wird gebraucht, der nicht nur einer Branche ein kurzes Hoch beschert, sondern viele mitzieht. Ich bin skeptisch, ob UMTS das zaubern kann.

…und sie können es doch!

Die Verbraucher tun derzeit unaufgefordert etwas, was sie nach Einschätzungen der Umwelt-Marketing-Leute überhaupt nicht mögen, wovon sie nicht einmal hören wollen: Sie üben Verzicht. Wer hätte das gedacht!

„Verzicht“ ist lange schon das Unwort der Öko-Branche und der engagierten Umweltschützer. Energieeffizienz, Ressourcenschonung, sinnvolle Wiederverwertung, Qualität und Genuß, technische Innovation, nachhaltiges Wirtschaften – viele neue Begriffe sind in diesem Kontext entstanden, alte bekamen eine neue Bedeutung. „Verzicht“ aber darf man nicht in den Mund nehmen, wenn man vom Volk ernst genommen werden will. Das ist das Credo, das man als Umwelt-Aktivist schnell zu lernen hat, will man nicht als sektiererischer Radikaler im Nichts enden.

Mitte der 90ger konnte ich das hautnah miterleben, als ich zwei Jahre in Sachen Klimaschutz zugange war. Mit arbeitslosen Akademikern im Rahmen von ABM Energiesparkampagnen entwickeln und durchführen – das war die anspruchsvolle Idee, die damals auch umgesetzt werden konnte, weil sich noch genug Geld in den „öffentlichen Händen“ befand. Meine Begeisterung war groß, schnell wurde ich Projektleiterin, kam raus aus ABM, rein in einen tollen BAT 2A-Job – alles wunderbar, und sogar eine Arbeit mit Sinn!

Doch schnell landete ich auf dem Boden der Realität. Da unsere Kampagnen auf Verhaltensänderungen zielten, wurden wir in der „Energie-Szene“ kaum ernst genommen. Dort hatten die Leute das Sagen, die auf „technisches Verunmöglichen von Fehlverhalten“ setzten. Niemand will darauf achten, beim Verlassen des Raumes die Fenster zu schließen, also braucht es Fenster, die sich AUTOMATISCH öffnen und schließen, besser noch eine zentral gesteuerte Klimaanlage, energiesparend, hocheffizient! Schon gar nicht mag der Büromensch Verantwortung für die Beleuchtung und das Regeln der Heizung übernehmen – lasst uns das alles automatisieren! Der Mensch ist unfähig und unwillig, sein Verhalten zu ändern, er braucht ANREIZE und neue Geräte, das spart berechenbar Energie, angeblich auch Geld, belebt nebenbei den Markt und alle sind glücklich.

Das Schlimme: Sie hatten im Grunde recht! Unsere RauspfeilKampagnen motivierten tatsächlich ganze Hausgemeinschaften zu Verhaltensänderungen, jede Menge Energie wurde gespart – aber nur so lange wir da waren und als eine Art „Umwelt-Animateure“ die Motivation aufrecht erhielten. Danach sank das Verhalten zurück in die übliche Ignoranz. Ich begann, einen neuen Menschenhass zu entwickeln, den berufsmäßigen Zynismus der Aktivisten: Verantwortungslose Idioten überall, die nichts anderes kennen, als ihre Fettlebe zu genießen, koste es, was es wolle. Ekelhaft!

Alles Lüge

Wenn so ein Gefühl das Herz vereinnahmt, macht keine Arbeit mehr Spaß. Viele arrangieren sich, machen einfach so weiter und beziehen die eigene Motivation zunehmend aus den persönlichen Benefits, die solche Jobs erlauben. Vielleicht hätte ich das auch gekonnt, wenn wenigstens die Lehre von der technischen Innovation, vom Klimaschutz durch Energieeffizienz, gestimmt hätte. Leider ist sie falsch, eine geschickte Lüge, an der viele zum Zweck der Selbsttäuschung festhalten.

Wenn ich mir nämlich ein neues Gerät zulege, sagen wir mal einen energieeffizienter produzierten PC, dann verbraucht die Herstellung dieses PC trotzdem ein Vielfaches der Energie, die er – verglichen mit dem Weiterlaufen des alten – in seinem ganzen „Leben“ einsparen kann. Und so ist es mit den meisten Dingen: energiesparend und umweltschützend ist das „Nutzen bis es nicht mehr geht“, nicht das ständige Erneuern auf die letzte – meinetwegen hoch energieeffiziente – Version. Und noch jeder Fortschritt in Sachen Energieverbrauch und Schadstoff-Ausstoß bei Autos wurde „aufgezehrt“ durch die VERMEHRUNG des Autoverkehrs, mehr Zweitwagen, mehr Individual-Mobilität, mehr Brummis auf den Straßen.

Jeder wusste das. In kleinen nicht-offiziellen Gruppen kam das auch durchaus zur Sprache: Allein der VERZICHT (auf Waren, Bequemlichkeit und Mobilität) bringt’s. Alles andere ist nicht wirklich problemlösend, höchstens vermindert es ein klein wenig die Geschwindigkeit der Verschlimmerungen. Und Verzicht – Pech für die Natur und unser aller zukünftiges Überleben – ist dem Menschen nun mal nicht beizubringen!

Was ICH kann, können alle – und dann?

In dieser „Meinungslage“ besann ich mich auf mich selbst: Was ICH zustande bringe, können auch andere leisten, egal was „man“ über „die Menschen“ denkt. Ich drückte meine Stromrechnung um 40 Prozent, schaltete die Geräte immer brav aus, kaufte eine Plastikschüssel als Spülschüssel, um nicht immer das Waschbecken mit unnötig viel heißem Wasser vollaufen zu lassen. Ja, ich war ein guter Energiesparer, hoch effizient, solange ich mich mit diesem Job und seinen Themen & Problemen befasste…

Aber auch der aus dem eigenen Verhalten geschöpfte Glaube rettete nicht. Denn bald schon fragte ich mich und meine Mitarbeiter: Wie soll denn unsere Wirtschaft funktionieren, wenn alle so handelten, wie wir es empfehlen müssen, wenn wir die Wahrheit sagen? Verzicht üben, nichts Überflüssiges kaufen, nicht „just for fun“ verreisen und herumfahren? Wenn alle, die auf schöne, hochwertige Dinge stehen, sich einfach mal quer durch den Katalog bei Manufactum eindecken und dann ist Schluß? Diese Sachen sind verdammt „nachhaltig“ – und dann? Was geschieht, wenn die Menschen auf die Mode pfeifen und nicht mehr, nur weil ein Jahr vergangen ist, von spitzen Schuhen auf „quer abgehackt“ umsteigen?

Im BTX führte ich eine private Umfrage unter anonymen Chattern durch: Wieviel Geld könntest du sparen, wenn du nur das Notwendigste kaufen würdest? Die Antworten schwankten zwischen 10 und 90 Prozent, im Mittel waren es 50! Wow, die Hälfte des Konsums ist also reiner Luxus, potenzieller Schonraum für Klima, Natur und Umwelt. Aber: was wird dann aus uns?

Der Präsident der Europäischen Zentralbank schrieb mal in der ZEIT: „Die Deutschen sind Menschen, die das Licht ausschalten, wenn sie einen Raum verlassen. Sie drehen die Dusche ab und seifen sich ein, ohne dass heißes Wasser ins Leere läuft. Das macht sie symphatisch, aber all das bedeutet immer auch ein kleines Stück weniger Wachstum.“

Tja, so sieht’s aus. Meine Rede, mein Denken, mein engagiertestes Wünschen endet im Absurden. DIE GRÜNEN bekamen gestern in Sachsen-Anhalt gerade mal zwei Prozent der Stimmen. Im wirtschaftlichen Ödland mit der höchsten Arbeitslosigkeit denkt niemand über grüne Themen nach. Was aber geschieht, wenn Verzicht tatsächlich um sich greift, sei es auch aus anderen Gründen, das erleben wir gerade. Und kein Vordenker der „Nachhaltigkeit“ meldet sich zu Wort, stellt diese Bezüge her und sagt dazu was Intelligentes!

Was kein Grund zum Lästern ist, mir fällt ja auch nichts ein.

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