Es war ein sonniger, warmer Tag. Meine Mutter hatte mich bäuchlings auf eine Wolldecke gelegt, denn ich konnte noch nicht sitzen oder gar stehen. Ich bewegte den Kopf und damit änderte sich zu meiner Freude auch der Ausschnitt der Welt, den ich erblickte: ein Stück Steinmäuerchen, das die Nische mit Parkbank umgrenzte. Die Schatten nahe stehender Büsche tanzten auf den Steinen, alle Farben – z.B. die roten und blauen Karos auf meiner Decke – leuchteten intensiv. Ich spürte die Wärme der Sonne wie ein Streicheln, doch all das war es nicht, was mir den ersten Euphorie-Schub meines kurzen Lebens verschaffte. Ich hatte keine Worte für das, was ich erblickte, doch bemerkte ich auf jener Parkbank zum ersten Mal: ICH BIN!
Mit heftigem Herzklopfen und Schüben freudiger Erregung bewegte ich Kopf und Oberkörper weiter: JA! Da war nicht nur Mauerstein, Sonnenlicht, Wolldecke, wie bisher – da war ICH, die all das wahrnahm! Und je nachdem, wie ich mich aus eigener Macht ein wenig drehte, konnte ich den Ausschnitt meiner Wahrnehmung bestimmen – wow!
Da ich schon keine Worte für das Gesehene hatte, war ich natürlich auch weit entfernt davon, dieses Erleben in Worte, in konkrete Gedanken zu fassen. Doch durchzitterte die Euphorie meinen ganzen Körper, den ich jetzt deutlich als getrennt von „allem“ wahrnahm – und genau DAS war unsäglich wunderbar und beglückend!
Der allererste Moment eines individuellen Bewusstseins, das sich als „jemand“ erkennt, hielt nicht lange an. „Ich“ versank wieder im üblichen Wahrnehmen äußerer und innerer Reize, ohne die neue Erkenntnis vom „ich bin hier! Es gibt MICH!“ halten zu können.
Ganz vergessen hab‘ ich es nie, sondern mich immer mal wieder erinnert, wie beglückend es war, das Wunder des Da-Seins zum ersten Mal zu erkennen. Alles, was danach kam, könnte man als Geschichte von den steigenden Ansprüchen beschreiben. Bloßes „da sein“ hat schon bald nicht mehr gereicht, es musste auch GUT sein, und bequem, und sicher, und und und…
Manchmal gehe ich erinnernd zurück in diesen Moment. Alle später dazu gekommenen Wahrheiten vom guten Leben sind im Grunde Verdunkelungen des eigentlichen Wunders: Dass ich hier mit mir selbst in meinem Zimmer sitze und in die Tasten haue!
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7 Kommentare zu „Erste Erinnerung“.