Claudia am 14. März 2009 —

Erste Erinnerung

Es war ein sonniger, warmer Tag. Meine Mutter hatte mich bäuchlings auf eine Wolldecke gelegt, denn ich konnte noch nicht sitzen oder gar stehen. Ich bewegte den Kopf und damit änderte sich zu meiner Freude auch der Ausschnitt der Welt, den ich erblickte: ein Stück Steinmäuerchen, das die Nische mit Parkbank umgrenzte. Die Schatten nahe stehender Büsche tanzten auf den Steinen, alle Farben – z.B. die roten und blauen Karos auf meiner Decke – leuchteten intensiv. Ich spürte die Wärme der Sonne wie ein Streicheln, doch all das war es nicht, was mir den ersten Euphorie-Schub meines kurzen Lebens verschaffte. Ich hatte keine Worte für das, was ich erblickte, doch bemerkte ich auf jener Parkbank zum ersten Mal: ICH BIN!

Mit heftigem Herzklopfen und Schüben freudiger Erregung bewegte ich Kopf und Oberkörper weiter: JA! Da war nicht nur Mauerstein, Sonnenlicht, Wolldecke, wie bisher – da war ICH, die all das wahrnahm! Und je nachdem, wie ich mich aus eigener Macht ein wenig drehte, konnte ich den Ausschnitt meiner Wahrnehmung bestimmen – wow!

Da ich schon keine Worte für das Gesehene hatte, war ich natürlich auch weit entfernt davon, dieses Erleben in Worte, in konkrete Gedanken zu fassen. Doch durchzitterte die Euphorie meinen ganzen Körper, den ich jetzt deutlich als getrennt von „allem“ wahrnahm – und genau DAS war unsäglich wunderbar und beglückend!

Der allererste Moment eines individuellen Bewusstseins, das sich als „jemand“ erkennt, hielt nicht lange an. „Ich“ versank wieder im üblichen Wahrnehmen äußerer und innerer Reize, ohne die neue Erkenntnis vom „ich bin hier! Es gibt MICH!“ halten zu können.

Ganz vergessen hab‘ ich es nie, sondern mich immer mal wieder erinnert, wie beglückend es war, das Wunder des Da-Seins zum ersten Mal zu erkennen. Alles, was danach kam, könnte man als Geschichte von den steigenden Ansprüchen beschreiben. Bloßes „da sein“ hat schon bald nicht mehr gereicht, es musste auch GUT sein, und bequem, und sicher, und und und…

Manchmal gehe ich erinnernd zurück in diesen Moment. Alle später dazu gekommenen Wahrheiten vom guten Leben sind im Grunde Verdunkelungen des eigentlichen Wunders: Dass ich hier mit mir selbst in meinem Zimmer sitze und in die Tasten haue!

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Diskussion

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7 Kommentare zu „Erste Erinnerung“.

  1. Ich find das grad äusserst spannend, kenne ich doch solche Erinnerungen garnicht. Alles sehr diffus da.
    Wann bzw. wie sind diese Erinnerungen bei Dir an die Oberfläche gekommen? Waren sie einfach plötzich „da“ oder musstest Du danach buddeln?

    Ich würde mich freuen, wenn Du ein wenig mehr Einblick gewähren magst.

    Gruss,
    Markus

  2. Ich weiß darüber nicht mehr als das, was ich schon schrieb! Damals gab es ja noch keinen „inneren Monolog“, also kann da logischerweise nicht MEHR erinnert werden. Und da die Erinnerung von den „äußeren“ Ereignissen her völlig unspektakulär ist, kam mir die auch nicht in Zusammenhang mit etwas Anderem, schon gar nicht mittels „buddeln“. Sie war einfach da (schon in der Kindheit), vermutlich zuerst wieder ausgelöst durch ANDERE euphorische Empfindungen, die mich ans „erste Mal“ erinnerten: es ist insgesamt eine recht genaue GEFÜHLSERINNERUNG, versehen mit einigen Wahrnehmungen der Umwelt (den Park besuchte ich auch Jahre später noch). Die Worte und erst recht das Verstehen kamen später.

  3. OK. Bei mir kommt das Verstehen auch gerade, halt etwas später. Danke für die Aufklärung.

  4. So etwas finde ich sehr interessant und erinnert mich an mein erstes bewusstes Erlebnis: In der Nacht wurde ich, in eine kratzige Wolldecke gedreht (den Geruch erinnere ich noch heute) auf die Rückbank eines Autos gelegt. Während der Fahrt sausten die Bäume vorbei und ich sah die Sterne am Himmel. Ein unbeschreibliches Gefühl – eine so tiefe Erfahrung, für die mir heute noch die Worte fehlen. Wie alt ich zu dem Zeitpunkt war, kann ich nicht sagen; es war allerdings, ehe ich Laufen lernte.
    Es ist etwas Besonderes. Schön, Claudia, dass Dein Beitrag mich daran erinnert hat. :-) Lieben Gruß!

  5. Mei, aus so früher Zeit hast Du Erinnerungen?
    Ich war vielleicht knappe zwei Jahre alt, als ich über den Staubsauger stolperte. Damals erwachte mein Bewusstsein.

    Gruß
    Ralf

  6. Zu dem Thema des erwachenden Ich-Bewußtseins lese ich grade eine für mich sehr ertragreiche Lektüre: Ich und Du von Martin Buber, ein kleines Reclam-Bändchen für 4,00 Euro. Das Werk wurde bereits 1923 veröffentlicht, die Sprache ist so kompakt, daß ich immer nur kleine Portionen lesen kann, und auch die immer ein paar mal wiederholt lesen muß, um das Gemeinte zu erfassen. Wenn es dann bei mir Klick macht, geht mir ein Licht nach dem anderen auf!
     

  7. ich kenne solche erinnerungen auch nicht. ich weiss gar nicht, wann ich bewusst ich geworden bin. ich weiss es nicht mal heute. heute bin ich nur im hamsterrad. naja mal schauen, wie es weitergeht. ob ich dem hamsterrad entkommen kann.