Fernsehen ist meistens deprimierend. Wenn ich mal zu träge bin, gleich nach dem Tatort-Krimi abzuschalten oder es gar am frühen Abend wage, durch die Kanäle zu zappen, verdirbt mir die beiläufige Menschenverachtung der Programm-Macher punktgenau die Laune. Nichts gegen Spaß und Unterhaltung, ich lache gern, wenn es was zu lachen gibt. Dass aber fast alles wegzensiert wird, was auch nur von Ferne zum Nachdenken und Mitdenken anregt, weil es für den Zuschauer vorgeblich zu mühsam wäre, macht das Medium zum schier unerträglichen Nullmedium. Das mächtigste Kommunikationsmittel des 20sten Jahrhunderts ist zum einflussreichen Kasperltheater geworden, multipliziert primitivste Gefühle, verkleistert das Hirn mit katastrophischen Info-Bits und scheut komplexe Sachverhalte wie der Teufel das Weihwasser. Ich sollte es einfach ignorieren, sag ich mir immer wieder, aber mich nervt die Spiegelfunktion der ganzen Veranstaltung: Weil IHR, die Zuschauer, nun mal solche Idioten seid, die kein anderes Programm sehen mögen, MÜSSEN wir all diesen Fun&Crime-Schrott fabrizieren, selber schuld!
Müssen sie? Gestern mussten sie mal nicht und ich war schwer begeistert. Erst gab’s den Stoiber, ALLEIN im Gespräch mit Frau Christiansen. Also nicht wie sonst eine Talkrunde, die sich in Kindergartenmanier gegenseitig überschreit und uns vorführt, dass die Spitzen unserer Gesellschaft nur Worthülsenautomaten sind, einander das Immergleiche bereitwillig um die Ohren hauend, auf dass der Unverschämtere gewinne. Nein, der Kandidat wurde einzeln vernommen und Stoiber nutzte die Gelegenheit weidlich, inhaltlich zu werden und den „Kanzlerdarsteller“ Schröder das Fürchten zu lehren.
Ich mochte Stoiber noch nie, aber wie er in diesem Gespräch die üblichen staatsmännisch-gelassen- Null-Floskeln des amtierenden Kanzlers hat blass aussehen lassen, das war schon beeindruckend! Man kann sich nur freuen auf den Wahlkampf, der – wenn es so weiter geht -etwas bieten wird, was wir schon gar nicht mehr kennen: Argumente, Fakten, echte Auseinandersetzungen über Ziele und Methoden anstatt bloßer Werbesprüche a la „Auf den Kanzler kommt es an“. Stoiber startet mit einer Intelligenz-Offensive, gesteht dem Zuschauer Denkfähigkeit und Informiertheit zu, erschöpft sich keinesfalls in bloßen Schuldzuweisungen oder platten Verteidigungsreden, sondern nimmt inhaltlich Stellung zu den heißen Themen.
Köstlich, wie er Schröder und die SPD links überholt! Ich vermute, er bereitet den Genossen schon jetzt schlaflose Nächte, zum Beispiel mit dem (berechtigten) Vorwurf, die schröder’sche Steuerreform habe allein die Interessen der Großkonzerne bedient, wogegen es kleine und mittlere Unternehmen unter der Last der Steuern und der Bürokratie immer schwerer haben. Das Argument ist natürlich nicht neu, nur hatte es bisher keine Durchschlagskraft, weil es niemanden gab, dem man zugetraut hätte, das zu verändern. Etwas anderes tun als den Großkonzernen dienen – geht das überhaupt noch, wenn nicht mal Rot-Grün es ernsthaft versucht? Stoiber schafft es zumindest, den Gedanken wieder aufkommen zu lassen. Nebenbei hat er es locker fertig gebracht, den Vorwurf des allzu Pro-Bayrischen verblassen zu lassen oder ihn einfach (z.B. wg. Zuwanderungsdebatte) rechts-außen abzustellen, einer echten Auseinandersetzung unwürdig. Auf die Reaktionen bin ich gespannt.
Keine Panik! – ein Quartett über die Angst
Trickreich auf Christiansen-Publikum spekulierend, schloss sich im ZDF die Erstsendung des philosophischen Quartetts direkt an: Sloterdijk und Safranski mit Reinhold Messner und Pfarrer Schorlemmer als Gästen. Entgegen meinen Befürchtungen erwies sich Sloterdijk als durchaus moderationstauglich – was aber kaum gefordert war, denn die vier hatten keine Probleme damit, wirklich miteinander und nicht gegeneinander zu sprechen. Die Diskussion verlief im besten Sinne geistreich: noch MEHR an intellektuell-akademischem Niveau hätte in die Unverständlichkeit (und damit Irrelevanz) philosophischen Jargons geführt. Man blieb glücklicherweise unterhalb dieser Kante.
„Angst“ wurde von vielen Seiten beleuchtet, wobei Messner für die unsprünglich-kreatürliche Angst angesichts des Unkontrollierbaren, des unbekannten ganz Anderen stand. Unterhalb des Denkens angesiedelt, ist diese Art Angst in unseren „überversicherten“ Gesellschaften praktisch vollständig zugunsten „sozialer Ängste“ verdrängt. Kick-süchtige Bungee-Springer suchen sie, jedoch nur „als ob“, weil das Sterben bei ihrem Tun nicht wirklich als reale Möglichkeit erscheint. Messner dagegen sucht nicht eigentlich die Angst, sondern eben das „ganz Andere“, das Unversicherbare, das ohne Begegnung mit der Angst nicht zu erleben ist. „Alpines Yoga“, wie Sloterdijk es treffend nannte.
Verglichen mit den „restlichen“ 80 Prozent der Menschheit leisten wir uns einen maßlosen Überkonsum an Sicherheit, darin war sich die Runde einig. Schön zu hören, wie sich dieser Gedanke zur profunden Kritik an den USA verdichtete, die mittlerweile die ganze Welt als Zuliefergebiet amerikanischer Sicherheitsinteressen betrachten und „behandeln“. Warum? Aus Angst natürlich, wie dereinst auch die Römer ein Weltreich errichteten, weil sie vor den wilden Völkern rund um sich her gewaltig ins Zittern gerieten! Paradoxerweise nimmt nun in überversicherten Gesellschaften die Angst nicht ab, sondern zu: Je mehr über Sicherheit geredet wird, desto alarmierter und ängstlicher werden die Menschen. An dieser Stelle des Gesprächs konnte denen, die vorher aufmerksam Stoiber zugehört hatten, der Kanzlerkandidat als Drogendealer auffallen, der dem süchtigen Volk die nächste Dosis „innere Sicherheit“ in Aussicht stellt – genial!
Auch die Medien bekamen ihr Fett weg: sind sie es doch, die die Gesellschaft mit jedwedem Thema unterschiedslos in hochgradige Alarmzustände versetzen, auf dass alles noch vorhandene Beurteilungsvermögen zunichte werde. Man denke nur an die Hysterie angesichts der Maul- und Klauenseuche, die die Republik in Angst und Schrecken versetzte, bevor mit dem 11.September eine ganz andere Dimension realer Bedrohung ins Bewusstsein trat!
Sinn und Bedeutung der Angst für das Mensch-Sein versuchte Sloterdijk anhand der Auseinandersetzung zweier großer Philosophen ins Gespräch zu bringen: Der Mensch als Mängelwesen braucht die warme schützende Glocke der Kultur, um überhaupt Mensch sein zu können – so dachte Ernst Cassierer, dem aber vom jungen Heidegger entgegen gehalten wurde, dass erst das Durchleben (und Überwinden!) der echten kreatürlichen Angst den Menschen zum Menschen mache. Dank Messner behielt die heidegger’sche Position das Übergewicht, wurde allenfalls noch durch allerlei Synapsenwissen untermauert: erst in der Enge und scheinbaren Ausweglosigkeit einer extremen Angstsituation beginnt das Gehirn, neue Schaltungen auszuprobieren und eingefahrene Wege zu verlassen. Eine schöne Beruhigungsstrategie in unsicheren Zeiten: Wenn ich Angst empfinde, kann ich mich jetzt erinnern, dass meine Großhirnrinde kreativ wird und ich gerade alles tue, um meinen Evolutionsvorsprung als Mensch zu behaupten, das ist doch was!
Für die Frage, ob vielleicht die Religion in Sachen Angst noch oder gerade wieder etwas beizutragen habe, wurde Friedrich Schorlemmer (als „Vertreter Dr. Martin Luthers auf Erden“) jede Menge Zeit und Raum eingeräumt. Eine Gelegenheit, die dieser nicht nutzen konnte oder wollte, um etwas Christliches oder sonstwie Spirituelles zu sagen – offensichtlich eine falsche Erwartung an einen protestantischen Pfarrer, der seine Prominenz politischem Handeln und nicht der Rede von Gott verdankt. Rom werde gewinnen, merkte er lediglich an, da die Menschen Unsicherheiten eben nicht aushalten wollten. Rom? Meinte er jetzt die USA oder die Katholische Kirche?
Wie auch immer, weit mehr noch als die Inhalte beeindruckte mich bei diesem Gespräch sowieso das WIE und DASS es überhaupt stattfinden konnte. Ich wünsch‘ mir mehr davon, aber vermutlich wird das kaum kommen: Schon die nächste Sendung ist eine weitere halbe Stunde in die Nacht hinein verbannt. Wer sowas mag, ist ja vermutlich eh einer, der morgens nicht aufstehen muss, um die Welt, wie sie nun mal ist, ein Stück weiter Richtung Abgrund zu schieben.
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