Meist ist das Bild des Verfassungsschutzes in der Öffentlichkeit eher negativ, die Gründe setze ich jetzt einfach mal als bekannt voraus. Mit dem dieser Tage von Netzpolitik.org dankenswerterweise geleakten Gutachten zur AFD gelingt der Behörde etwas, das man von ihr gar nicht erwartet: Sie glänzt mit Kompetenzen, die den Text zu einem lesenswerten Essay macht, der auch gut als Lehrstück zur politischen Bildung taugt.
Meine Bewertung bezieht sich keineswegs nur auf die Inhalte, so nach dem Motto „alles was der AFD schadet gefällt“. Nein, ich bin von ganz anderen Qualitäten begeistert: das „Stück“ ist verständlich geschrieben und richtig gut getextet! Kein langweiliger Verwaltungsjargon, kein Behördendeutsch zum Weglaufen, aber natürlich auch kein Versuch „leichter Sprache“, sondern genau richtig in der Mitte.
Ein Lehrstück in Sachen Grundgesetz: Was verstößt gegen die Verfassung?
Das kann gar nicht hoch genug gelobt werden, denn immerhin handelt es sich um komplexe juristische Sachverhalte: die Vorgaben der Verfassung und ihre jeweils aktuelle Interpretation durch die Rechtsprechung muss auf die Lebenstatsachen bezogen werden, um die es geht. Also um all das, was die AFD in ihren verschiedenen Erscheinungsformen (Parteiorganisationen und „Flügel“, Fraktionen, Funktionäre/Mandatsträger, Mitglieder) so von sich gibt.
Das alles wird nun im Gutachten Punkt für Punkt, Thema für Thema und bezogen auf die einzelnen Akteure daraufhin gecheckt, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist oder nicht. So lernen interessierte Lesende, worauf es dabei ankommt, was gerade noch geht und was definitiv verfassungswidrig ist. Typische Prüfpunkte sind hier:
- die Menschenwürde
- das Demokratieprinzip
- das Rechtsstaatsprinzip
- (Geschichts-)Revisionismus
Alle Punkte werden am Beispiel sehr viel deutlicher und kompakter vermittelt, als würde man als interessierte Bürgerin den einen oder anderen theoretischen Artikel dazu lesen.
Da das gesamte Gutachten aber doch ein sehr sehr langer Text ist, empfehle ich euch einen beispielhaften Ausschnitt, nämlich die Begutachtung über Höckes Buch „Nie zweimal in denselben Fluss“, in dem er sich ja „ganz echt“ und unverfälscht von feindseligen Pressemenschen zeigen will.
Auch dieser Abschnitt ist lang, aber lesenswert, gut geschrieben, bestens strukturiert und sehr sehr lehrreich! Ich bin ganz besonders davon begeistert, weil mir der Text Arbeit abnimmt, die ich schon länger vor mir herschiebe. Ich habe mir das Höcke-Buch gekauft, um zu erfahren, „wie der Feind denkt“. Der Titel des Buches hat mich fasziniert, denn im Inhalt geht es doch ums genaue Gegenteil: nämlich um das Denken eines Rechtsextremen, der eben doch genau wieder „in denselben Fluss“ will, der schon einmal direkt in die Hölle führte. (Seltsam, dass diese Assoziation bei der Titelfindung nicht auffiel oder nicht störte!)
Ich hatte vor, das Buch hier ausführlich zu rezensieren. Das hat mir nun der Verfassungsschutz aufs Beste abgenommen – danke, danke, danke!
Bloß nicht wegschließen!
Im TAGESSPIEGEL wird über die Veröffentlichung durch Netzpolitik.org berichtet:
„Das Gutachten ist als Verschlusssache und „nur für den Dienstgebrauch“ klassifiziert. Das ist die niedrigste Geheimhaltungsstufe. Dennoch droht Netzpolitik.org ein Verfahren. Es werde überlegt, Strafanzeige zu stellen, hieß es im Umfeld der Regierung.“
Ich hoffe mal, dass diese Überlegungen dazu führen, mal lieber nichts dergleichen zu unternehmen, sondern ganz im Gegenteil solche Gutachten selbst in voller Länge und frei für alle zu publizieren! Dafür bricht auch Frank Jannsen (ebenfalls TAGESSPIEGEL) eine Lanze:
„Es entspricht der Aufgabe des Verfassungsschutzes, ein Frühwarnsystem zu sein. Das der Republik rechtzeitig mitteilt, wo und wie Feinde der Demokratie agieren. Im Fall der AfD ist es dem BfV nahezu exemplarisch gelungen. Die Propaganda der Rechtspopulisten wird akribisch seziert. Das war auch dringend nötig. Die AfD radikalisiert sich, in Teilen ist sie ideologisch nicht von Rechtsextremisten zu unterscheiden. Warum das detaillierte Gutachten dazu nur in komprimierter Form der Öffentlichkeit vermittelt wird, erschließt sich nicht. Zumal das Bundesamt nur Reden von AfD-Politikern und andere öffentlich zugängliche Quellen nennt. Kein V-Mann muss seine Enttarnung fürchten. Und die Kriterien des BfV bei der Analyse der AfD sollten kein Geheimnis sein. Es geht um die Maßstäbe des Grundgesetzes.“
Alsdenn: lest selbst!
- Zum ganzen Gutachten »»»
- Zum Abschnitt „6. Björn Höckes Gesprächsband „Nie zweimal in denselben Fluß“
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3 Kommentare zu „Verdientes Lob: Wow, der Verfassungsschutz kanns!“.