Claudia am 19. März 2009 —

Fortschritt und Kränkung: Hirnforschung

Gestern abend hab‘ ich mir auf 3Sat den Themenabend Gehirnforschung angeschaut. Wer mal auf die Schnelle sein Wissen zum Stand der Dinge auffrischen will, kann das auf der Website des Senders machen. Natürlich gibts immer nur einen kurzen Überblick, aber den kann man ja dann eigenständig vertiefen.

Blue Brain: Ein virtuelles Gehirn

Beeidruckend, was da alles geforscht und – durchaus mit Blick auf mögliche „Nutzungen“ – unternommen wird: So arbeiten am „Brain and Mind Institute“ der polytechnischen Hochschule Lausanne 40 Neurologen, Biologen, Physiker und Informatiker am Projekt „Blue Brain“, die herausfinden wollen, wie unser Gehirn funktioniert. Dafür will man es mal eben im Computer nachbauen: Nervenzelle für Nervenzelle. Bis 2015 soll das Modell fertig sein. Und allen Ernstes wurde die Frage gestellt, ob dieses „virtuelle Hirn“ dann wohl Bewusstsein enthalte?
(mehr dazu im 3Sat-Beitrag „Wer ist ich?“)

Gedanken lesen, bevor wir von ihnen wissen

Die manchen verstörende Tatsache, dass wir uns oft schon entschieden haben, bevor uns eine Entscheidung bewusst wird, wurde im Beitrag „Die Gedankenlesemaschine“ ausführlich zelebriert. Neuerdings wird das „Lesen“ mittels lernender Mustererkennungssoftware drastisch voran getrieben. Mögliche Anwendungen sind einerseits die Steuerung von Prothesen, andrerseits auch Lügendetektoren und sogar so etwas wie „Gehirnmarketing“.

In „Schuldig oder krank?“ kamen dann Forscher zu Wort, die Gewalttaten (mit guten Belegen!) als Fehlfunktion des Gehirns bei der Verarbeitung von Emotionen ansehen. Woraus logisch folgen würde, dass man einen Täter (der ja nicht anders handeln konnte) nicht schuldig sprechen könnte, was für freiheitliche Gesellschaften allerdings ein untragbarer Schluss ist.

Alzheimer: Big Pharma mal wieder auf dem falschen Dampfer?

Schwer beeindruckt haben mich auch die Beiträge zum Thema Alzheimer (wenn ich mir Namen nicht merke, denke ich gelegentlich: das könnte der Anfang sein…). Derzeit forscht der Mainstream ja vehement an den sogenannten „Plaques“, diese toxischen Einweiß-Ablagerungen, die man im Gehirn Alzheimer-Kranker findet. Angeblich seien sie es, die das Gehirn nach und nach zerstören. An der Berliner Charité ist man gar dabei, eine „Impfung“ (gegen körper-eigenes Eiweiß!!!) zu entwickeln, die allerdings gefährlich sein wird und lange VOR jeglichen Symptomen angewendet werden muss (also mit mir nicht!).

Ich hab‘ dann nicht schlecht gestaunt, als im Beitrag „Rätsel Alzheimer“ die Erkenntnisse der sogenannten „Nonnenstudie“ vorgeführt wurden: eine blendende Testgruppe, weil die durchweg hochbetagten Nonnen im Kloster über viele Jahre unter gleichen Lebensbedingungen leben, und zudem alle Daten über ihre Krankengeschichte vorliegen. Da die Nonnen in christlicher Nächstenliebe ihre Gehirne auch gleich der Wissenschaft vermachten, konnte man nach dem Tod etlicher Nonnen Erstaunliches feststellen: Auch noch als Hochbetagte waren sie geistig ausgesprochen fit, einige hatten sich über Jahre in den Tests sogar in mancher Fähigkeit noch gesteigert. Die nach dem Tod sezierten Gehirne zeigten jedoch zum großen Erstaunen der Wissenschaftler Zustände, wie sie im Endstadium Alzheimer typisch sind: zerbröselt und zerfasert, alles voller „Plaques“.
Die „herrschende Theorie“ kann man damit doch eigentlich in die Tonne treten, das ficht deren Vertreter aber offenbar nicht an.

Eine zu billige Lösung:

In einem weiteren Film „Entzündungshemmer scheinen bei Alzheimer zu wirken“ kam der Forscher Pat McGeer von der Universität Vancouver zu Wort, der mit wirklich guten Gründen zu einer ganz anderen These über Alzheimer kommt: unter dem Mikroskop konnte er zeigen, dass es gar nicht die Plaques sind, die die Nervenzellen zerstören, sondern andere deformierte bzw. „schädliche“ Zellen, die immer dort auftreten, wo es Entzündungen gibt. Alzheimer – eine Gehirnentzündung? Er suchte nach einer Testgruppe und kam auf die Idee, Rheumatologen zu fragen. Denn Rheuma-Patienten nehmen über Jahre eine ganze Latte entzündungshemmender Medikamente gegen die Rheuma-typischen Gelenkentzündungen. Und tatsächlich: er fand kaum Alzheimer-Patienten unter den Rheumatikern: diese bekommen sechsmal weniger Alzheimer als Menschen, die KEINE Entzündungshemmer nehmen.

Geld, um das weiter zu erforschen, bekommt er natürlich nicht. Dazu heißt es im Beitrag:

„Pat McGeer bekommt keine Gelder, um die entsprechenden Studien durchzuführen: Weltweit findet er keine Firma, die bereit ist, zu investieren. „Man macht Studien mit Medikamenten, die hohe Einnahmen versprechen. Wenn man als Forscher auf Firmen angewiesen ist, die Geld machen wollen, dann werden sie nur Versuche mit Wirkstoffen unterstützen, die teuer verkauft werden können. Viele der altbewährten Medikamente sind die besten. Warum werden sie ausrangiert? Weil sie zu billig sind. Die Erklärung ist ganz einfach.“

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Diskussion

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8 Kommentare zu „Fortschritt und Kränkung: Hirnforschung“.

  1. Es wird Zeit, dass der Patentschutz für Medikamente fällt und die Forschung wieder vom Staat bezahlt wird.
    Zu den schädlichen Folgen von Patenten, IP etc. gibt es eine Website, die ich leider noch nicht richtig durchsehen konnte.
    http://www.againstmonopoly.org/
     

  2. zu diesem thema kann ich nur das funkkolleg empfehlen. da kann man auch die beiträge kostenlos als podcasts runterladen:
    http://www.hr-online.de/website/radio/hr2/index.jsp?rubrik=36524
    ein sehr interessantes gebiet für das ich mich auch interessiere.

  3. Das kann ich nur bestätigen, mit den Rheumamitteln. Mein Vater hatte, als es ca. 40 wurde, für fast 15 Jahre Rheumatabletten der übelsten Sorte geschluckt. Nun ist er 89, von Rheuma schon seit Jahrzehnten keine Spur mehr, und im Kopf absolut klar. Weil ich kein Arzt bin, sage ich immer dazu: Ein Wunder.
    Und Singer, auch hin und wieder ein philosophierender Hirnforscher, meinte: Wenn wir einmal die Funktion des Gehirns verstehen, in der nichts zentral geschieht und doch alles so zusammenarbeitet das es funktioniert, vielleicht könnten wir daraus etwas für eine neuere Gesellschaftsordnung lernen, die sich immer noch zentral und in Hierarchien aufbaut.

  4. Eine Maschine mit Bewusstsein da ist wohl der Wunsch der Vater des Gedanken. Mir fällt dazu der „denkende“ Computer (künstliche Intelligenz ein). Obwohl, manchmal wünsche ich mir das der Rechner mir antwortet. Meistens dann, wenn er mal wieder nicht richtig funktioniert. Die Erforschung des Gehirns ist eine spannende und auch notwendige Sache, wenn man als betroffener Angehöriger eine Erkrankung des Gehirns miterlebt hat. Dazu gehört leider auch Alzheimer. Die verschiedenen Formen dieser Krankheit sind schon gravierend und eine ungeheure Belastung für alle die involviert sind. Die Ergebnisse der Studie dieses kanadischen Arztes sind mir schon länger bekannt nur wird diese Geschichte wahrscheinlich nicht ernst genommen. Auch die Untersuchungsergebnisse bei den Nonnen sind mir bekannt. Es zeigt doch, so richtig Bescheid wissen sie alle nicht. Diese Gedankenlesemaschine brauche ich nicht. Meist sieht man mir so schon an, was ich denke! Passend zur Aktualität: Keine Schuldfähigkeit bei „geistigen Kurzschlüssen“ ist ein spannendes Thema, das man Opfern und betroffenen Angehörigen glaube ich, nicht wirklich vermitteln kann.

  5. @Wolfgang der Wunsch, dass es nie Maschinen ohne Bewusstsein gibt, scheint mir weiter verbreitet und auf die kommenden 2 Jahrzehnte gesehen auch wesentlich überdenkenswerter zu sein.

  6. „Gedanken lesen bevor wir von ihnen wissen“
    Mich beschäftigt dieses Thema nun schon seit einiger Zeit. Eigentlich seit dem ich in einer PM (Kennt jemand diese Zeitschrift?) genau dasselbe, wie hier beschrieben dokumentiert war – Würde mich nämlich glatt interessieren ob es nun von 3sat aus und dieser Zeitschrift die selben Forscher/Dukomantationen waren, die dies aufzeichnen.
    Denn falls dies schon der zweite Bericht ist den ich lese, der mir das bestätigt bin ich langsam wirklich fasziniert – oder auch geschockt?
    Stundenlang hab ich schon darüber nachgedacht wie das nun eigentlich funktioniert. In der Zeitschrift wurde ja beschrieben es handelt sich dabei um Kurzschlussreaktionen – Und jetzt vielleicht nicht unbedingt Entscheidungen die das Leben verändern (im großen Sinne jedenfalls). Aber bedeutet dies wirklich, dass all unsere Handlungen bereits vorprogrammiert sind?
    Mich bringen diese Gedanken irgendwie in eine melancholische Stimmung, da ich mich wirklich frage, ob es dann zu leben lohnt (vielleicht etwas überspitzt, aber trotzdem!) wenn wir -und so hieß es auch in der Zeitschrift – „gefangen im eigenen Körper“ sind. *seufz*
     

  7. @Andrew: nein, es sind keine Entscheidungen, die das Leben verändern, sondern solche wie „ich werde die 2 Zahlen, die mir gleich gezeigt werden, addieren (und nicht subtrahieren)“.
    Mich stimmen die Befunde nicht melancholisch, denn ich habe schon länger damit aufgehört, „mich“ ausschließlich mit dem bewussten Verstand zu identifizieren. Auch all das, was unbewusst abläuft, bin „ich“ – und damit sind auch diese Spontanentscheidungen, die erst später ins Bewusstsein treten, Ausfluss meines Charakters, meines Temperaments und meiner persönlichen Lebensgeschichte.
    Zudem bedeuten diese Forschungsergebnisse nicht, dass wir nicht mehr willentlich und bewusst entscheiden könnten, wenn es um WESENTLICHERES geht als addieren oder subtrahieren. Denn das spontane Pro oder Contra lässt wiederum Zeit, sich erneut – und nun bewusst – so oder so zu entscheinden. Siehe dazu auch
    Die Libet-Experimente
     

  8. Glück, Hirn, Gene…

    Vor fünf Jahren hat Tanja Dückers auf Zeit-online einen kleinen Artikel unter der Überschrift  „Alles nur die Gene“ veröffentlicht.[1] Den habe ich nun zufällig entdeckt und meine, daß die Autorin den Sci…