Angesichts dessen, was derzeit unter der Überschrift „Kampf gegen Kinderporno“ abgeht, zweifle ich langsam daran. Und wenn ich Frau von der Leyen sehe, wie sie sich heute – nach all der sachlichen Kritik der letzten Monate! – noch immer mit denselben empörten Worten und vorwurfsvoll aufgerissen Augen als die gerechte Kämpferin für eine gute Sache darstellt, kommt mir richtig die Galle hoch! (Wozu es bei mir schon einiges braucht, denn allermeist bleibe ich ja recht gelassen).
Demokratie bedeutet – anders als viele meinen – nicht bloß, alle vier Jahre ein Kreuz auf dem Wahlzettel machen zu dürfen. Demokratie braucht Mitwirkung, braucht die öffentliche Diskussion und den offenen Widerstreit der Interessen. Und zwar auf Basis einer zunehmenden Kenntnis der Faktenlage, die begleitend zum politischen Diskurs über die Medien transportiert wird.
Stures Durchsetzen wider besseres Wissen statt interaktiver Politik
Normalerweise macht ein Regierungsmitglied einen Vorstoß in Richtung einer neuen Gesetzgebung, woraufhin sich alle davon betroffenen Kreise kundig machen und sich dann zu Wort melden: über Verbände, Lobby-Gruppen, Bürgerinitiativen, in Einzelstimmen und über die Presse. Einwände und Bedenken, mögliche Folgen, falsche Annahmen in Bezug auf das Vorhaben – all das kommt zur Sprache, woraufhin sich dann in der Regel auch die Gesetzesvorlage noch ändert. (Manchmal verschwindet die Idee dann auch ganz).
Zu Zeiten der rot-grünen Regierung konnte man diesen interaktiven Politikstil besonders gut sehen, denn diesen Parteien machte es damals nichts aus, sich im Diskurs mit der Öffentlichkeit immer wieder zu korrigieren. Sogar bereits verabschiedete Gesetze und Verordnungen wurden schnell nachgebessert, wenn „der Aufschrei“ entsprechend ausfiel.
Jetzt aber haben wir in Gestalt von Frau von der Leyen offenbar jemanden vor uns, der zum totalitären Politikstil neigt: sämtliche Argumente, die zeigen, wie unsinnig und schädlich, rechtstaatswidrig und von der eigentlichen Sache ablenkend ihr Zensurvorhaben ist, fechten sie nicht an. Sie plappert wie ein Automat immer diesselben Sprüche herunter, ist für Sachargumente taub und verstärkt so den Eindruck, dass es hier tatsächlich einzig und allein um die Etablierung einer Internet-Zensurmöglichkeit geht. (Was mich bezüglich ihrer Person wundert, denn DAS ist ja eigentlich gar nicht IHRE Baustelle!)
Hier ein paar informative Artikel zum Thema:
- Missbrauchsopfer kämpfen gegen Netzsperren – lesenswertes ZEIT-Interview, das aufzeigt, wie falsch die Behauptung ist, man wolle die Kinderpornografie effektiv bekämpfen. Viele Kinderpornoserver stehen sogar in Deutschland, unbehelligt von den deutschen Behörden!
- Kinderporno-Sperren: Provider sollen Nutzerzugriffe loggen dürfen Heise online über die aktuelle Fassung des Gesetzesentwurfs.
- Wie die im Zuge der Internet-Zensur anfallenden Daten in Zusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherung AUCH genutzt werden können liest man im REIZZENTRUM;
- Internet-Sperre umgehen in 27 Sekunden: nein, es braucht kein „Experten-Wissen“, es ist nur eine einfache Einstellung im Betriebssystem, die mit ein paar Mausklicks von jedem locker durchgeführt werden kann! Dienste wie OpenDNS gibt es seit langem, die nämlich anbieten, IHREN DNS-Server zu benutzen anstatt denjenigen, den der eigene Provider zur Verfügung stellt. (DNS-Server sind „Namensserver“, die die Domainnamen der jeweiligen IP-Adresse zuordnen: nur so können Seiten auch gefunden werden).
- Die Legende von der Kinderpornoindustrie – das Law-Blog zeigt auf, dass es die von Frau von der Leyen stets angeführten „Millionenumsätze der Kinderpornoindustrie“ so gar nicht gibt, denn es gibt keine „Industrie“ analog zur Porno-Industrie.
- Die dreizehn Lügen der Zensursula – Netzaktivist Lutz Donnerhacke analysiert die Aussagen des Familienministeriums zur Notwendigkeit von Zensurmaßnahmen gegen die Dokumentation von Kindesmißhandlungen.
- Verschleierungstaktik: Die Argumente für Kinderporno-Sperren laufen ins Leere umfassender Beitrag zur Sache aus der c’t.
Staatliche Stellen, Behörden, Unis etc. sollen übrigens nach dem Gesetzesentwurf NICHT in die Zensurpflicht einbezogen werden: das könnte ja richtig Geld kosten!
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10 Kommentare zu „Haben wir noch Demokratie und Rechtsstaat?“.