In den letzten Jahren hab‘ ich es geradezu kultiviert, von Wünschen jeder Art Abstand zu nehmen. Das ist Mitte vierzig auch nicht besonders schwer, wenn man wie ich lange Zeit ein Leben „ohne Bremse“ geführt hat. Kein berufliches Engagement länger als zwei Jahre, dereinst wilde Aktivitäten in der Protest- und Alternativ-Szene Berlins, ein abwechslungsreiches Beziehungsleben, immer wieder mit voller Verschmelzung, den üblichen Rosa-Brille-Illusionen, dann Enttäuschung, Elend, Entfremdung. Dabei in diesem Leben kaum eine Droge ausgelassen, viele Male umgezogen, Reisen im Aussen und Innen, jede Menge Experimente mit der eigenen Psyche, und zeitweise auch „ruhmvolle Funktionen“, in denen man JEMAND ist und lernen kann, was der Preis dafür ist.
Aus alledem dann irgendwann in ruhigeres Fahrwasser gekommen: Es gab kein Motiv mehr, irgend etwas von dem zu wiederholen, was ich bereits gehabt hatte. Auf materiellen Besitz, den man unendlich aufeinander stapeln kann, war ich noch nie aus gewesen: Immer schon gemerkt, dass „das Ding“, wenn es endlich mir gehörte, einfach gar nichts mehr auslöste. Ab ins Regal damit (Schublade, Keller…), bis zum nächsten Ausmisten. Reines „Geld raffen“ war mir andrerseits zu abstrakt: Warum sich anstrengen, nur damit Zahlen auf Kontoauszügen sich verändern? Wünsche für die Zukunft? Hatte ich nicht, wenn überhaupt, wollte ich etwas SOFORT, nicht irgendwann später. Und mein Problem war nicht, etwas NICHT zu bekommen, sondern: es zu bekommen und dann zu erleben, was es mit mir macht.
Gerade in der wunschlosen Zeit, seit ich nicht mehr so vom Ehrgeiz geleitet bin, bekam ich erstmal besonders viel vom Leben geschenkt: Endlich dauerhaftere Inspirationen zum Arbeiten (PC, Internet), längerfristige und stabilere Freundschafts- und Arbeitskontakte, bessere Wohnungen, schlussendlich die Gelegenheit, hier in dieses wunderschöne Gutshaus auf dem Land zu ziehen: „gehobener Standard“ – und das mir!
Und jetzt? Ich habe das Gefühl, ich muss die Wünsche wieder zu mir einladen, damit sich etwas bewegt. Es kann doch definitiv nicht sein, dass ich die nächsten 30 Jahre hier von morgens bis abends vor dem Compi sitze, Webseiten bauend, Texte schreibend; zwischendurch mal ein Spaziergang ums Dorf oder eine kurze Fahrt in den nahe gelegenen Supermarkt, alle Woche die Sauna, damit ich mal ein paar mehr Menschen sehe…
Dass dieses Leben keineswegs das ist, was ganz organisch und sinnvoll am Ende einer bewegten Entwicklung steht, merke ich schon an meinem (zum Glück erst mäßigen) Übergewicht und an der fortdauernden Auseinandersetzung mit den üblichen Giften. Da kann ich mir lange sagen, dass es – spirituell gesehen – Unsinn ist, nach Kicks zu streben: Mich lebensweltlich in die große Ruhe zu manövrieren und die Unruhe nur noch per Internet zu besichtigen ist offensichtlich keine „Endlösung“, nicht jetzt, nicht schon Mitte vierzig, vielleicht ja NIE ?
Veränderungen bringen immer auch Ärger und Leiden. Und es wäre doof, wenn es wieder diesselben Leiden wären wie gehabt. Mich aber deshalb freiwillig wie eine Rentnerin aufzuführen, packe ich nicht, ich sehe es langsam ein.
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