Da hat Kurt Jacob im Forum einen grandiosen Rundumschlag gegen die „deutsche Leitkultur des Essens“ gepostet, in dem er gegen den landestypischen Brachialfood anschreibt:
„Eintopfsonntage und die praktisch unverdauliche Hausmannskost sind fester Bestandteil deutscher Leitkultur und feiern auch heute noch fröhliche Urstände in deutschen Landen: Erbsen- und Kartoffelsuppen, Graupen, Eintopf, Klöße, Broiler, Bratkartoffeln, Tagesteller, Sättigungsbeilage, Currywurst; die deutsche Plumpsküche ist nicht tot zu kriegen, allem Hedonismus unserer Zeit zum Trotz. Speckkartoffeln, Buttercremetorte, Sahnequarktorte, Sauerbraten, Ragout fin, geräuchertes Schweinekotelett, Braunkohl, Grünkohl mit Pinkel, Lapskaus, Wienerschnitzel mit Tunke und Pommes Frites, Döner, Bigos, Bratapfel, Steckrüben, ½ Hähnchen, Deutschländer Würstchen, Fertigtorten und -pizzas, Spaghetti Bolognese, Saumagen, Scholle mit Speck, Rührei, Bratkartoffeln, Pommes Frites, Pommes Frites, Pommes Frites und nochmals Pommes Frites. Alles so schmackhaft und leicht verdaulich wie Fertigbeton und die Erklärung von Wolfram Siebeck, das käme alles noch vom 30jährigen Krieg, finde ich etwas weit her gehohlt.“
Ich will da nicht etwa eine Verteidigungsrede schwingen, sondern nur darauf hinweisen, dass auch die Österreicher eigenartige Dinge essen: Lungengulasch und „Brägen“ (Hirn), große labberige Klöße mit viel Bratensoße sind auch nicht grad der kulinarische Hit, haben aber durchaus ihre Fans. Wie auch immer: Kurt kommt zum verwunderlichen Schluß, wie gehabt weiter zu essen: trotz erheblicher Kritik an der Eßkultur und den widerlichen Praktiken der EU-Landwirtschaft, bloß nicht dem Terror der Vegetarier nachgeben! (Terror? Ich bitte dich: Man soll die Worte nicht völlig ihres Inhalts berauben, sonst kann man sich letztlich gar nicht mehr verstehen!) Da heisst es in seltsam verquerer Logik:
„Denn ich hab das auch gegessen, als noch niemand wusste was drinnen sein könnte und eins ist sicher, jeder Lebensmittelskandal trägt zur Qualität bei.“
Wie trägt denn ein Skandal zur Qualität bei? Doch nur, weil sich viele „Verbraucher“ (ein an Müllentsorgung erinnernder Begriff) dem jeweilig skandalisierten Lebensmittel verweigern! Weil derzeit nur noch 50.000 statt 100.000 Rinder pro Woche geschlachtet werden, die Rinder in den Ställen aber noch lange Woche für Woche zur Schlachtreife heranwachsen und ein riesiges Problem darstellen. Auf einmal wollen sich die Bauern „neu im Markt aufstellen“, volle „Transparenz“ vom Stall bis zur Ladentheke einführen – ohne Streik beim Rindfleisch wäre keine Rede davon: Alle Räder stehen still, wenn der Verbraucher nicht mehr will! Wer unbedingt Rindfleisch essen will: warum nicht mal ins argentinische Steakhaus? Die müßten jetzt eigentlich boomen.
Gestern meldeten die Nachrichten, dass den Arbeitern in den Schlachthöfen jetzt „Schutzmaßnahmen“ empfohlen worden seien. Klasse! Das wird wieder ein paar Leute davon abhalten, allzu früh zum Steak zurückzukehren. Nebenbei: Warum eigentlich dieses heftige „Hängen am Rindfleisch“, das so viele Kritiker, die spitzenmäßig vom Leder ziehen können, ganz offen oder zwischen den Zeilen zugeben? Liegt es an der Werbung: „Fleisch ist ein Stück Lebenskraft“ ? Oder gehört es immer noch zum MANN, täglich den obligatorischen Lappen Fleisch zu verschlingen? Wer mal Fleisch ungewürzt probiert hat, wird ja festgestellt haben, dass es „an sich“ nichts besonderes bietet, allenfalls eine gewisse Schwere bei der Verdauung.
Aber bevor ich mich da reinsteigere: Ich eß auch gerne Fleisch, aber derzeit laß ich es weitestmöglich bleiben. Und nicht nur das Fleisch: auch alle Feldfrüchte, die „nicht zum rohen Verzehr geeignet sind“ und deshalb von den Bauern mit Klärschlamm gedüngt werden dürfen, ebenso wie sämtlichen Fertigfraß und alle industriellen Zubereitungen, denen man nicht ansieht, was alles drin ist. Der Klärschlamm hat mich persönlich sogar weit mehr beeindruckt als das BSE, denn von BSE weiss man nicht viel, aber dass man allen ernstes die verseuchten Rückstände der städtischen Kläranlagen, einschließlich aller aus Krankenhäuser stammenden Bakterien und Viren EU-gefördert auf den Feldern verteilt, das macht mich wirklich wütend! Dass diese Nahrungsmittelmafia meint, sie könne getrost alle Abfälle und Problemstoffe über meinen Magen entsorgen, und zudem sogenannte „Psychophysiker“ die Dinge so schmecken lassen, dass ständig das Verlangen nach „mehr“ aufkommt, kotzt mich richtig an.
Seit vier Tagen bin ich im einschlägigen Kaufstreik (siehe letzter Eintrag). Im Schweriner Bioladen 100 Mark gelassen für einen Einkauf, der woanders 50,- und beim Discounter 30,- gekostet hätte. Da kommt richtig Ehrfurcht vor der Nahrung auf, aber auch die Erkenntnis: DAS kann nicht die große Lösung sein. Klar, dass die Erzeuger der Biowaren die horrenden Eintrittspreise für die Supermärkte nicht tragen können. Sie führen deshalb eine Nischenexistenz für Besserverdienende oder Leute wie mich, die gelegentlich bereit sind, einen höheren Anteil des Einkommens fürs Essen auszugeben – bis die Wut wieder verraucht ist und der Sparimpuls wieder dominiert. Denn bei 7,99 Mark für eine Dose Würstchen lass ich Fleisch lieber ganz bleiben, woran man sieht: So einfach ist es nicht. Die konventionelle Landwirtschaft muß insgesamt ökologischer werden, alles andere ist Träumerei.
Vorerst hab‘ ich gute Lust, erstmal so weiter zu machen. Aber nicht nur allein in meiner Küche, sondern ich denke an eine extra Website, ein „Logbuch über den Versuch, anders zu essen und sich gegen den Schweinefraß zu wehren“. Warum erscheinen nirgends Listen mit Forderungen: Ich esse wieder Rindfleich, wenn…. ? Und ich sehe auch neue Lügen aufkommen: Herkunftsgarantie, Transparenz – was bedeutet das denn? Wenn ich weiß, dass etwas vom Hof Soundso stammt, weiß ich noch lange nicht, wie der Bauer produziert, ob er Klärschlamm verteilt oder die Schweine mit Antibiotika füttert. Da hilft nur FRAGEN, und warum eigentlich nicht ganz öffentlich, per E-Mail?
Na, erstmal muß das Webwriting-Magazin fertig werden, heute ist Endspurt und deshalb hör ich jetzt auf.
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