Ein Fernsehfilm im ZDF: „Jenseits“, von Max Färberböck. Die Geschichte eines Staatsanwalts, der ein Kind überfährt, Fahrerflucht begeht, sich dann voller Schuldgefühle der Mutter des Kindes, einer russischen Immigrantin, nähert, sich in sie verliebt, während er versucht, ihr wieder Lebensmut einzuflößen, ohne doch zu sagen, dass ER…. ein Drama, doch darüberhinaus ein so herausragender Film, dass er mich richtig erschüttert hat.
Nicht nur wegen der Geschichte, den starken Personen, der sensiblen und gleichzeitig spannenden Darstellung – sondern weil so ein Film deutlich macht, was möglich ist. Was für Höhen des Filmschaffens erreichbar sind – OHNE die Grenze zum nervenden „Kunstfilm“ zu überschreiten! Angesichts eines solchen seltenen Highlights wird erst richtig schmerzlich spürbar, was für geistig-emotionale Schwachkost diese Glotze ansonsten absondert, ob nun öffentlichrechtlich oder privat.
Zum Beispiel der Anfang. Da wurde der Alltag des Täters und des Opfers gegeneinander geschnitten, ganz normale Familienszenen, zunehmende Hektik, Aufbruch aller Beteiligten zur Arbeit, in die Schulen, in verschiedene Richtungen mit verschiedenen Fahrzeugen in die morgendlich-chaotische Stadtwelt. Getöse, Stau, donnernde Lastwagen, am Horizont rauchende Schlote im Sonnenaufgang – und der Sound wird immer klirrender, gewalttätiger, die ganze Welt erscheint als eine katastrophale gewalttätige Maschinerie, durch die sich die Menschen in Eile durchquälen, jeder ein anderes Ziel vor Augen: dann der Aufprall, Fahrrad gegen Mercedes, der Junge ist auf der Stelle tot.
Die Emotionen, die man als Zuschauer spürt, verharren in einer Art Beklemmung, einer gespannten Starre, die – trotz voller Identifikation mit den Hauptpersonen – verhindert, vollständig in sentimentale Höhen oder Tiefen abzugleiten, wie sie normalerweise von Dramen & Tragödien im TV und Kino mit allen Mitteln hervorgekitzelt werden. So ein Film kann sich dann sogar eine Art „Happy End“ leisten: Es bringt nicht die Erleichterung nach der Verzweiflung, das warme Bad nach dem inneren Frieren. Es mutet fast sachlich an, wer wollte denn NICHT weiterleben?
Nach so einer Sternstunde fällt es schwer, überhaupt nur einen Blick ins übliche Programm zu werfen. Und wenn Feuilletonisten der ZEIT den Erfolg von Sendungen wie „Wer wird Millionär?“ als Beleg des „Wissenshungers in der Informationsgesellschaft“ beschreiben, fällt mir dazu einfach nichts mehr ein.
Je älter ich werde, desto wahnsinniger kommt mir die Welt vor. Vilém Flusser, der ja den Pessimismus anderen überlassen hat, sah zwei Möglichkeiten für die Zukunft: Entweder der Mensch ergreift die Chance, sich selbst zu entwerfen („Vom Subjekt zum Projekt“), oder alles versinkt in einem kollektiven Kindergarten. Mir scheint, die zweite Variante ist real geworden, „sich entwerfen“ ist einfach zu mühsam, zu ernst, eine Zumutung für die Comedy-konsumierenden Spielkinder der Spaßgesellschaft. Warum nur komme ich nicht dahin, dass mir das egal wird? Das ist vermutlich das Primaten-Erbe, die Affen fühlen sich auch nur in Horden Gleichgesinnter wohl. Wir haben es zwar soweit gebracht, durch Technik vom konkreten Mitmenschen unabhängig zu sein (und damit auch austauschbar), doch Zufriedenheit kommt trotzdem nicht auf. Und der Blick in den Spiegel der Medien zeigt ja dann doch, was „die Horde“ mittlerweile treibt, da braucht es schon allen Optimismus und gelegentlich einen Max-Färberböck-Film, damit einem nicht von früh bis spät die Haare kerzengerade zu Berge stehen – ganz ohne Styling.
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