So sehr ich mich gelegentlich über das real existierende Fernsehen aufrege, so wenig kann ich doch ganz davon lassen. Zwar steht hier noch immer keine eigene Glotze, doch abends zieht es mich ins Zimmer meines Lebensgefährten: Nordmagazin (sehen, was im Land los ist: Nichts), Tagesschau – und dann die Suche im Programm mit der viel zu kleinen Schrift: Gibt es in den 30 Sendern irgendwas Sehbares?
Das geht so, seit ich auf dem Dorf lebe, und seit es nicht mehr funktioniert, auch noch jeden Abend vor dem PC zu verbringen, nicht aus Überdruß, sondern weil ich dann nicht mehr länger sitzen kann. Im Dunklen aufzubrechen und nach „Kultur in Schwerin“ zu suchen, ist keine echte Alternative, als Ex-Berlinerin ist man verdammt verwöhnt. Verwöhnt von Möglichkeiten, wohlgemerkt, denn es zeichnet den Berliner ja gerade aus, dass er „wegen der vielen Angebote“ nach Berlin zieht, dort aber die meisten Veranstaltungen den Touristen überläßt: Was man jeden Tag haben kann, ist kein echter Grund mehr, das Kiez zu verlassen.
Seit einigen Tagen hab‘ ich jetzt mal versucht, das abendliche Programm zu verändern: In 3Sat gibt es täglich „Kulturzeit“, eine erstaunlich anregende Sendung, die nicht nur das übliche Infotainment bietet, sondern auch vor komplexen Gedanken nicht zurückschreckt. Und gestern – auch in 3Sat – der „Bilderstreit“, ein Gespräch über vier Künstler unter der Leitung von Bazon Brock.
Beim Betrachten dieser Kultursendungen – wenn zum Beispiel das Werk eines Künstlers von allen erdenklichen Seiten interpretiert, eingeordnet und bewertet wird – fällt mir deutlich auf: Denken ist Patchwork. Nicht nur das dort zelebrierte „anspruchsvolle“ Denken, sondern auch mein alltägliches Denken, diese mehr oder weniger chaotischen und immer vielstimmigen Debatten im Kopf, von denen man sich auch noch einbildet, dass sie für die eigenen Handlungen ausschlaggebend seien.
Gedanken „fallen ein“ – ja woher denn? Ich lese nicht mehr so viel wie früher, weil ich das meiste schon kenne, alles ist irgendwo im Hintergrund „gespeichert“ und meldet sich ungebeten, kommentiert jede Wahrnehmung und jede Raeaktion auf diese Wahrnehmung. Natürlich nicht nur Buchwissen: eigene Erfahrungen stehen wie feste Burgen in der geistigen Landschaft, ihre Autorität wird immer größer, je älter ich werde. Das hat große Vorteile, denn auf nichts kann man sich so gut verlassen, wie auf selbst Erlebtes und daraus folgende „selbst gemachte“ Bewertungen und Schlüsse. Wenn man aber die Bereitschaft verliert, auch eigene Erfahrungen in Frage zu stellen, anderes für möglich zu halten, ist der Weg zur geistigen Versteinerung nicht weit.
Eine kleine Hilfe, ein Hinweis, wo es lang gehen könnte, ist die Langeweile. Wenn ein Eindruck oder ein Erleben meine innere Maschine anwirft und die üblichen Kommentare zum millionsten Mal ablaufen, seh‘ ich manchmal fassunglos zu, fassungslos, weil ich nichts dagegen tun kann, obwohl es mich bis zum „geht nicht mehr“ anödet – und es geht DOCH einfach immer weiter.
An dieser Stelle will mir vielleicht jemand hilfreich ins Forum schreiben: Meditation! Spirituelle Praxis! Kurse, Retreats, Sitzen, Lauschen, Atem beobachten! Ja, das ist ein Weg – doch auch dazu sind ganze Bibliotheken in meinen „Speichern“. Erfahrungen, Gelesenes, an anderen Menschen Beobachtetes. Und die eigene Erfahrung und Beobachtung sagt: Klar, ich kann mich durch willentliches Üben dieser oder jener Praxis eine Zeit lang in einen anderen Zustand katapultieren – womöglich unterstützt durch die Faszination des „ganz anderen“, durch die damit oft einhergehende Gruppendynamik Gleichgesinnter, mit Hilfe der „Übertragungsliebe“ zu einem Lehrer (der mein Vater sein könnte, mit Jüngeren funktioniert es nicht), und natürlich durch die einschlägige Identifizierung: ICH meditiere! ICH fahre das große Fahrzeug oder gehe den 4.Weg… Und nach einiger Zeit läßt es dann wieder nach, der Wille ist aufgebraucht, die „Stützen“ verlieren ihren Charakter, indem sie zum Alltag werden, die „Wüste“ ist erreicht.
Warum also nicht gleich in der Wüste bleiben? Sehen, was „von selber“ kommt – oder auch nicht? Ich bin allerdings froh und dankbar, vor zehn Jahren Hans-Peter getroffen zu haben, der mich solange „am Yoga dran“ gehalten hat, dass es mir nun mitten in der Wüste (dem „ganz normalen Leben“) nicht mehr verloren geht: Die Übungen sind mir „eingewachsen“, auch wenn ich mal eine Woche aussetze, und sie halten den psychophysischen Körper in einem Zustand, der es zumindest jederzeit ERMÖGLICHT, zur Ruhe zu finden. Dass ich allermeist die Unruhe vorziehe, die nächste Aktivität überlege, der Kommentarmaschine im Kopf folge, das ist ein Ablauf, den ich gar nicht mehr willentlich stoppen will. Er soll sich totlaufen, wenn das denn angesagt ist, jedes Eingreifen – so zumindest ist meine Anmutung – verzögert nur diesen Prozess.
Dagegen kann viel eingewendet werden, ich weiß. Ach, ich weiß soviel, dass es mir richtig schlecht davon wird, und das finde ich gut. „Alles Leben ist Yoga“, steht in einer alten Schrift, und langsam ahne ich, was damit gemeint ist. Wenn mir die Welt im Lauf der Jahre immer wahnsinniger erscheint, das menschliche Dasein immer absurder und widersprüchlicher vorkommt, dann verblasst damit einhergehend auch die Loyalität, die Gebundenheit an jedweden „Mainstream“ und jede interessante Minderheit. Denkgewohnheiten, Meinungen, Ideologien, Systeme und Gebote zeigen sich als das, was sie sind: Innere Häuser und Bauten, die wie alle Gebäude auf Sand gebaut sind und letztlich zu Ruinen zerbröseln.
Was ist dann dort? Was bleibt? Vielleicht nichts. Vielleicht Freiheit. Aber was ist Freiheit? Mit strahlenden Augen versunken im All-Einen auf einem Berg sitzen? Oder – ein ketzerischer Gedanke – das Erwachen der Möglichkeit, ein sehr menschliches „Feature“ endlich richtig in Betrieb zu nehmen: Selber denken…
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