„Vernunft ist die geistige Fähigkeit des Menschen, Einsichten zu gewinnen, sich ein Urteil zu bilden, die Zusammenhänge und die Ordnung des Wahrgenommenen zu erkennen und sich in seinem Handeln danach zu richten“.
Diese Definition der Vernunft spuckt Google aus, Quelle ist ein ungenanntes Wörterbuch. Den Schwerpunkt dieser recht stimmigen Definition sehe ich im Vermögen, die gewonnenen Erkenntnisse im eigenen Handeln zu berücksichtigen – und genau da tut sich das weite Feld menschlichen Versagens auf, das mittlerweile dabei ist, die Lebensgrundlagen, die uns die Erde bietet, zu zerstören.
Wir Menschen sind die gefährlichsten Wesen, die die Welt je gesehen hat: Als „Mängelwesen“ sind wir physisch schlechter ausgestattet als viele Tiere, doch haben wir einen Verstand entwickelt, der das mehr als wett macht. Mittlerweile beherrschen wir den Planeten, überziehen ihn mit einer Technosphäre, die kaum mehr Lücken lässt. Das dadurch verursachte 6. große Artensterben kann locker mit den ersten fünf Natur-bedingten Massensterben mithalten, wenn es so weiter geht. Und leider spricht nichts dagegen, dass es so kommt.
Nicht einmal die ernsthafte Gefährdung des eigenen Überlebens bringt uns zur Vernunft: Seit über einer Woche tagt die 25.Klimakonferenz, die – wie jedes Mal – die Dringlichkeit eines Umschwenkens in Sachen CO²-Emissionen beschwört, während die tatsächlichen Emissionen weiter steigen, wenn auch etwas langsamer.
Gegen den „Green Deal“, mit dem die neue Kommissionspräsidentin von der Leyen ambitionierte Ziele für eine emissionsfreie EU im Jahr 2050 festschreiben will, gibt es – wie zu erwarten war – heftigen Widerstand. Als ein Beispiel für viele sei der Bosch-Chef Denner zitiert:
„Derartig anspruchsvolle Grenzwerte bedeuten das Ende des klassischen Verbrennungsmotors….mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Beschäftigung der betroffenen Unternehmen.“ (Quelle)
Ja heul doch! Wer den Verbrennungsmotor noch nicht mal bis 2050 als entbehrlich ansieht, hat wohl wirklich den Schuss nicht gehört – bzw. mittlerweile sind die vielfältigen Warnungen und Folgeabschätzungen eines „weiter so“ ja kein „Schuss“ mehr, sondern ein unüberhörbares Dauerfeuer.
WER kann keine Vernunft?
Gegen die Eingangsthese dieses Artikels gibt es – immerhin! – berechtigte Einwände: Beispiele vernünftigen Handelns kennen wir aus eigener Lebenserfahrung und aus Berichten:
- Menschen, die das Richtige tun, auch wenn es keinen individuellen Gewinn bringt,
- Menschen, die sich selbstlos für Andere einsetzen
- Menschen, die noch so etwas wie ein „Gemeinwohl“ kennen, das verlangt, dass die Individuen etwas zurück stecken und sich im Durchsetzen ihrer Interessen bezähmen.
„Bezähmung“ ist ein wichtiges Stichwort, denn genau daran fehlt es – individuell und erst recht kollektiv. In unseren arbeitsteiligen, weit entwickelten Gesellschaften ist die Vertretung der Gruppeninteressen durchweg institutionalisiert. Es ist nicht der Job des BOSCH-Chefs, die Interessen der Allgemeinheit zu vertreten, sondern nur jene der Unternehmenseigner und allenfalls noch der Beschäftigten. Das Allgemeinwohl haben wir an Politker/innen delegiert, deren Macht gegenüber all diesen Vollzeit-Interessenvertretern jedoch relativ gering ist. Wenn sämtliche Akteure keinerlei Anreiz zur „Selbstbezähmung“ mehr haben, sondern die Durchsetzung der eigenen Interessen schon die ganze Arbeitsplatzbeschreibung darstellt, dann wundert es nicht, dass „die Politik“ letztlich wenig ausrichten kann gegen den großen Trend. Schließlich will man wiedergewählt werden, was die Möglichkeiten „unpopulärer Entscheidungen“ ebenfalls deutlich begrenzt.
Mangelnde Selbstbezähmung und Ignoranz gegenüber dem Gemeinwohl ist im Übrigen nicht nur typisch für „böse Industrie-Lobbys“: Auch Bürgerinitiativen, NGOs und „Betroffenenvertretungen“ vertreten Partikular-Interessen. Man denke nur an die neuen Windkraftgegner, die es glatt schaffen, eine ziemlich erfolgreiche grüne Energiegewinnung auszubremsen und so der dringend nötigen Energiewende Steine in den Weg zu legen.
Und die individuelle Selbstbezähmung, wie steht es damit? Tja, auch da sieht es richtig düster aus, wie wohl fast jede und jeder mit ehrlichem Blick auf sich selbst und das eigene Umfeld bestätigen kann. Nicht einmal da, wo vernünftiges Handeln vor Leiden, Krankheit und vorzeitigem Tod schützen würde, nämlich bei der Ernährung und beim Konsum von Drogen und Genussmitteln sind wir in der Lage, langfristig das Richtige zu tun und die eigenen Gelüste zu bezähmen:
- 2017 waren über 50% der Erwachsenen in Deutschland übergewichtig,
- jedes Jahr sterben 20.000 an den Folgen des Alkoholkonsums,
- 23 Prozent rauchen noch immer.
– das nur mal als bekannteste Beispiele, es gibt unzählige mehr.
Wer bezähmt das Menschentier?
Als die Menschen sesshaft wurden und in größeren Gemeinschaften zusammen lebten, bildeten sich Religionen heraus. Ihnen ist der Versuch gemeinsam, eine Gegenkraft gegen die innere „Wildheit“ der Menschen zu bilden. Was uns so erfolgreich macht, nämlich die Fähigkeit, die eigenen Interessen „mit allen Mitteln“ durchzusetzen, die der Verstand uns finden lässt, muss gezügelt und gezähmt werden, damit größere Gesellschaften entstehen und friedlich miteinander leben können.
„Von selbst“ kümmern wir uns grade mal um unsere Familie, den Clan – und manchmal noch den überschaubar großen Stamm der „Gleichen“ – der große Rest ist Konkurrenz, ganz leicht auch Feind, wenn zu nahe an der eigenen Interessensphäre. Als ganze Menschheit sind wir weitgehend handlungsunfähig, wie sich immer wieder zeigt.
„Gott siehts“ war noch im 19. und in religiösen Kreisen sogar noch im 20. Jahrhundert ein erzieherisches Argument, um ein „Gewissen“ im Individuum zu etablieren. Auch wenn niemand das jeweilige Verhalten beobachtet, soll der Mensch moralisch handeln und nicht seinen Ego-Interessen folgen.
Dass es eine Erziehung zur Selbstbezähmung braucht, sollte eigentlich allgemeiner Konsens sein, denn jeder Umgang mit 3-Jährigen zeigt immer noch und weiterhin die ursprüngliche „Wildheit“. Ganz ebenso die Grausamkeit kindlicher Mobbing-Kulturen, die es zu allen Zeiten gab und weiterhin gibt. Kinder an die Macht? Bewahre!
Nun ist Gott allerdings lange schon tot. Zumindest in Europa glaubt die große Mehrheit nicht mehr ernsthaft, von einer jenseitigen Macht fürs eigene Fehlverhalten bestraft zu werden. Staatliche Gesetze sind alles, was wir noch haben, doch erodiert die Motivation, sich an diese Gesetze zu halten, hier und da unübersehbar. Die Suche nach Gesetzeslücken, um die eigene Bereicherung (möglichst legal, wenn nicht, auch illegal) zu vergrößern, spricht Bände! Ob großformatige CumEx-Betrügerei oder trickreiche Nutzung des „Gestaltungsspielraums“ der Steuererklärung: das Gemeinwohl ist dabei kein Thema. Sogar den Gutwilligen in Sachen Gemeinwohl fällt es leicht, das zu rechtfertigen, schließlich gibt „dieser Staat“ Geld für allerlei aus, das man selbst nicht fördern würde. Also…
Und jetzt sollen wir dafür sein, neue „Klimagesetze“ einzuführen und zu befolgen, die dem eigenen Lebensstil diametral entgegen stehen? Wer’s glaubt, wird selig, fällt mir da spontan ein! Kein blöder Spruch, denn genau genommen stimmt es sogar: Wer das glauben kann, dem geht es psychisch besser!
Woher kommt eigentlich so ein Glaube? Ich meine jetzt nicht den Glauben an Götter, sondern an das Gute im Menschen, an die Möglichkeit, vernünftig zu handeln und sich selbst zu bezähmen?
Dieser Glaube kommt meines Erachtens zum großen Teil aus der eigenen Erfahrung und ist deshalb schwankend:
- Wenn ich es selbst gerade schaffe, glaube ich, dass „alle“ es schaffen können.
- Wenn ich – wieder mal – scheitere, glaube ich das nicht mehr.
Da mensch im höheren Alter auf eine längere Geschichte wiederholten Scheiterns zurück blickt, erklärt sich dadurch recht einfach das konservativere, oft sogar zynische Denken der Alten. Ebenso aber auch der „frische Mut“, die Kraft und Hoffnung der Jungen, die noch wenig Grund haben, die eigene Natur als Teil des Problems anzusehen. Sie sind ja tatsächlich die jeweils „neuen Menschen“, die – in geänderte Bedingungen hinein geboren – auch andere Not-Wendigkeiten zur Selbstbezähmung erkennen und umsetzen könnten.
Wenn es also etwas gibt, das als vernünftige Konsequenz aus diesen Überlegungen folgt, dann ist es der Appell an jene, die als „alte Riegen“ noch soviel Macht in unseren Gesellschaften ausüben:
Tretet ab und lasst die Jüngeren machen!
Sie und ihre Kinder sind es, die noch lange die Konsequenzen politischen Handelns tragen müssen, also sollten sie auch sehr viel umfangreicher an den Entscheidungen beteiligt sein.
„Alte Weise“ können sie ja beraten. Allzu lange an Machtpositionen zu kleben, ist allerdings niemals weise.
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50 Kommentare zu „Fehler der Menschheit: Vernunft können wir nicht“.