Nach den bisher beispiellosen Vorgängen in Erfurt, stellt sich die Frage, wie es nun weiter gehen soll. Nicht nur in Thüringen, sondern überall, wo in Zukunft mit ähnlichen Konstellationen zu rechnen ist. Also mit Wahlergebnissen, die keine Mehrheiten abseits von AFD und LINKEN ergeben.
Die AFD hat es geschafft, die Widersprüche und Risse, die sich durch die CDU und FDP ziehen, überdeutlich zu machen. Während es in Thüringen und anderen ostdeutschen Ländern Bestrebungen gibt, mit der AFD zusammen zu arbeiten, sind die Bundesparteien noch strikt dagegen. Im Fall der CDU allerdings nurmehr „mehrheitlich“, die sogenannte „Werteunion“ mit ihren AFD-nahen Inhalten macht wie erwartet Stimmung in die andere Richtung.
Dass der CDU-Vorsitzenden Kramp-Karrenbauer, die wegen dieser inneren Zerrissenheit ihr Amt aufgeben wird, „mangelnde Führungskraft“ vorgeworfen wird, finde ich unverschämt. Ihr war es nicht gelungen, den Eklat von Erfurt halbwegs zu bereinigen, weil die dortigen Parlamentarier keine Neuwahlen wünschen. Angesichts neuer Umfragen nicht verwunderlich, die eine Halbierung der CDU-Sitze voraussagen, sollte neu gewählt werden. Aber auch erwartbar, weil sie bezüglich der Zusammenarbeit mit der AFD zumindest in Teilen anderer Meinung sind, genau wie die „Werteunion“.
Was sollte AKK denn da machen? Mit der Peitsche knallen, oder wie?
Nicht zukunftsfähig: Die Hufeisentheorie
Die CDU-Mehrheit hält derzeit krampfhaft am sogenannten „Hufeisen“ fest, das besagt, die Distanz zu AFD und LINKEN sei gleich groß und eine Zusammenarbeit in jede dieser Richtungen dürfe es nicht geben. Erste zaghafte Überlegungen des Landesvorsitzenden der Thüringer CDU, dem früheren MP Ramelow zu einer Mehrheit zu verhelfen, wurden von oben gestoppt, aber auch von jenen in der Landespartei, die lieber mit der AFD ein Süppchen kochen wollen. Also nicht hüh, nicht hott, und auch keine Neuwahlen, man hat ja viel zu verlieren.
Was aber, wenn diese Situation sich wiederholt? In anderen Bundesländern, vielleicht auch im Bund? Was wollen CDU und FDP denn dann machen? Festhalten am Hufeisen und sich ins Privatleben zurück ziehen, oder wie? Mit reiner Realitätsverweigerung lässt sich doch keine Regierung bilden!
Und sie, die Demokratie?
Mit der Demokratie argumentieren derzeit besonders die AFD-Anhänger, die Werteunion und andere stramm Rechte: Schließlich sei der plötzlich im 3.Wahlgang aufgetauchte FDP-Kandidat „demokratisch gewählt“ worden. Das sei doch zu akzeptieren, das ganze links-grüne Gesockse sei ein antidemokratischer Haufen, der im Zweifel so lange wählen lasse, bis das Ergebnis stimmt.
Das Tricksen und Täuschen durch die AFD spielt für sie keine Rolle, ebensowenig wie die Tatsache, dass der FDP-Kandidat Kemmerich als krachender Verlierer des eigenen Wahlkreises und Vertreter einer 5-Prozent-Partei kaum von sich behaupten kann, einen Regierungsauftrag per „Volkswillen“ zu haben. Wenn den parlamentarischen Regularien Genüge getan ist, dann ist das demokratisch, Klappe zu!
Was dabei immer mitgemeint zu sein scheint, ist die Annahme, Demokratie müsse unter allen Umständen der oberste Wert sein und bleiben. Ich sage das im Konjunktiv, weil leicht erkennbar ist, dass der „Höcke-Flügel“ nicht zögern wird, die Demokratie, wie wir sie kennen, abzuschaffen, sobald sie an der Macht sind. Die Demokratie wird von den Rechtsextremen nur solange hoch gehalten, wie sie ihnen nützt.
Gerade in Deutschland haben wir das schon erlebt, sind schwer gebrannte Kinder. Denn immerhin ist Hitler „demokratisch“ an die Macht gekommen und nicht durch einen Putsch! Unser Grundgesetz kennt deshalb sogar ein Widerstandsrecht gegen alle (auch gewählte staatliche Organe!), die die wichtigsten Grundrechte (Art. 1 bis 20) beseitigen wollen.
Eine Partei, die gegen die Verfassung agiert, kann sogar verboten werden. Die Beobachtung der AFD durch den Verfassungsschutz hat im Frühjahr 2019 begonnen, erst einmal als „Prüffall“. Die weiter gehende Beobachtung insbesondere des völkisch-nationalistischen Flügels gilt als wahrscheinlich.
Wie man mit der AFD in Zukunft umgehen solle, bewegt mittlerweile viele Bundesbürger/innen, auch unter Linken/Grünen ist umstritten, ob man sie mit allem Mitteln ausgrenzen soll oder doch lieber „einbinden“. Weil sie nun einmal Millionen Wähler/innen repräsentieren und auch, um sie zu „entzaubern“.
„Laut YouGov-Umfrage findet ein Viertel der Deutschen (26 Prozent) eine Beteiligung der AfD an einer Landesregierung in Ordnung. 19 Prozent hätten auch mit einer Beteiligung der AfD an einer Bundesregierung kein Problem. Eine klare Mehrheit von 59 Prozent lehnt eine Regierungsbeteiligung der rechten Partei aber grundsätzlich ab. 54 Prozent der Befragten sagen, der Eklat in Thüringen habe ihr Vertrauen in die Demokratie beschädigt.“
Das berichtet heute die WELT. Zum Blick speziell auf die Demokratie in Deutschland eine repräsentative Umfrage vom letzten September (YouGov/Sinus), deren Ergebnisse in der ZEIT zu lesen sind:
„Einer aktuellen Studie zufolge sehen 53 Prozent der Deutschen die Demokratie hierzulande in Gefahr. In einer Studie des Marktforschungsinstituts YouGov in Zusammenarbeit mit dem Sinus-Institut stuften die Befragten vor allem den Rechtsextremismus als Gefahr für die Demokratie ein, gefolgt von Rechtspopulismus, Migranten, Linksextremisten und den USA.“
Dennoch halten 79 Prozent die Demokratie für die beste aller Herrschaftsformen für Deutschland. Aber:
„Unzufrieden sind die Befragten in diesem Zusammenhang unter anderem mit den Partizipationsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger: Knapp zwei Drittel sind der Meinung, dass es zu wenig Mitbestimmungsmöglichkeiten des Volkes gibt.“
Das ist eine Beschwerde, die viele teilen. Manche hoffen, durch mehr formalisierte Beteiligung der AFD Argumente zu entziehen, die stets gegen „die herrschenden Eliten“ wettert. Allerdings hat die Begeisterung für Volksabstimmungen in wichtigen Fragen seit der Brexit-Entscheidung einen Dämpfer bekommen. Immerhin sind die Briten nachweislich belogen und betrogen worden – von Menschen, die genug Geld für große Kampagnen zur Meinungsbeeinflussung mobilisieren konnten.
Kritik an der Macht der Parteien übt auch Ute Plass, die in den Kommentaren einen Mail-Dialog mit dem Historiker Prf.Dr.Pyta gepostet hat. Sie fragt nach anderen Möglichkeiten der Partizipation und der Verhinderung von Machtmissbrauch durch die Parteien. Prof. Dr. Pyta gibt zu bedenken:
„In keinem Fall darf man den produktiven Anteil von Parteien an der politischen Willensbildung unterschätzen. Parteien sind Ausdruck der Legitimität gesellschaftlicher und politischer Unterschiedlichkeit. Wer …hingegen von der Vorstellung eines HOMOGENEN politischen Willens ausgeht, wird Parteien verachten – und landet damit unweigerlich bei der Vorstellung, der Homogenität widerstreitende Meinungen aus dem politischen Prozeß auszuschließen.“
Ein gutes Beispiel dafür ist PEGIDA, wenn ihre Anhänger „wir sind das Volk“ rufen! Sind sie nicht, keine Gruppe kann für sich in Anspruch nehmen „das Volk“ bzw. „die Bevölkerung“ zur Gänze zu vertreten. Deshalb haben wir ja verschiedene Parteien – und dass es die AFD gibt, ist ein Zeichen, dass diese „repräsentative“ Demokratie durchaus funktioniert.
Ausgrenzen, einbinden, Boden entziehen?
Ob man die AFD verbieten, ausgrenzen oder doch irgendwie einbinden soll, dazu habe ich (leider!) keine gefestigte, sondern nur eine ständig schwankende persönliche Meinung. Womit ich problemlos einverstanden sein kann, ist der Vorschlag, ihr „den Boden zu entziehen“. Also eine Politik zu betreiben, die den AFD-Wählern die Motive nimmt, aus denen heraus sie – oft aus Protest – die AFD wählen.
Sarah Wagenknecht trägt diesen Ansatz immer mal wieder beeindruckend vernünftig vor – nur: Das ist glatt noch ein dickeres Brett als „Fluchtursachen vor Ort bekämpfen“. Dazu müsste man nämlich die üblen politischen, sozialen und vor allem wirtschaftlichen Veränderungen der letzten 30 Jahre rückgängig machen. Oder eben mit einem „New Deal“ wieder in die menschenfreundlichere Richtung umschwenken.
Was ist da eigentlich passiert? Wenn ich das mal aufs extremste vereinfacht zusammen zu fassen versuche, dann so:
- Die Reichen und Superreichen der alten 1.Welt sahen sich durch die Globalisierung auf einmal Konkurrenten gegenüber, die auch ein Stück vom Kuchen beanspruchen. Die „3.Welt“ blieb nicht einfach „Werkbank“ mit beliebig ausbeutbaren Arbeitenden, sondern entwickelte sich ebenfalls. Neue Reiche und Mächtige, dazu auch immer mehr Mittelstand – und alle wollen all das auch, was „unsere“ Kapital- und Macht-Besitzer haben. Teilen wäre angesagt, aber das geht ja gar nicht, denn unsere oberen X-Prozent möchten nichts abgeben. Also müssen die unteren und mittleren Schichten in den entwickelten Industriegesellschaften geschröpft werden. Schrumpfung der Sozialleistungen, Niedriglohnsektor, stagnierende Reallöhne – die Umverteilung von unten nach oben erhält denen da oben ihre Pfründe, stürzt auf Dauer aber alle Anderen ins Unglück, in die Armut, wenn nicht gleich, dann spätestens im Alter. Natürlich je nach Land in unterschiedlichem Maß.
- Zudem funktioniert der Kapitalismus in der früheren „1.Welt“ nicht mehr richtig. Das systemwichtige Wachstum stockt und wird nurmehr mit Tricks und Täuschungen ansatzweise aufrecht erhalten. Das Geld wandert ins Virtuelle, in die Pseudo-Anlagen des Finanzkapitalismus – und wo es in die reale Wirtschaft wandert (Immobilien) trägt es zur massiven Ausbeutung und Verelendung der Bürger bei.
Wie gesagt: ein extrem dickes Brett! Unwahrscheinlich, dass man das so einfach verändern kann, nicht einmal die Finanzkrise hat die Politik dazu gebracht, echte Dämme gegen die Auswüchse zu etablieren. Und die begleitende „geistig-moralische-Wende“ hat die Menschen derart entsolidarisiert, dass sie sich eher den rechten Populisten zuwenden als linken Systemveränderern (die auch keine echte Alternative konkret beschreiben können).
Mehr dazu?
- Horst Schulte bloggt zur Lage nach Thüringen – und will eher „einbinden“.
- Zur Mitgliedschaft eines Vordenkers der CDU-Thüringen in einem neurechten Netzwerk – und was dieses Netzwerk so alles will (auf Twitter)
- System Error: Wie endet der Kapitalismus? 1,5 Stunden Blick aufs große Ganze!!! Nur noch bis 19.2. verfügbar, unbedingt ansehen!
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30 Kommentare zu „Wie weiter nach Erfurt?“.