Hoyerswerda 1991, Mölln 1992, Solingen 1993, NSU 2000 bis 2006, München 2016, Kassel 2019, Halle 2019, Hanau 2020 – Terror und Gewalt von Rechtsaußen forderte seit 1990 über 209 Todesopfer. Zum Vergleich: die linksradikale RAF hat insgesamt 33 Menschen ermordet, sieben davon bei Festnahmeversuchen.
Die Älteren werden sich erinnern, wie die Republik wegen der RAF nahezu Kopf stand. In Eile wurden neue Gesetze verfasst, es gab den großen Lauschangriff, jede linke WG musste mit dem Besuch der bewaffneten Staatsmacht in der Morgenfrühe rechnen, überall hingen die Plakate mit den Konterfeis der Gesuchten – über Jahre! Der Staat ging im Kampf gegen den Terror bis an die Grenzen des Rechtsstaats und deutlich darüber hinaus.
Und jetzt? 482 untergetauchte Rechtsextremisten werden mit insgesamt 600 Haftbefehlen gesucht. „Wo sind die Plakate?“ wurde gestern auf Twitter gefragt. Lange Zeit erschienen Polizei, Verfassungsschutz und Gerichte nicht besonders engagiert, wenn es um die klare Einordnung und entsprechende Verfolgung der Straftäter ging. Und erst 2018 wurde Hans-Georg-Maaßen als Präsident des Verfassungsschutzes abgelöst, der sich seitdem mit AFD-nahen Meinungen in der sogenannten „Werteunion“ profiliert.
Im SPIEGEL schreibt Sinem Taşkın in „Die Mütter von Hanau„:
„Es ist gut, dass jetzt endlich der Terror von rechts zum größten politischen Problem in Deutschland erklärt wird. Schade, dass dies jetzt erst in dieser Klarheit und Deutlichkeit benannt wird – nachdem wieder Menschen in Deutschland von einem rechten Terroristen hingerichtet wurden.
Zu lange haben wir ertragen müssen, dass von Einzeltätern gesprochen wurde. Zu lange mussten wir mit ansehen, dass rechte Terroristen zu psychisch Kranken verharmlost wurden. Zu lange mussten wir beobachten, dass die „Ängste und Sorgen“ der AfD- Wähler ernst genommen wurden. Deren Verunsicherung aber ist diffus. Die „Islamisierung des Abendlandes“ ist nicht real. Die „Umvolkung des deutschen Volkes“ ist nicht real. Die „Überfremdung“ Deutschlands ist nicht real.
Real ist unsere Bedrohung. Real sind unsere Ängste. Real sind die Hetze, der antimuslimische Rassismus und die Diskriminierung, der wir uns Tag für Tag stellen.“
Mehr Reaktionen als sonst
Nach dem Terroranschlag von Hanau, bei dem der Täter neun Menschen in einer Sisha-Bar und einem Imbiss regelrecht hingerichtet hat, fallen die Reaktionen bundesweit heftiger aus als sonst. Vielerorts Mahnwachen, Gedenkminutuen, Absage von Veranstaltungen, viele Reden und Solidaritätsbekundungen aus der Zivilgesellschaft und der Politik.
Und weil es mit Worten anfängt, denen irgendwann Taten folgen, gehört die AFD zweifellos zu den geistigen Brandstiftern. Der Volksverpetzer hat einige der schlimmsten Äußerungen von AFD-Politikern einem Faktencheck unterzogen: sie sind alle echt! (Wer es lieber im Video-Zusammenschnitt haben will: bitteschön!) Dennoch tun sie jetzt wieder, als wären SIE die Opfer böser Linker und der Anschlag habe aufgrund der psychischen Probleme des Täters natürlich nichts mit rechter Gesinnung zu tun.
Hat er aber doch! Denn selbst wenn alle rechtsextremen Straftäter irgendwelche psychischen Macken hätten, so führt doch nichts an der Erkenntnis vorbei, dass es das Weltbild der AFD und weiterer sinistrer Szenen ist, das sie inspiriert. Sie morden, begehen Brandanschläge und Körperverletzungen, sie diskriminieren, verleumden und beleidigen alle, die nicht in ihr urgermanisches Bild vom deutschen Bessermenschen passen.
Sie schreiten zur Tat, weil sie sich im Recht fühlen – und dieses „im Recht fühlen“ wird durch die ständige Hetze der AFD befördert, aber nicht nur von ihr. Reichsbürger, anti-demokratische Verschwörungstheoretiker und viele mehr tragen ebenfalls dazu bei. Und nicht zuletzt der Alltagsrassismus, der sich durch unsere Gesellschaft zieht wie ein roter Faden, der niemals abreisst. Mal mehr, mal weniger sichtbar, von der Mehrheit meist verleugnet, von den Betroffenen lebenslang gespürt.
Was kann man tun?
Die Betroffenheitskundgebungen werden nächste Woche wieder vorbei sein. Werden sie dieses Mal mehr Folgen haben als sonst? Maßnahmen von Seiten der Politik werden diskutiert oder sind schon in der Umsetzung, doch sind sie auch immer umstritten:
- Beobachtung der AFD durch den Verfassungsschutz – ist bereits beschlossen. Viele setzen durchaus Hoffnung in diesen Weg, da so die Beweislage für ein mögliches VErbotsverfahren geschaffen werden könnte. Und weil es die AFD nervt, sie vielleicht Wählerstimmen kostet und ihr organisatorische Probleme bereitet. Andere empfinden das als falschen Weg und wollen den Verfassungsschutz reformieren oder gleich ganz abschaffen.
- Verschärfung des NetzDG gegen Hass und Hetze: Passwortherausgabe und Meldepflicht ans BKA bei rechtlich relevanten Hass-Postings in sozialen Medien. Vom Kabinett beschlossen, muss die Gesetzesänderung noch durch den Bundestag. Eine weiterer, schon seit längerem betriebener Änderungsentwurf ist noch in den Ausschüssen des Bundesrats und soll eine Idetifizierungs- bzw. Verifizierungspflicht in sozialen Medien etablieren (was alle unter 16 rauswerfen würde). Die Kritik von links bis rechts ist massiv, von links momentan etwas stiller.
- Mehr Polizeischutz für Moscheen fordern Muslimische Organisationen. Da das Ländersache ist, wird dem mal mehr, mal weniger entsprochen (werden).. Vor jeder Shisha-Bar und jedem Döner-Imbiss kann man aber wohl kaum Polizei aufstellen, allein schon aus Kapazitätsgründen.
Maßnahmen der großen Plattformen, die über das von der Politik verordnete hinaus gehen, sind ebenfalls geplant:
- So will z.B. Twitter in Zukunft Lügen bzw. FakeNews farblich kennzeichnen. Was wahr ist und was nicht sollen von der Plattform verifizierte Faktenchecker und Journalisten festlegen – das Wahrheitsministerium lässt grüßen! Zum einen verstehe und teile ich die Intention des Vorhabens, zum Anderen zweifle ich an der Machbarkeit. Es könnte auch ein gegenteiliger Effekt eintreten, etwa indem sich entsprechend Gestimmte nurmehr News „mit Balken“ anzeigen lassen und alles andere als Lügen der Mainstreampresse aussortieren lassen. Auch wenn Twitter diese Sortierung nicht anbietet (Code rules!), lässt sich das mit Tools vermutlich so hinbasteln – wir dürfen gespannt sein!
- Auch auf Facebook, Instagram und Youtube werden Maßnahmen gegen FakeNews ergriffen, hauptsächlich mit Blick auf den amerikanischen Wahlkampf und bei uns noch nicht wirklich umgesetzt / spürbar.
Was können wir tun?
Gefühlt können wir als Einzelne wenig tun, aber es sind wir alle, die das gesellschaftliche Klima im wesentlichen bestimmen. Anstatt nur ab und an der eigenen Empörung über rechte und rechtsradikale Schandtaten und Meinungen Ausdruck zu geben, könnten wir:
- im persönlichen Umfeld jeglichen menschenfeindlichen Sprüchen und Meinungen entgegen treten – jede/r im eigenen Stil, sachlich, informierend und argumentierend bis emotional und wütend.
- den rechtsradikalen Sprücheklopfern in den sozialen Medien widersprechen! Auch wenn man nicht daran glaubt, diese wirklich zu erreichen,.so merken doch die Mitlesenden, dass es Widerspruch gibt!
- in den eigenen Bezügen (Organisationen, Vereine, etc.) mal drauf schauen, ob da eigentlich anteilig (!) Menschen mit Migrationshintergrund vertreten sind. Und wenn nicht, mal nachhaken, es thematisieren, mehr Buntheit einfordern!
- Selbst achtsamer sein, bisher unbewusste rassistische Verallgemeinerungen bewusst machen und aktiv zurück nehmen, anders handeln!
- Den von Rassismus betroffenen Migranten und Menschen mit anderer Hautfarbe zuhören, wenn sie ihre Erlebnisse berichten. Nicht leugnen oder relativieren, was sie selbst erlebt haben und fühlen.
- Initiativen gegen Rassismus unterstützen, mit deren Herangehensweise man sympathisiert.
Als ich von den Morden in der Shisha-Bar hörte, hatte ich gerade eine interessante DOKU über die Shisa, ihre Geschichte und den Hype in der aktuellen Jugendkultur gesehen. Und dabei erfahren, dass diese Bars entstanden sind, weil migrantische Jugendliche in die üblichen Clubs nicht reinkommen.
Wie wärs also mal mit einem Get-Together-Tag? Z.B. jeden ersten Freitag im Monat sind von den teilnehmenden Unternehmen (Clubs, Shisa-Bars ú.a.) alle eingeladen, die normalerweise nicht zur Zielgruppe gehören. Bringt Umsatz, gute PR – und sicher auch manch angenehme Erlebnisse im Kennenlernen, denn an so einem Tag sind Gäste und Gastgeber eher besonders nett zueinander.
Sowas könnte es auch bei den Kirchen und religiösen Gemeinden geben, eigentlich überall dort, wo in gesellschaftlichen Nischen freiwillig oder unfreiwillig die gemeinsame „Besonderheit“ die Gästeschaft bestimmt.
Bestimmt gibt es noch viele Ideen, deren Umsetzung dem Ab- und Ausgrenzungsbedürfnis den Boden entziehen könnte und damit auch dem inhärenten Alltagsrassismus. Dass sich etwas ändern muss, damit die Agenda der Rechtsextremisten (->Spaltung->Hass->Chaos->Bürgerkrieg) nicht irgendwann aufgeht, sollte mittlerweile klar sein.
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8 Kommentare zu „Rassismus in Deutschland, Terror von rechts – was tun?“.