Claudia am 05. März 2020 —

Randale: Die Lust junger Männer auf Gewalt

Obwohl ich die inflationäre Verwendung des Begriffs „toxische Männlichkeit“ oftmals kritisiere: Nach Sichtung der Doku: „Randale – Fußballfans außer Kontrolle“ stelle ich fest, dass es hier punktgenau passt! Der Film ist nur bis 21.4. verfügbar, Ihr solltet ihn nicht verpassen!

Noch nie hab‘ ich eine so beeindruckende Darstellung des gewaltbereiten Fan-Wesens gesehen! Meine Idee, mal ein Fußballstadion zu besuchen, um wenigstens einmal im Leben „die Stimmung“ in echt mitzubekommen, ist wieder auf den Nullpunkt gesunken.

Ultras, Hooligans, ihre Aktionen und Motive, ihre Opfer bei den regelmäßigen Gewalt-Exzessen nach den Spielen oder gar weitab davon („Ackerkämpfe“), die intensive Belastung der Polizei, die Millionen Arbeitsstunden damit zubringt, Fan-Gruppen zu trennen, oft ohne Erfolg – das alles ist verdammt heftig und zeigt: Es gibt eine große Lust auf Gewalt bei einem Teil der jungen Männer, die geradezu sprachlos macht!

Eigentlich war diese Gewaltlust unpolitisch, doch mittlerweile wurde sie von Rechtsextremen instrumentalisiert, so dass Hooligan-Gruppen als „militanter Arm von Pegida“ etc. agieren. Ganz gruslig, das alles!

Anders als früher gibt es keine allgemein gültigen Grenzen mehr in der Ausübung der Fan-Gewalt. Zwar soll eine Art „Ehrekodex“ unter Últras existieren, dass man auf schon am Boden liegende Leute nicht noch eintritt. Dass es Opfer mit schwersten Kopfverletzungen gibt, zeigt jedoch, dass dieser Kodex keineswegs eingehalten wird, wenn die Dinge mal am Laufen sind. Beteiligte geben auch offen zu, dass „im Adrenalinrausch“ Dinge passieren, die sie im nüchternen Zustand für schier unmöglich hielten.

An den Schulen gibt es das Bestreben, eine Anti-Gewalt-Erziehung zu etablieren, offenbar mit wenig Erfolg. Was eigentlich nicht wundert, denn die ganze Gesellschaft ist von Gewalt fasziniert. Allein die Krimi-Frequenz im TV spricht Bände, so kommen auch gewaltfrei lebende Menschen auf ihre Kosten, mich eingeschlossen. In den Medien bekommt Gewalt die höchste Aufmerksamkeit und immer noch ist Gewalt-Ausübung in vielen Szenen ein Beweis für Männlichkeit.

So haben die kämpfenden Fußballfans durchaus auch Angst – aber vor allem davor, sich vor ihren Gruppenmitgliedern zu blamieren. Das anfängliche Beleidigen und Anschreien der gegnerischen Fans, das drohende Gestikulieren – mich erinnert das ans Verhalten von Affengruppen, die Doku ist da sehr eindrücklich!

„Ich streue mir jetzt keine Asche aufs Haupt für all die Charaktere, die ich bis jetzt in Actionfilmen dargestellt habe. Aber ich habe ein Stadium in meinem Leben erreicht – wir haben ein Stadium in unserer Geschichte erreicht, wo ich mir sage, dass Gewalt nicht witzig oder anziehend wirken sollte.“
– Clint Eastwood

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Diskussion

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15 Kommentare zu „Randale: Die Lust junger Männer auf Gewalt“.

  1. Die Reportage habe ich 2015 zum ersten Mal gesehen. Es ist einfach erschreckend, was manche Menschen unter Freizeitgestaltung verstehen. Wir sprechen ja viel über die Verrohung unserer Gesellschaft. An solchen Beispielen kriegt man diesen Zustand plastisch vor Augen geführt. Die Verbindung zwischen diesen idiotischen Krawallmachern und der politischen Rechten sind höchstinteressant und haben sich seither wahrscheinlich dynamisch weiterentwickelt. Im Beitrag wurde gesagt, dass Hooligans als militanter Arm der Pegida gilt.

    Schaut man sich die Hackfressen im Beitrag an, kann man für sich nur eine Schlussfolgerung ziehen: nie mehr ins Stadion. Keiner kann einen davor beschützen, in etwas hineinzugeraten, das tödlich enden könnte. Ein Virus braucht es dazu nicht. Manche Menschen verfügen über ein todbringendes Potential.

    Thematisiert wird die Gewalt im Fußball wohl vor allem durch die „Proteste“ gegen den Hoppenheims Sponsor Hopp. Dass sich erst durch dieses Beispiel die Öffentlichkeit wieder mehr mit dem Gewalt-Phänomen, das den Fußball leider lange begleitet (http://www.cfc-fanpage.de/forum/read.php?1,59866,59883) beschäftigt, ist irgendwie allerhand. Ich möchte nicht wissen, wie viele rassistische Beleidigungen Spieler der 1. Liga aber auch aller darunter spielenden Vereine so auszuhalten. Darüber wird zwar geklagt aber längst nicht in dieser Heftigkeit. Die Vereine müssen vielleicht mehr gegen diese Leute unternehmen. Stadionverbote und sowas.

    Um gewalttätige Auseinandersetzungen solcher Ausmaße sowas wie ein erfüllendes Abenteuer zu sehen, muss man schon irgendwie besonders gestrickt sein. Mich stößt das von jeher massiv ab. Ich habe Angst vor dieser Gewalt, die sich ja nicht einmal im Affekt entlädt, sondern die oft bis in Details hinein geplant wird. Es zeichnet Frauen aus, dass sie an diesem „Kräftemessen“ (soweit ich weiß) nicht teilnehmen. Ich denke nicht, dass das nicht nur so ist, weil Frauen sich körperlich nicht gewachsen fühlen, denn es finden sich bestimmt auch Jungchens unter den Hooligans, bei denen ihr Ego und ihre Gewaltbereitschaft (aus Gründen) erheblich größer ist als ihre Physis es signalisiert. Und hoffentlich ist die fehlende Präsenz von Frauen nicht auf anderes zurückzuführen. https://11freunde.de/artikel/pyrotechnik-im-bh/572544

  2. Das wirkt ein wenig altbacken.

    „Eigentlich war diese Gewaltlust unpolitisch, doch mittlerweile wurde sie von Rechtsextremen instrumentalisiert…“ Sorry, aber schon 1986 waren Ultras rechts durchseucht. Das ist auch schon lange belegt und der Ex-Polizist, der nebenbei eben Hooligan war, hat dazu sogar einen Bestseller vor mittlerweile auch schon wieder 20 Jahren geschrieben.

    Ist der Begriff Wembley noch präsent?

    Vor allem ist die ganze Problematik wirklich viel geringer geworden. Die Höhepunkte dieser Antikultur waren die 80er, die 90er und im Osten noch die 00er Jahre. In England und Italien die 70er und 80er.

    Selbst wenn heutzutage Dynamo Dresden verliert sind noch mehr alle S-Bahnhaltestellen der Innenstadt anschließend kaputt.

    Als geschichtliches Anschauungsmaterial bietet sich da sogar Bielefeld an. Die damalige Blue Army (so der Name der dortigen Ultras) hat nach so einem Spiel gerne mal die örtliche Großraumdisse PC 69 zerlegt. Allerdings war die Bullizei (Dank Nähe) schnell mit einem Aufgebot von 5 bis 8 Mannschaftswagen zur Stelle. Schon damals gab es Verbindungen in das dortige Nazizentrum Bleichstraße (nur echt mit dem Natodraht im Vorgarten). Jedes mal endeten die Krawalle nicht ohne etliche Schwerverletzte (und zwar wirklich im Sinne schwerer Verletzungen). Das ist kein Stuss. Ich war mittendrin, denn ich war damals fast jedes Wochenende im PC 69. Mit Fußball konnte ich schon damals nix anfangen (nur leider wird man ständig damit konfrontiert). Für mich ist das nur logisch, dass die Massen Blödsinn bauen, wenn sie
    fast 2 h auf das erlösende Tor in der 89. Minute warten.
    Fußball ist, wenn man es nicht selber spielt, zum Zusehen einfach eine grottenlangweilige Veranstaltung. Logisch, dass die Leute dann anderweitig Beschäftigung suchen.

    Fakt ist: Die Gewalt hat rapide abgenommen. Die Spiele waren nie so sicher, wie heute (ich habe Kontakt zu einigen Tribühnenplatzathleten ).

    Fakt ist: der Fußball ist wesentlich schneller geworden, aber immer noch kein toller Hingucker.

    Fakt ist aber auch: Der Sensationsjournalismus dabei ist dermaßen übersteigert, weil jeder denkt, er könne noch schnell ’ne Million damit verdienen, weil er eben denkt, mit den Fußballfans die Mehrheit im Sack zu haben, dass man das gleiche Niveau, wie bei der Coronaberichterstattung erwarten darf: Nämlich keins.

    Wer sich das gerne antun möchte: Bitte! Es hat m. E. nie einen sichereren Zeitpunkt gegeben, Fußball live zu schauen.

    Wer auf Stadionstimmung steht, geht nach wie vor zum Ice Hockey und wer es eher kurzweilig mag und gerne etwas für`s Auge (außer der Faust) hat, schaut beim Volleyball oder Handball rein. Basketball wäre auch eine Variante, ist aber nicht überall vertreten.

  3. Habe gerade heute zufällig mit einem Fußballanhänger des örtlichen Vereins gesprochen, der regelmäßig zu Spielen geht. Der würde das sicher nicht voll und ganz unterstreichen, was der Film anscheinend zeigt. Sicher kocht das Thema auch im Rahmen der Hopp- Angelegenheit wieder auf. Aber auch die hat sehr viele Aspekte.
    Was mich eher aufregt – und nicht wirklich im Mittelpunkt der Berichterstattung steht – ist, dass inzwischen alle 72 Stunden hier bei uns ein Femizid begangen wird, und Frauenhass ein häufig von den Tätern genanntes Motiv bei rechten Gewalttaten ist. Solche Formate wie der Bachelor bestärken offensichtlich junge Männer in bestimmten Anrechten auf Frauen und ihr Entgegenkommen, was männliche Wünsche anbelangt. Wenn es dann in der Realität nicht klappt…
    LG

  4. @Claudia -Bezüglich „Toxischer Männlicheit“ äußert sich im dlf-Beitrag die Soziologin Sabine. „Hark hebt hier hervor, dass die Forschung „nicht von toxischen Männern, sondern von toxischer Männlichkeit“ spreche. Männlichkeit sei als kulturelles Konstrukt oder auch als Stereotyp zu verstehen. „Es geht nicht darum, jeden einzelnen Mann und das soziale Kollektiv der Männer gewissermaßen zu verurteilen oder haftbar zu machen, sondern eine bestimmte Vorstellung von Männlichkeit zu kritisieren.“
    https://www.deutschlandfunkkultur.de/soziologin-sabine-hark-zu-toxischer-maennlichkeit-es-geht.2950.de.html?dram:article_id=470542

    Somit ist die „Die Lust junger Männer auf Gewalt“ kein neues Phänomen, auch wenn es aktuell wieder im Fußball-Sport hochkocht. Denn die hier erwähnten jungen Männer orientieren sich an immer noch vorhandenen, wie wieder belebten Stereotypen, die Überlegenheit, Macht, Sieg, Hegemonie propagieren.

  5. @Astridka – dass Femizide unbedingt als gesamtgesellschaftliches Thema
    behandelt gehört, sehe ich auch so. Dass die Zuschreibungen von
    Geschlechterbildern Gewalt mit fördern ist hinlänglich bekannt und dass mit diesen Klischees Geschäfte gemach wird, auch:
    https://pinkstinks.de/maenner-als-tiere/

  6. Habe ich mir dieser Tage angeschaut:
    https://programm.ard.de/TV/arte/dicktatorship/eid_287242680566862

    „Italien wird da zur unterhaltsamen Fallstudie, wenn Gustav und Luca die fünf „Säulen“ untersuchen, von denen sie glauben, dass sie der Schlüssel zum Erfolgsrezept des Patriarchats sind: das Bildungssystem, das politische System, die Medien, die Kirche und die Familie.“

  7. @Horst: dass auch Frauen gewalltätig werden können, ist vielfach bewiesen. „Abzockende“ Mädchenbanden sind z.B. eine Erscheinungsform. Die Fußballgewalt hat allerdings eine andere Dimension, ist vergleichsweise ein Massenphänomen.

    @Juri: vielen Dank für dieses Update der Lage! Ich hab das nicht verfolgt, da ich seit eh und je Fußball-desinteressiert bin, eben wegen der von dir beschriebenen Langweiligkeit beim Zusehen! Dass das aggressive und gewaltbereite Fanwesen aber auf dieser „Langweiligkeit“ beruht, wie du andeutest, glaube ich nicht. Soweit ich Fans mitbekommen habe, finden sie das Zusehen überhaupt nicht langweilig, sondern mega-spannend!

    @Astridka: das habe ich doch im Artikel berücksichtigt, nämlich von „toxischer Männlichkeit“ gesprochen und eben nicht von „toxischen Männern“. Denke aber, dass Gewalt bei (nicht allen) jungen Männern kein allein kulturelles Phänomen ist, da immer schon junge Männer die „Krieger“ waren, die den Stamm verteidigten, für Angriffe zuständig waren und später auf den Schlachtfeldern der Kriege verheizt wurden. Da ist auch eine biologische Komponente im Spiel, die entweder kulturell genutzt und befördert, aber auch unterdrückt werden kann.
    Wobei es aus meiner Sicht immer eine Bandbreite zwischen eher männlich und eher weiblich disponierten Personen gibt, kein krasses entweder/oder.

    @Ute: den Film guck ich mir noch an. Italien ist schon ein besonderes Kapitel in Sachen Geschlechtsrollen. Ich war da per Familienurlaub jeden Sommer – bis ins 17.Jahr. Und hab das hautnah mitbekommen, weshalb ich unsere deutschen Jungs immer vergleichsweise harmlos bis hin zu „schüchtern“ fand. :-)

  8. Die Idee finde ich folgerichtig:
    „Ein Anti-Patriarchatstag würde neue Perspektive eröffnen“

    „Der Internationale Frauentag sei eine Art Muttertag, der nicht das Kernproblem thematisiere, beklagt die Direktorin des Center for Intersectional Justice Emilia Roig im Dlf. Sie schlägt einen Anti-Patriarchatstag vor. Denn auch Frauen würden das Patriarchat tragen und auch Männer würden darunter leiden.“

    https://www.deutschlandfunk.de/kritik-an-frauentag-ein-anti-patriarchatstag-wuerde-neue.694.de.html?dram:article_id=471977

  9. „Da ist auch eine biologische Komponente im Spiel, die entweder kulturell genutzt und befördert, aber auch unterdrückt werden kann.“

    In jedem Fall wird sie gesteuert. Zu Hause, in den Kitas, den Grund- und weiterführenden Schulen. Ob dort immer die richtigen Bahnen gewählt werden, um diese biologische Komponente im jungen Erwachsenenalter sozialverträglich zu gestalten, halte ich für Wert hinterfragt und ganz praktisch angegangen zu werden.

  10. @Claudia: Stichwort Italien:
    „Die Zahl der Frauenmorde nimmt in Italien seit Jahren nicht ab– aller Bemühungen der Politik zum Trotz. Jetzt soll es ein neues Gesetz richten. Doch Feministinnen sehen darin nur Stückwerk. Sie fordern eine Wende im Denken und neue Rollenbilder.“
    https://www.arte.tv/sites/de/story/reportage/frauenmorde-ein-unvermeidliches-verbrechen/#frauenmorde-ein-unvermeidliches-verbrechen

  11. „da immer schon junge Männer die „Krieger“ waren, die den Stamm verteidigten, für Angriffe zuständig waren“
    @Claudia, ich denke, dieser evolutionsbiologische Gedanke reicht nicht allein aus, um das Phänomen zu erklären, du weisst das auch.
    Sapolsky hat in seinem (jüngsten) Wälzer „Gewalt und Mitgefühl: Die Biologie des menschlichen Verhaltens“ versucht, die (männliche) Gewaltlust zu erklären. Er lehnt u.a. auch das Testosteron dediziert und nachvollziehbar als Ursache ab.
    Was es ist, kann schwer bestimmt werden!!
    Man kann ja nicht einfach darauf hinweisen: Biologie + Testosteron + Prägung/Erziehung durch Kindheit+++ würden als Produkt wirksam. Oder doch?

  12. Mein Kommentar scheint nicht angekommen zu ein?!

  13. Danke, Ute!
    Ich habe eben in diesen Artikel reingeschaut, er scheint ein wertvoller Beitrag zur Geschlechterdiskussion.
    Die Idee, daß ein Träger von XY-Chromosomen benachteiligt ist gegen XX-Träger, ist bekannt. (Rotgrünblindheit etwa).
    Daß XY dadurch, daß kein Korrektiv (2tes X) vorhanden ist, dadurch (automatisch) Schaden nimmt, überzeugt mich erstmal nicht. Wieso sollte daraus erhöhte Agressivität erwachsen (zumindest in einem erhöhten Prozentsatz?) Und/oder ein Schwächegefühl, das XY zu Kraftfiguren zieht?
    Nunja, wie immer ist vielleicht etwas daran wahr.

    Ich muß aber den Artikel zur Völle lesen, um mir ein Bild zu machen.

  14. @Gerhard – geht mir wie dir, dass dass mich die Chromosomen-‚Schaden‘-Interpretation nicht überzeugt, vor allem ist daraus sicherlich keine Antwort abzuleiten, was die Frage nach „toxischer Männlichkeit“ betrifft.
    Diese scheint sich vor allem in Abgrenzung/Abwertung zu dem was als weiblich/weibisch) „markiert“ wird, zu entwickeln.

    Simone de Beauvoirs Zitat:
    „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird dazu gemacht.“
    trifft wohl auch auf ‚den Mann‘ zu.

    Gerade wird auf das Erscheinen des Buches „Prinzessinnenjungs“ von Nils auf Pinkstinks aufmerksam gemacht.
    Lesenswerter Auszug dazu:
    https://app.getresponse.com/view.html?x=a62b&m=bUisN&mc=Is&s=M0FXD4&u=NqaG&y=U&z=EyoF9DA&