Mit zunehmendem Alter denke ich öfter darüber nach: Was würde ich bedauern, wenn ich jetzt sterben würde? Was habe ich in diesem Leben versäumt, das ich gerne noch getan hätte? Lange ist mir nichts eingefallen, doch kürzlich – ein paar Wochen vor Corona – dann doch etwas: Ich möchte unbedingt mal Bogenschießen ausprobieren!
Wohl gemerkt: Ausprobieren. Ich habe nicht vor, mir ein neues Hobby zuzulegen und das Bogenschießen dauerhaft als Freizeitsport zu etablieren. Ich will es einfach mal erleben, jetzt im vorgerückten Alter, bevor es physisch nicht mehr geht.
Warum? Es ist ein unerfüllter Kindheitswunsch. In meiner Kinderbande spielten wir oft „Cowboy und Indianer“. Als Cowboy hatte man eine Pistole, bestehend aus einem Stock, an dessen einem Ende mehrere hölzerne Wäscheklammern als Griff dienten. Irgendwann waren es dann auch mal „richtige“ Spielzeugpistolen, die man mit „Zündplättchen“ laden konnte, so dass es auch richtig knallte. Als Indianer hatten wir Pfeil und Bogen, natürlich selbst gemacht: aus Stöcken und einem so labbrigen Gummiband, dass die Pfeile nie gerade und auch nicht weit flogen. Wir konnten uns damit gegenseitig beschießen, ohne dass es auch nur weh tat.
Irgendwie unbefriedigend! Als dann der Neckermannkatalog kam und wir Kinder Weihnachtswünsche äußern durften, versteifte ich mich auf einen Kinderbogen – ein Gerät mit Pfeilen, an deren Ende Gummistopfen angebracht waren, die beim Schießen auf eine glatte Fläche dort kleben bleiben sollten. Wow, war ich begeistert, war hingerissen von der Perfektion des Bogens, so im Vergleich zu den miesen Bögen aus irgendwelchen Stecken. Dazu die Aussicht, ein Ziel wirklich zu treffen, an dem der Pfeil kleben bleiben würde!
Tja, Wünschen ist das eine, Bekommen das andere. Meine Eltern waren von meinem Wunsch nicht überzeugt. Nicht „wegen bösem Kriegsspielzeug“, sondern aus Angst, ich würde damit überall in der Wohnung unkontrolliert herum schießen. Ich war todunglücklich! Eine lange und intensive Sehnsucht wurde nicht erfüllt. Frust hoch zehn!
Später dachte ich nicht mehr ans Bogenschießen. Meine Interessen gingen in völlig andere Richtungen – und Sport war eher Mord, wobei ich Bogenschießen gar nicht „unter Sport“ eingeordnet hätte. Es war einfach raus aus meiner Welt.
Zen und Bogenschießen
Mit einer Ausnahme: als ich begann, mich für Weisheitsbücher aller Traditionen zu interessieren, ist mir auch Herrigels „Zen in der Kunst des Bogenschießens“ aufgefallen. Vermutlich habe ich das Buch nie gelesen, jedenfalls erinnere ich mich nicht daran. Es gehörte jedoch zu den „angesehenen Büchern“, ebenso wie „Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten“. Als junge „Suchende“ fand ich die Idee, das Bogenschießen als meditative Praxis auszuüben, zwar toll, aber doch sehr entlegen. Ich las viel über Zen, hatte aber schon Mühe genug, eine normale Sitzmeditation durchzustehen, geschweige denn, dass ich dabei noch einen Bogen halten wollte! :-)
Vom Verständnis war ich weit entfernt, obwohl ich schrecklich gerne „dem Weg des Zen“ oder irgend einem anderen, viel versprechenden Lebensweg abseits vom Üblichen gefolgt wäre. Erst mit 37 traf ich meinen Yoga-Lehrer, der meditativen Yoga im Geist des Zen lehrte. Und ich begann, zu verstehen. Eine Sache, die eben nicht mit dem Kopf alleine gelingt, so sehr man sich auch denkerisch engagiert.
Ohne je einen richtigen Bogen in der Hand gehabt zu haben, meine ich heute zu wissen, was dieser Stil ist: eine Übung, bei der die Konzentration nicht auf dem Ziel, auf Wettbewerb und Besser-werden-wollen ruht, sondern auf dem Gewahrsein dessen, was ist: Die genaue Bewegung und Haltung, die Empfindungen im Körper, Spannung, wo sie sein muss, loslassen, wo sie überflüssig ist. Das Atmen in Übereinstimmung mit der Bewegung, die Konzentration, die die Gefühle verebben lässt – wie sich die Wellen beruhigen, nachdem man einen Stein ins Wasser geworfen hat. Und die Leere, die sich einstellt, wenn der Gedankenstrom zur Ruhe kommt – und im Moment der totalen Stille geht der Pfeil ab.
Einfach mal ausprobieren
Wenn ich heute daran denke, das Bogenschießen auszuprobieren, bin ich nicht auf einen bestimmten Stil festgelegt. Ich möchte gerne „einmal quer durch“ ausprobieren, es gibt ja ganz verschiedene Bogenarten mit unterschiedlicher Technik. Gerne versuche ich den meditativen Stil, würde aber auch effektivere Recurvebögen ausprobieren wollen – und ja: mal ein Ziel treffen!
Ich hatte schon nach Schnupperworkshops gesucht, vielleicht an einem Samstag in kleiner Gruppe für nicht allzu viel Geld. Doch dann kam Corona und wirklich nah war ich an der Umsetzung der Idee noch nicht gewesen.
Heute mittag schrieb dann Robin auf Twitter – den Bezug hab‘ ich nicht mitbekommen:
„Bitte bezeichnet Bogenschießen nicht als Reichensport, das mag anderswo so sein, aber in Deutschland sind da nur Nerds und Waldschrate vertreten, bleibt doch mal realistisch ey .
Ist übrigens auch nicht wirklich teuer, wenn man das Equipement mal hat, wobei es dort natürlich nach oben hin keine Grenzen gibt, aber man MUSS nicht viele hundert Euro dafür ausgeben (hab ich auch nicht). Ist auch ein riesiger Unterschied, ob man Blank, Recurve oder Compound schießt, aber wem erzähl ich das -.-„
Ich fragte sie, ob sie nicht mal drüber bloggen könnte, darauf sie:
„Das hab‘ ich seit acht Jahren vor!“
Vielleicht mag sie ja jetzt? Ich würde gerne von den Erfahrungen anderer lesen, die mit dieser Idee Ernst gemacht haben. (Nerds und Waldschrate klingt schon mal sympathisch)
Vielleicht schaffe ich es in diesem Leben ja noch, einen Bogen in die Hand zu bekommen. Corona zeigt, dass nicht „immer alles“ zur Verfügung steht, um einen altem Kinderwunsch zu erfüllen. Erinnert mich daran, dass ich die schönen Dinge besser nicht auf den St.Nimmerleinstag verschiebe, ich könnte sie sonst ganz verpassen.
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34 Kommentare zu „Vom Bogenschießen (mal was Anderes!)“.