Die in meinem Artikel „1-Euro-Jobs: demütigende, sinnlose Beschäftigungen“ zitierte ARD-Sendung „Die Armutsindustrie“ ist seit einigen Tagen auf YouTube zu sehen:
Hier geht’s zu Teil 2 und Teil 3.
Schaut mal ‚rein, wenn Ihr den Film noch nicht kennt! Es beginnt mit einen Unternehmer, der einen Weg suchte, um Trampoline in Deutschland herstellen zu lassen: zu Preisen, die mit China konkurrieren können. Die LÖSUNG dieses Problems: Arbeitslose stellen die Teile her, deren Arbeit über Lohnkostenzuschüsse, also mit öffentlichen Geldern finanziert wird. Die ARGE schickt die Arbeitslosen als 1-Euro-Jobber zu Firmen, die auf dieser Basis Leute beschäftigen bzw. für sie sogenannte „Praktika“ veranstalten. So entsteht eine parallele, weitgehend entrechtete Arbeitswelt. „Dieser Film zeigt, wie aus dem Mangel an Arbeit ein Geschäft geworden ist und fragt: Wer profitiert eigentlich davon?“
Ursprünglich sollten 1-Euro-Jobs mal auf „zusätzliche und gemeinnützige Arbeit“ beschränkt sein – hier sieht man, wie diese Vorgabe lange schon nicht mehr berücksichtigt wird. Weiter seht Ihr auch etliche dieser echt bizarren Pseudo-Beschäftigungen, wie zum Beispiel monatelanges Puzzle-legen oder das Häkeln und Stricken von Stramplern für angeblich hierzulande frierende Frühgeborene (!).Und Frauen müssen an die Nähmaschinen, obwohl es doch in Deutschland gar keine Textilindustrie mehr gibt, bei der sie dann später mal einen Job finden könnten – aber darauf kommt es ja auch gar nicht an!
Traum und Wirklichkeit
Martina Kausch hatte einen TRAUM zu diesem Film:
Mit Erstaunen nehme ich beim Spaziergang durch die Einkaufsstraßen zur Kenntnis, welch eine für eine mediale und politische Resonanz der Film des WDR „Die Armutsindustrie“ ausgelöst hat. Das durch diesen mehr als interessanten Film ausgelöste gesellschaftliche Beben scheint die aktuellen Wahlkampfaktivitäten gänzlich auf den Kopf zu stellen.
Die Schlagzeilen überwerfen sich mit den neuesten Hintergrundberichten zu den Geschäftemachern mit der Armut. Die Bundesregierung stellt inzwischen offen die derzeitigen Beschäftigungsmaßnahmen von Langzeitarbeitslosen in Frage und überlegt, ob die jährlich gezahlten 50 Mrd. Euro nicht doch besser in Existenzgründungsmaßnahmen und qualifizierten und zukunftsorientierten Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen eingebracht werden sollten.
Und ich bemerke, wie sich einige Personen, die bislang immer im neoliberalen Stil auf die Erwerbslosen als „Parasiten, Schmarotzer, Faullenzer“ usw. eingeprügelt hatten, sich in aller Form vor den laufenden Kameras entschuldigen, um dann….
Rrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrring Rrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrring
Tja, das war halt nur ein Traum. Die Realität sieht anders aus: „Die Politiker schweigen und kümmern sich derzeitig um ihre Wahlkampfprobleme. Und das Schweigen in der Politik geht durch alle Parteien. Kein Bellen, kein Scharfschießen, keine Absichtserklärung, sich dieses Sachverhalts sofort anzunehmen. Und von den Gewerkschaften hört man nichts, keine Stellungnahme, kein Protest, keine Streikankündigung… Schweigen im Walde!“
Auf die beeindruckende Doku von Eva Müller gab es tatsächlich kaum Resonanz, das Wenige sei hier erwähnt:
- Deutschland, deine Armutsindustrie (SozLog);
- Die Armutsindustrie – TV-Doku auf YouTube (Santa Prekaria)
- Teure Beschäftigungstherapie – Diskussion im Erwerbslosenforum;
- „Kein Ding machen“ (Süddeutsche): „Es war ein Rekord. In nur zehn Tagen hat jemand bei der Dekra-Fortbildungsfirma Toys Company ein gespendetes Puzzle gelegt, um zu überprüfen, ob alle 5000 Teile vorhanden sind. Am Ende waren es nur 4997 Teile, das Puzzle also eine ungeeignete Spende, aber der Ein-Euro-Jobber hatte immerhin zu tun.“
- Zehn Tage Arbeit für ein Puzzle (TAZ): „Müller selbst sagt, sie sei bei den Dreharbeiten „erstaunt gewesen, wie normal manch einer es findet, 1-Euro-Jobber, die vom Steuerzahler bezahlt werden, in der Produktion für ein ganz normales Produkt einzusetzen“. Der Film der Autorin, die immer wieder mit herausragenden Sozialreportagen glänzt, zeigt auch Arbeitslose, die als Praktikanten bei Logistikunternehmen Lieferungen zusammenstellen. Oder Frauen, die als 1-Euro-Kraft putzen – auch bei Stadträten und Rechtsanwälten. Und eine Langfassung der „ARD Exklusiv“-Doku, die im August im WDR zu sehen sein wird, befasst sich mit einem Supermarkt, betrieben von 1-Euro-Jobbern.“
Was die Parteien vorhaben
Und weil ja grade Wahkampf ist, hier eine passende Zusammenstellung der jeweiligen Wahlprogramme in Sachen Hartz4/ALG2, die sich auf Somlu’s Welt findet. Da lese ich über die Vorhaben der CDU, die ja die besten Chancen hat, weiter am Ruder zu bleiben:
„Ebenfalls will CDU/CSU die Pflicht zur Gegenleistung im SGB II gesetzlich verankern. Konkret sollen arbeitslose ALG II Empfänger per Gesetz dazu verpflichtet werden, ihre Arbeitskraft im Austausch für ihr ALG II kostenlos zur Verfügung zu stellen. Wer sich weigert, soll kein ALG II erhalten. Dazu sollen die sog. 1€ Job umfangreich ausgebaut und deren Beschränkungen auf den öffentlichen Sektor entfallen, so dass auch ein Einsatz von 1€ Jobbern in der Privatwirtschaft endlich legal wird.
Dahinter verbirgt sich das bereits von CDU/CSU unter dem Begriff “Workfare” bekannt gemachte und von Interessengemeinschaften der Wirtschaft (INSM, IFO) entwickelte Modell, das u.a. auch eine weitere Bindung des ALG II an solche 1€ Jobs beinhaltet: ein Teil des ALG II soll als “Grundlohn” gezahlt werden, den der ALG II Empfänger durch 1€ Jobs dann zur vollen Regelsatzhöhe aufstocken kann bzw. muss, wenn er überleben will.“
Die Lohnsklaverei soll also für Privatfirmen legalisiert werden, denen die Hungerlöhne des Billiglohnsektors noch immer nicht niedrig genug sind. Wenn ich dran denke, wie viele im September CDU wählen, weil „Angie“ ja so einen guten Eindruck macht… ob die DAS wohl alle so gutheißen?
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27 Kommentare zu „Die Armutsindustrie – TV-Doku und Resonanz“.