Claudia am 20. Juli 2009 —

Die Armutsindustrie – TV-Doku und Resonanz

Die in meinem Artikel „1-Euro-Jobs: demütigende, sinnlose Beschäftigungen“ zitierte ARD-Sendung „Die Armutsindustrie“ ist seit einigen Tagen auf YouTube zu sehen:

Hier geht’s zu Teil 2 und Teil 3.

Schaut mal ‚rein, wenn Ihr den Film noch nicht kennt! Es beginnt mit einen Unternehmer, der einen Weg suchte, um Trampoline in Deutschland herstellen zu lassen: zu Preisen, die mit China konkurrieren können. Die LÖSUNG dieses Problems: Arbeitslose stellen die Teile her, deren Arbeit über Lohnkostenzuschüsse, also mit öffentlichen Geldern finanziert wird. Die ARGE schickt die Arbeitslosen als 1-Euro-Jobber zu Firmen, die auf dieser Basis Leute beschäftigen bzw. für sie sogenannte „Praktika“ veranstalten. So entsteht eine parallele, weitgehend entrechtete Arbeitswelt. „Dieser Film zeigt, wie aus dem Mangel an Arbeit ein Geschäft geworden ist und fragt: Wer profitiert eigentlich davon?“

Ursprünglich sollten 1-Euro-Jobs mal auf „zusätzliche und gemeinnützige Arbeit“ beschränkt sein – hier sieht man, wie diese Vorgabe lange schon nicht mehr berücksichtigt wird. Weiter seht Ihr auch etliche dieser echt bizarren Pseudo-Beschäftigungen, wie zum Beispiel monatelanges Puzzle-legen oder das Häkeln und Stricken von Stramplern für angeblich hierzulande frierende Frühgeborene (!).Und Frauen müssen an die Nähmaschinen, obwohl es doch in Deutschland gar keine Textilindustrie mehr gibt, bei der sie dann später mal einen Job finden könnten – aber darauf kommt es ja auch gar nicht an!

Traum und Wirklichkeit

Martina Kausch hatte einen TRAUM zu diesem Film:

Mit Erstaunen nehme ich beim Spaziergang durch die Einkaufsstraßen zur Kenntnis, welch eine für eine mediale und politische Resonanz der Film des WDR „Die Armutsindustrie“ ausgelöst hat. Das durch diesen mehr als interessanten Film ausgelöste gesellschaftliche Beben scheint die aktuellen Wahlkampfaktivitäten gänzlich auf den Kopf zu stellen.

Die Schlagzeilen überwerfen sich mit den neuesten Hintergrundberichten zu den Geschäftemachern mit der Armut. Die Bundesregierung stellt inzwischen offen die derzeitigen Beschäftigungsmaßnahmen von Langzeitarbeitslosen in Frage und überlegt, ob die jährlich gezahlten 50 Mrd. Euro nicht doch besser in Existenzgründungsmaßnahmen und qualifizierten und zukunftsorientierten Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen eingebracht werden sollten.

Und ich bemerke, wie sich einige Personen, die bislang immer im neoliberalen Stil auf die Erwerbslosen als „Parasiten, Schmarotzer, Faullenzer“ usw. eingeprügelt hatten, sich in aller Form vor den laufenden Kameras entschuldigen, um dann….
Rrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrring Rrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrring

Tja, das war halt nur ein Traum. Die Realität sieht anders aus: „Die Politiker schweigen und kümmern sich derzeitig um ihre Wahlkampfprobleme. Und das Schweigen in der Politik geht durch alle Parteien. Kein Bellen, kein Scharfschießen, keine Absichtserklärung, sich dieses Sachverhalts sofort anzunehmen. Und von den Gewerkschaften hört man nichts, keine Stellungnahme, kein Protest, keine Streikankündigung… Schweigen im Walde!“

Auf die beeindruckende Doku von Eva Müller gab es tatsächlich kaum Resonanz, das Wenige sei hier erwähnt:

  • Deutschland, deine Armutsindustrie (SozLog);
  • Die Armutsindustrie – TV-Doku auf YouTube (Santa Prekaria)
  • Teure Beschäftigungstherapie – Diskussion im Erwerbslosenforum;
  • „Kein Ding machen“ (Süddeutsche): „Es war ein Rekord. In nur zehn Tagen hat jemand bei der Dekra-Fortbildungsfirma Toys Company ein gespendetes Puzzle gelegt, um zu überprüfen, ob alle 5000 Teile vorhanden sind. Am Ende waren es nur 4997 Teile, das Puzzle also eine ungeeignete Spende, aber der Ein-Euro-Jobber hatte immerhin zu tun.“
  • Zehn Tage Arbeit für ein Puzzle (TAZ): „Müller selbst sagt, sie sei bei den Dreharbeiten „erstaunt gewesen, wie normal manch einer es findet, 1-Euro-Jobber, die vom Steuerzahler bezahlt werden, in der Produktion für ein ganz normales Produkt einzusetzen“. Der Film der Autorin, die immer wieder mit herausragenden Sozialreportagen glänzt, zeigt auch Arbeitslose, die als Praktikanten bei Logistikunternehmen Lieferungen zusammenstellen. Oder Frauen, die als 1-Euro-Kraft putzen – auch bei Stadträten und Rechtsanwälten. Und eine Langfassung der „ARD Exklusiv“-Doku, die im August im WDR zu sehen sein wird, befasst sich mit einem Supermarkt, betrieben von 1-Euro-Jobbern.“

Was die Parteien vorhaben

Und weil ja grade Wahkampf ist, hier eine passende Zusammenstellung der jeweiligen Wahlprogramme in Sachen Hartz4/ALG2, die sich auf Somlu’s Welt findet. Da lese ich über die Vorhaben der CDU, die ja die besten Chancen hat, weiter am Ruder zu bleiben:

„Ebenfalls will CDU/CSU die Pflicht zur Gegenleistung im SGB II gesetzlich verankern. Konkret sollen arbeitslose ALG II Empfänger per Gesetz dazu verpflichtet werden, ihre Arbeitskraft im Austausch für ihr ALG II kostenlos zur Verfügung zu stellen. Wer sich weigert, soll kein ALG II erhalten. Dazu sollen die sog. 1€ Job umfangreich ausgebaut und deren Beschränkungen auf den öffentlichen Sektor entfallen, so dass auch ein Einsatz von 1€ Jobbern in der Privatwirtschaft endlich legal wird.

Dahinter verbirgt sich das bereits von CDU/CSU unter dem Begriff “Workfare” bekannt gemachte und von Interessengemeinschaften der Wirtschaft (INSM, IFO) entwickelte Modell, das u.a. auch eine weitere Bindung des ALG II an solche 1€ Jobs beinhaltet: ein Teil des ALG II soll als “Grundlohn” gezahlt werden, den der ALG II Empfänger durch 1€ Jobs dann zur vollen Regelsatzhöhe aufstocken kann bzw. muss, wenn er überleben will.“

Die Lohnsklaverei soll also für Privatfirmen legalisiert werden, denen die Hungerlöhne des Billiglohnsektors noch immer nicht niedrig genug sind. Wenn ich dran denke, wie viele im September CDU wählen, weil „Angie“ ja so einen guten Eindruck macht… ob die DAS wohl alle so gutheißen?

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Diskussion

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27 Kommentare zu „Die Armutsindustrie – TV-Doku und Resonanz“.

  1. @Claudia, bei der Zusammenstellung handelt es sich um die Zusammenfassungen aus den Regierungsprogrammen.

  2. also zumindest das mit den frühchen scheint wirklich nicht so sinnfrei zu sein (vom rest mal abgesehen, da kennst du meine meinung):

    frühchenstricken.de

  3. @Limone: du meinst tatsächlich, in unserem Land gäbe es keine andere Möglichkeit, Frühgeborene zu kleiden als durch die Quasi-Zwangsarbeit von Hartz4ern??

    Soviel ich weiß, liegen Frühchen in warmen Brutkästen – und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie dann nackt aus dem Krankenhaus entlassen werden!

    Update: grade erst den Link gesehen – na aber hallo! Wenn das tatsächlich eine Angebotslücke ist, könnte ja ein ganz normales Unternehmen diesen Bedarf decken. Es gibt doch jede Menge Firmen, die z.B. Bedarfsartikel für die entlegensten Pflege-Bedürfnisse herstellen – warum zum Teufel sollen da Arbeitslose für 1 Euro stricken?

  4. Der Vollständigkeithalber ich habe auch über diese Doku geschrieben:

    Offener Vollzug in der Beschäftgungsindustrie

  5. @somlu: ist denn da ein Unterschied zwischen Regierungsprogramm / Wahlprogramm? Im zitierten Text steht wörtlich:

    „Wahlaussagen sind von allen Parteien schnell gemacht. Wir wollen hier diese Aussagen so sachlich und objektiv wie möglich zusammenfassen und wiedergeben. Eine komplette Analyse der Regierungsprogramme und Vorhaben der Parteien würde den Rahmen hier sprengen, deshalb haben wir uns nur auf den durch diese Frage begrenzten Bereich konzentriert und die Kernaussagen der Parteien dazu zusammen gefasst.“

  6. @Claudia, hm, keine Ahnung, ist nicht klar, woher die, die Aussagen genommen haben. Ich habe die schon angeschrieben, ob sie nicht mal die Quellen angeben möchten, damit wir wissen, was wir da überhaupt weiter verlinken, bisher kam da noch keine Antwort.

  7. @claudia ich wundere mich allerdings auch, warum kein mensch bereit ist, geld für die einkleidung von frühchen auszugeben. die haben doch eltern??? was ist mit denen???
    mir ging es auch eher darum, ob überhaupt ein bedarf da ist, und das scheint der fall zu sein. offenbar geht es um die zeit, wo die frühchen aus dem brutkasten schon draußen sind. was die frage nicht beantwortet, warum es keinen regulären markt dafür gibt.

    ohnehin liegt der skandal weniger in der sinnhaftigkeit oder sinnfreiheit von tätigkeiten – es gibt so viele sinnlose zeitvernichtung in regulären angestelltenverhältnissen, dass man da ganz schnell aufhören muss, die sinnfrage zu stellen. der eigentliche skandal liegt darin, dass über diesen parallelen „zwangsarbeitsmarkt“ niedrigstlöhne etabliert werden und reguläre, vernünftig bezahlte jobs verdrängt werden und nur eine seite der gesellschaft davon profitiert.

    ich würde lieber strampler für säuglinge stricken, als eine wand aufzubauen und gleich wieder abzureißen, aber die grundbedingung für das alles muss ein ordentlicher, der arbeit und dem markt angemessener lohn sein und eine gewisse wahlfreiheit bei der auswahl der arbeit. ich schreibe „eine gewisse“, weil man auch als regulärer angestellter nur eingeschränkte wahlmöglichkeiten hat, man kann nie ganz kontrollieren, welche stationen man innerhalb eines unternehmens nach einstellung durchläuft, und auch bei der auswahl der arbeitsstelle muss man sich am markt orientieren und kann nicht nur nach neigung gehen. wenn ich z. b. für mein leben gern töpfere, heißt das nicht, dass ich auch zwangsläufig einen arbeitgeber finde, der mich dafür bezahlt, oder genug kunden, die meine ware kaufen, und muss daher ggf. was anderes machen, was mir weniger spaß macht, aber ein einkommen bringt, jedenfalls sieht es so aktuell in unserer erwerbswelt aus.

  8. Nur ein lokaler Einzelfall, oder der Beginn einer bundesweiten Veränderung???

    „So genannte 1-Euro-Jobs, Trainingsmaßnahmen und dergleichen sind in Köln derzeit nicht mehr im Angebot.“

    http://www.die-keas.org/node/291
    http://www.die-keas.org

    Ein Fünkchen Hoffnung blitzt auf, allerdings stellt sich einem unwillkürlich die Frage, ob nach dem Regen die Traufe angeordnet wird…

    Gruss Micayon

  9. Noch etwas was mir wichtig erscheint:

    Stellungsnahme der „neuen Arbeit“ zu dem Videobeitrag.

    http://www.neuearbeit.de/cmssystem/images/stories/PDF/kommentar.pdf

    Man sollte sehr achtsam sein und den „Volkszorn“ vielleicht nicht ZU sehr auf die einzelnen „Ferkelchen“ richten, um diese durchs Dorf zu treiben, nur weil diese besser zu fassen sind, während die „Muttersau“ sich scheinbar unantastbar im Wolkenkuckucksheim der Hochfinzanz und der Konzerne suhlt… Dass wir uns schon auf den unteren Ebenen gegenseitig zerfleischen und abreagieren, käme den Damen u. Herren der Schutzschirmprofiteure wohl sehr gelegen…

    Immer beide Seiten anhören, wo es möglich ist. Es scheint zumindest eine gewisse Einsicht bei einigen LT vorhanden zu sein.

    Gruss Micayon

  10. @micayon: danke für die aufschlussreichen links! da ist schon einiges zum nachdenken dabei.

  11. Die TV-Doku ist wirklich gut, also kann nur echt jedem empfehlen da mal reinzuschauen, gibts ja wie hier gesagt wird, eh auf Youtube :)

  12. Danke Micayon!! Ich habe die Links verfolgt und die Erklärung des Geschäftsführers der „Neuen Arbeit“ gelesen. Ja, ich finde es hat Hand und Fuß, was er sagt, die Problematik ist komplexer, als sie in der Film-Doku rüber kam.

    Trotzdem stimmt der große Tenor: es werden weit mehr „normale Arbeitslose“ von der ARGE mit sinn-armen bis sinn-leeren (aber niemals „sinn-dichten“!) Maßnahmen schikaniert, als Menschen mit „multiplen Problemlagen“ von engagierten Trägern sinnvoll beschäftigt!

    Dass die MAE-Maßnahmen (aus Geldmangel und wegen mangelnder Erfolge) zurück gefahren werden, war mir schon bekannt: auch von Berlin hört man das länger schon, wenn ich auch nicht weiß, wie weit es bereits umgesetzt ist. Genau wie du befürchte ich: da kommt nichts Besseres nach.

    Ich finde es jedenfalls lobenswert, dass die „Neue Arbeit“ ihre Stellungnahme ins Netz gestellt hat, an deren Ende es heißt:

    „Auf Grund der komplizierten Materie und der Verführung mit plakativen und einfachen Darstellungen Politik zu machen, wird auch in Zukunft immer wieder eine solche Auseinandersetzung an der Tagesordnung sein. Die Neue Arbeit hat es sich nicht ausgesucht, aber wir sind bereit, das Thema „öffentliche Beschäftigung“ nochmals politisch zu forcieren und endlich von der Politik eindeutige Bekenntnisse abzuverlangen.“

    Ich empfehle den Text der Lektüre, denn er informiert über im Film ausgeblendete Aspekte und bietet viel Stoff zum weiterdenken. Zudem ist er ein Beitrag zum „großen Gespräch“ im Netz, der dasselbe Recht hat, gewürdigt zu werden wie irgend ein Blogposting in dieser Sache.

    Evtl. werde ich in einem nächsten Beitrag noch darauf zu sprechen kommen.

  13. Der Geschäftsführer hat Menschen, denen sogenannte Vermittlungshemmnisse nach §16e SGB II zugestanden werden, haben auch nach Ansicht der Behörde überhaupt keine Chance mehr auf dem ersten Arbeitsmarkt.

    Für alle die nicht wissen, was dieser Paragarph besagt, eine kurze Erklärung. Der §16e bezieht sich auf Menschen mit so schwerwiegenden Problemen, wie nicht mehr abbaubare Schulden, älter als 50, Ausbildung für unsere Zeit nicht mehr relevant, dass selbst die Behörde nicht mehr glaubt, dass diese Menschen eine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt haben. In diesem Fall bekommen Unternehmen, die diese Menschen einstellen bis zu 75% der Kosten für den Mitarbeiter vom Staat bezahlt. In den ersten beiden Jahren werden die Kriterien überprüft und wenn sich an den sogenannten Vermittlungshemmnissen nichts geändert hat, kann dieser Lohnkostenzuschuss bis zur Rente gezahlt werden. (dies ist keine rechtsverbindliche Auskunft)

    Mir ist unklar, wieviel der 1600 „Mitarbeiter“ der Neuen Arbeit“ unter den 16e fallen und wieviele dort im Rahmen einer Integrationsmaßnahme (1 Euro Job) tätig sind.

    Wenn die Masse dieser 1600 Leute unter den 16e fallen (Ob sie das tun, bezweifel ich, denn Leistungen nach 16e werden selten ausgezahlt, wegen der hohen Kosten), wird damit sehr deutlich, dass wir von den Politikern belogen werden. Denn der 16e zeigt, dass den Verantwortlichen für dsa SGBII sehr wohl klar ist, dass nicht alle einen Arbeitsplatz finden werden, wenn sie nur wollen. Und der 16e manifestiert die Haltung, dass das Problem bei den Erwerbslosen liegt. Zu verschuldet, zu krank zu alt usw.- das sind in den Erwerbslosen liegende Gründe, warum jemand keine Arbeit mehr findet. Also muss es auch intrapersonale Gründe geben, wenn einer oder eine ohne diese „Vermittlungshemnisse“ keine Arbeit findet. Somit müssen, nach dieser Logik, wenn „so einer“, der ja sonst keine Probleme hat, seine Motivation, Arbeitsbereitschaft, Teamfähigkeit usw. usf. überprüft werden. Weil es ja nicht sein kann, dass wir ein strukturelles Problem haben.

  14. Dann will ich mal ergänzend einen anderen Passus der Stellungnahme zitieren, der die strukturellen Probleme ansatzweise beschreibt:

    „Eine andere nicht benannte aber gravierende Beobachtung ist die Tatsache, dass sich neben der Wirtschaft seit knapp zehn Jahren staatliche bzw. kommunale Unternehmen, wie Stadtwerke, DB, Telekom oder Post durch und durch ökonomisch verhalten. Dort werden die Beschäftigungsmöglichkeiten für Einfachqualifizierte und Menschen mit Problemlagen immer geringer und sie werden aus dem System gedrängt. Früher gab es unausgesprochene Beschäftigungsaufträge an diese Unternehmen, die Bahn bildete Jugendliche aus, die kaum Chancen auf dem Markt hatten usw. Die Kehrseite der Ökonomisierung der staatlichen Unternehmen ist der Verlust an Einfacharbeitsplätzen und eine weitergehende Sozialisierung der damit verbundenen Kosten.
    Unsere Erfahrung ist, Unternehmen stellen die meisten Menschen, mit denen die Neue Arbeit arbeitet, nicht ein, auch wenn es Bedarf an Arbeitskräften und Subventionen gibt. Die mitgebrachten Problemlagen der Menschen sind störend, können oft nicht gehandhabt werden und führen trotz Subvention unter dem Strich zu Verlusten. Diese Entwicklung ist für uns nichts Neues – es wird aber immer wieder in der Diskussion ausgeblendet.
    Aktuell wird der beschriebene Aspekt wieder nachdrücklich durch die Ergebnisse der Förderung nach § 16e SGB II bestätigt. Trotz einer für jedes Unternehmen zugänglichen Förderung mit einem unbefristeten Volumen von bis zu 75% der Personalkosten, nehmen die gewerblichen Betriebe dieses Angebot nicht an. Nur knapp 5% haben die Chance genutzt –
    95% der Menschen sind bei Sozialunternehmen beschäftigt.“

  15. Na ja, ich bin immer noch skeptisch, was diese Stellungnahme angeht. Vielleicht hat der Bericht in der ARD einfach Aspekte beleuchtet, die sich die Diakonie (hinter der die Neue Arbeit steht) schönredet. Ich will das erst mal so nebeneinander stehen lassen und warte auf die Langfassung der Doku.

    Was die Wirtschaft angeht, die keine Leute nach 16e einstellt, warum auch, sie können ja die Neue Arbeit in Anspruch nehmen. Damit werden nicht direkt in der Realwirtschaft mit billigsten (d.h. steuerfinanzierte) Arbeitnehmern produziert, sondern halt mittelbar.

    Das ganze ist so übel, dass ich immer mehr dazu tendiere Bürgergeld/bedingungsloses Grundeinkommen zu befürworten.

    Das SGBII verlangt die Arbeitsaufnahme oder das ununterbrochene Bemühen um Arbeit oder Beschäftigung in einer Maßnahme. Also immer diese indivisualistische Schiene, als gäbe es genug Arbeit. Das ist die Logik die dahinter steht. Gäbe es ein bedingungsloses Grundeinkommen müssten die Unternehmen da eben woanders produzieren, weil sie hier keine billigst Arbeitnehmer mehr bekommen oder ihre Produktion so verändern, dass vernünftig bezahlte Leute da Platz finden.

    Im übrigen habe ich mal selbst im CDU/CSU Regierungsprogramm nachgelesen, die CDU bekennt sich ausdrücklich zu diesen Ausstockerkonzepten. Warum genau und was daran sinnvoll sein soll, erschließt sich mir nicht.

  16. Ja, das ist der Kern des ganzen Elends: dass man von unzähligen Leuten verlangt, fortwährend in Äktschn zu sein – sei es um hunderte erfolglose Bewerbungen vorzeigen zu können oder indem sie brav sinnleere Maßnahmen absitzen. Dabei ist für jeden ersichtlich, dass es für die große Mehrheit der mehreren Millionen Arbeitslosen aussichtslos ist, durch individuelle Bemühungen eine Stelle zu finden.

    So tun als wisse man das nicht,
    so tun, als durchschaue man das forder&fördern-Gerede nicht,
    brav den Mund halten und zu allem nicken, was der (ständig wechselnde) ARGE-Mitarbeiter sagt,
    niemals die Sinnfrage stellen
    und immer weiter Bewerbungen in die Welt spammen, von denen man weiß, dass sie nicht mal gelesen werden…

    ich finde das ganze System total krank! Dass es zu wenig Arbeitsplätze gibt, ist schlimm genug. Warum verdammt nochmal sollen sich alle auch noch persönlich verbiegen und „Doppeldenk“ und „Neusprech“ praktizieren – um so zu tun, als sei dem nicht so?

    Es ist echt zum Kotzen, immer wieder, wenn ich genauer hinschaue, was da abgeht, wird mir ganz schlecht!

    Und dann immer wieder das Rumgehacke auf den paar Figuren, die offen zugeben, dass sie keinen Bock auf dieses Rattenrennen im ARGE-Laufrad haben und nur einfach ihre Ruhe wollen! Was für ein heuchlerisches Neid-Gebahren: wer möchte denn tatsächlich gern mit jemandem tauschen, der mit Hartz4-Bedingungen auskommen muss?

    Das, was am besten funktioniert hat, nämlich die ICH-AG, wurde von der Koalition schnell wieder gecancelt – kann ja nicht angehen, dass man die Leute tatsächlich aus dieser passiven Arbeitnehmermentalität heraus fördert! Da entgleiten sie ja jeglicher Kontrolle und gehen auch der ganzen Armutsindustrie als recyclebare Cash-Cows verloren!

  17. >Gäbe es ein bedingungsloses Grundeinkommen müssten die Unternehmen da eben woanders produzieren, weil sie hier keine billigst Arbeitnehmer mehr bekommen oder ihre Produktion so verändern, dass vernünftig bezahlte Leute da Platz finden.

    3 Möglichkeiten haben die Unternehmen:

    1. besser bezahlen
    2. automatisieren
    3. selber machen (IKEA)

    und: durch Koppelung an Konsumsteuer finanzieren auch ausländische Produkte unser Sozialsystem. Somit können inländische Produkte wieder preislich aufholen.

  18. Das ist genau das, was marktwirtschaft kaputtmacht. Subventionierte Arbeit auf Kosten des Steuerzahlers. Warum sollte ich als Steuerzahlerin die Herstellung von Trampolinen unterstützen, damit irgendein Unternehmer China Konkurrenz machen kann. Totaler Mist soetwas. Wenn China billiger ist, können ggf Einfuhrzölle dafür sorgen, das auch ein Deutscher Unternehmer mit ordentlichen Arbeitsbedingungen konkurenzfähig produzieren kann.

  19. […] Die Armutsindustrie – TV-Doku und Resonanz – im Digital Diary hat sich eine engagierte Diskussion rund um die “Beschäftigungstherapie” für Arbeitslose ergeben. […]

  20. Diese Art der sogenannten „Neuen Arbeit“ beobachte ich schon seit Jahren, weil ich mit solchen Praktikanten, MAE Kräften u.ä. zusammenarbeite,die uns-obwohl reichlich Arbeit vorhanden- dann wieder verlassen. Mich verwirren die ständig neuen Bezeichnungen für diese minderbezahlte Arbeit -ob nun auf Steuerkosten oder nicht ist für mich als ökonomisch ungebildeten erst einmal nebensächlich. Mich entsetzt das Menschenbild, was dahinter steckt, eine Geisteshaltung, die Menschen nur als Ressource betrachtet, möglichst preiswert und effizient.Und ich schau dabei zu und werde immer wütender, sehe zu wie Politiker und nur an die nächste Wahl denken, im „Neusprech“ über ihre tolle Arbeitsmarktpoltik schwadronieren…

  21. Vielen Dank für diesen Fernsehbeitrag, der dringend nötig war.

    Ich hoffe, er öffnet interessierten Bürgern die Augen, was in unserem Staat gespielt wird: Wie sehr Günstlinge, verwaltende und andere „Industrien“ von solcherlei grenzwertigen bis dubiosen Methoden profitieren. Und daß denjenigen, denen eigentlich geholfen und eine Perspektive geboten werden soll, kaum etwas bis gar nichts davon haben.

    Der Beitrag dürfte nur ein Aspekt von Vielen sein, wie sowohl Mittel verschwendet werden, um Arbeitslose und Arbeitssuchende aus Statistiken zu bekommen und den Falschen Vorteile zuzubilligen, als auch die völlige Absurdität mancher „Maßnahmen“ aufzuzeigen. Daß die Moral und der Glaube an ernstgemeinte Hilfe bei den derart instrumentalisierten Menschen in Mitleidenschaft gezogen werden, steht außer Zweifel.

    Klar zum Ausdruck kam in dem Beitrag auch der äußerst bedenkliche Einsatz von Arbeitssuchenden/ Arbeitslosen zum Zwecke eines geförderten „Praktikums“ oder in der Variante „Mehraufwandsentschädigung“. Beides widerspricht dem Grundsatz des öffentlichen Interesses, als auch des Gemeinwohles, nach deren Prinzipien diese Menschen eingesetzt werden dürften. So kommt es zu stark wettbewerbsverzerrenden Auswirkungen in Kombination mit gewerbsmäßiger Ausbeutung, in Folge derer „normale“, seriöse Unternehmen in Mitleidenschaft gezogen werden und im schlimmsten Fall als Konsequenz selbst einmal Kunden der „Armutsindustrie“ werden. Daß einer der Unternehmer freimütig zugab, ehemals existierende Vollzeitarbeitsplätze abgebaut zu haben, um im großen Stil geförderte Praktikanten/ 1€-Jobber zu „nutzen“, zeigt den ganzen Irrsinn solcher Maßnahmen. Das ist „Renditekapitalismus“ in exzessivster Ausprägung und läuft der Aufgabenstellung der Förderer Arbeitsamt und letztlich des Steuerzahlers absolut zuwider. Dieser gesamte Unfug aus falschen Anreizen, an Profiteure fließende Mittel und negativer Wirkung auf den Arbeitsmarkt -ausgetragen auf dem Rücken der Arbeitssuchenden- gehört sich abgeschafft.

    Übrigens hüllen sich IHK und die BfA auf meine Anfrage zu diesem Thema nach Umfang und Wirkung dieser „Maßnahmen“ in beredtes Schweigen. Das sagt viel aus :)

  22. Eine wirklich sehr interessante und brisante Diskussion, liebe Claudia. Danke für Deinen Mut (und Deine Wut. – Sie ist wohl mehr als berechtigt!)
    Das hier Beschriebene empfinde ich als moderne Sklaverei, wüsste keinen anderen Namen dafür.

    Mylo

  23. […] Die Armutsindustrie – TV-Doku und Resonanz […]

  24. Sorry offtopic Claudia, aber ich wusste nicht wohin ich es sonst posten sollte. Kannst es gerne woanders hin „verpflanzen…

    Der BGH hat gerade ein bedeutendes Urteil gefällt, welches unsere Rechte weiter drastisch einschränkt. Man denke mal zurück wie es in den 30er Jahren ebenso schleichend und scheibchenweise begonnen hat…

    Entschieden wurde, dass zukünftig auch die Beweise, welche bei illegalen Hausdurchsuchungen (sprich Einbruch auf Verdacht, ohne richterliche Autorisierung) gefunden werden, als gerichtsbare Beweismittel anerkannt werden sollen:

    *********************************
    Dienstag, 28. Juli 2009 13:00 Uhr
    BVerfG-Urteil: Belastende Beweise trotz rechtswidriger Hausdurchsuchung zulässig:

    Belastende Beweise dürfen vor Gericht auch dann verwendet werden, wenn sie im Zuge einer rechtswidrigen Hausdurchsuchung gefunden wurden. Das geht aus einem heute in Karlsruhe veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hervor. Demnach kommt ein Beweisverwertungsverbot nur ausnahmsweise und bei besonders gravierenden Rechtsverstößen der Ermittler in Betracht. Die Verfassungsbeschwerde eines wegen Drogenbesitzes verurteilten Mannes wurde daher nicht zur Entscheidung angenommen.
    ***************************************

    Tja irgendwas Verwertbares wird man ja schon finden, was solche Aktionen im Nachhinein legalisiert oder die Willkür stark relativiert. Die Bereitschaft, Durchsuchungen auch als Druck- und Einschüchterungsmittel zu handhaben, wird dadurch geradezu gefördert.

    Bin mal gespannt wie weit man diesen grundrechtlichen Zwangs-Striptease in unserem Land noch mit sich machen lässt. Stück um Stück fallen individuelle Grundrechte, werden wir zum rundum überwachten und entrechteten Objekt. Orwell lässt mal wieder grüssen…

    Aber erfahrungsgemäss kann man es wieder mal so ausdrücken:
    „Deutscher Michel, Du trägst Deine Schlafmütze in den Karikaturen nicht zu Unrecht.“
    Man wird sich wieder mal verbal darüber auslassen und abreagiern, und das wars dann. Da hab ich vor den Franzosen als Volk wesentlich mehr Achtung, die reden nicht bloss…

    Gruss Micayon

  25. […] deklariert werden. Der Beitrag im MONITOR (ARD) erscheint mir als traurige Fortsetzung des Armutsindustrie-Themas, das ich kürzlich im Digital Diary aufgegriffen […]

  26. […] mir eine TV-Dokumentation ein, die ich jetzt und hier endlich vorstellen will. Es geht um die “Armutsindustrie in Deutschland”. Dieses Thema hängt direkt mit den oben aufgeführten Zahlen und den Reden der Politiker zum Thema […]

  27. […] Die Armutsindustrie – TV-Doku und Resonanz […]