…aber wir brauchen sie trotzdem!
Viele Jahre lang hatten sie ihr Alter geplant. Noch in diesem Sommer wollten sie ihre selbstständigen Berufe auf ein Minimum herunter fahren. Nach Turbulenzen in den letzten Jahrzehnten war es ihnen gelungen, die Finanzen wieder so zu ordnen, dass ein sorgenfreier Lebensabend in greifbarer Nähe schien. Sie freuten sich aufs Reisen, auf vieles, was sie sich für „später“ vorgenommen hatten. Und auf ihre anstehende Silberhochzeit.
Doch diese Zukunft wird es nicht geben. Ganz plötzlich ist mein alter Freund in diesem Frühjahr verstorben – obwohl „eigentlich“ gesund, fit, aktiv und jünger aussehend. Gemerkt hatte ich es, als die Blumen zum Geburtstag ausblieben, die er Jahr für Jahr gesendet hatte. Die Todesanzeige fand ich im Netz – verstörend! Zurück bleibt seine Frau, die nicht nur ihren geliebten Mann, sondern auch die gemeinsame Zukunft verloren hat. Eine Zukunft, mit der sie fest gerechnet, auf die sie hingelebt hat. Wie furchtbar!
Was sagt uns das? Verschiebe nichts auf später, denn es könnte kein „später“ geben? „Hier und jetzt“ ist die einzige Wirklichkeit? Carpe diem?
Jeder kennt diese philosophisch-spirituellen Ratschläge. Aber beachten wir sie auch? Geht das überhaupt? Was ist mit all den anderen Weisungen, die dazu auffordern, Ziele anzustreben, nach Visionen zu suchen, Fortschritte zu machen? „Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?“ fragen Personalmanager die Mitarbeiter und wer da nur mit den Schultern zuckt, macht gewiss keinen guten Eindruck.
Die Zukunft gehört uns nicht und doch tun wir so, als gehöre sie zum Besitzstand. Wir rechnen mit ihr. Kommt es dann doch ganz anders, ist der Verlust umso größer, je genauer die Vorstellungen und Pläne waren.
Aber ist ein Leben nur im „Hier und Jetzt“ überhaupt denkbar? Obdachlose kommen diesem Ideal nahe. Der nächste Schlafplatz, die Öffnungszeiten der Suppenküchen – mehr Zukunftsplanung gibt es nicht. Ein solches Leben hat noch kein spiritueller Lehrer als erstrebenswert bezeichnet!
Wie sehr wir alle die Zukunft brauchen, zeigt auf eindrückliche Art die Serie „8 TAGE“, die derzeit in der ZDF-Mediathek zu sehen ist. Nicht grundlos schreibt sich der Titel im Intro mit Anarcho-A:
Ein Asteroid rast auf die Erde zu, Ablenkungsversuche misslingen, der Menschheit bleiben noch acht Tage bis zum Einschlag. Vorexerziert wird, wie die öffentliche Ordnung zusammen bricht und bis dahin gültige Werte und Verhaltensmaximen ihren Sinn verlieren. Der letzte Aufrechte ist ein Polizist mit Migrationshintergrund, der auch im End-Szenario seiner Ethik treu bleibt und versucht, Recht und Ordnung hoch zu halten – bis niemand außer ihm mehr da ist. Seinen Bunkerplatz gibt er zu Gunsten der handlungstragenden Familie auf. Schlussszene Sekunden vor dem Einschlag: auf einem verwüsteten Stadtplatz schreibt er einen Strafzettel und klemmt ihn hinter die Scheibenwischer eines „falsch geparkten“ Autos.
Kritiker vermissen an der Serie einiges, was sie von Katastrophenfilmen erwarten. Mir hat nichts gefehlt. In derselben Woche, in der ich den Wegfall der individuellen Zukunft eines alten Ehepaars mitbekommen hatte, konnte ich hier den Wegfall der kollektiven Zukunft besichtigen. (Bunker hin oder her, sie ändern nichts daran, dass die Welt, wie wir sie kennen, in „8 Tage“ untergeht).
Wie also mit der Zukunft umgehen? Als Bezugspunkt für vielerlei Handlungen ist sie immer auch Bestandteil der Gegenwart, daran lässt sich nichts herum deuteln. Problematisch wird es, wenn es darum geht, wieviel mögliche Lebensfreude wir bereit sind, für sie zu opfern. Ist es zuviel, kann es sein, dass man das „richtige Leben“ verpasst, weil es immer nur für die Zukunft geplant war.
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7 Kommentare zu „Die Zukunft gehört uns nicht“.