Kommt es nur mir so vor, oder ist der Wahlkampf dieses Mal besonders blöd? Busenplakate, wochenlang Dienstwagenaffaire, ein Kanzlerkandidat, so mitreissend wie eine Schlaftablette – war das schon alles? Claudius Seidel jammert in der FAZ: „Nehmt uns endlich ernst!“ hat damit aber nur bei den eigenen Lesern Erfolg. Da kommentiert ein Robert Klemme nachdenklich:
Ich glaube, dass unsere Gesellschaft insgesamt das Problem hat, dass es keine positiven Ziele mehr gibt, für die sich die Politik ins Zeug legen kann. Wir haben Frieden, Arbeitslosen- und Krankenversicherung. Wir können frei reisen in (fast) jeden Winkel der Welt. Die materiellen Bedürfnisse sind weitestgehend abgedeckt und das Freiheitsversprechen ist auch eingelöst. Das Überwinden der aktuellen Krise ist ja nur ein defensives Ziel – sozusagen die Reparatur einer aktuellen Panne, die den Karren wieder flott macht. Das alles führt dann dazu, dass sich die Politik im Wesentlichen mit Änderungen im Kleinen beschäftigt: hier mal ein Gesundheitsfonds, da ein Einsatz in Afghanistan, dort der Streit um eine Brücke, die den UNESCO-Welterbestatus gefährdet. Aber zu welchen neuen Ufern wollen wir aufbrechen?
Das klingt, als hätten wir keine Probleme! Als hätte es die 15 Jahre neoliberalen Umbau der Arbeitswelt nicht gegeben, als wären die ausufernden Staatsschulden, die zunehmende Überwachung, die weiter gepflegten Milliardengräber (Gesundheitskarte!), der ausufernde Krieg in Afghanistan, und die Frage, wie denn bitte ewiges Wachstum in einer Welt begrenzter Ressourcen stattfinden soll, nur kleine Flecken auf einer ansonsten weißen Weste.
So lebt eben jeder in seiner „Blase der Wahrnehmung“ und es wird immer schwerer, etwas Verbindendes zu finden, was über böses oder lustiges Politik-Bashing hinaus geht.
Kampf ums Netz
Immerhin verbindet uns das Internet: Endlich kann sich jeder zu Wort melden, ohne von irgendwelchen Gatekeepern daran gehindert zu sein. Etwas, das mir als „Alt-Userin“ seit nun fast 15 Jahren selbstverständlich ist, dringt derzeit ins Bewusstsein der herrschenden Politik und viele sind „not amused“, denn die Meinungsbildung, die hier statt findet, entzieht sich ihrer Kontrolle. Also verhalten sie sich feindselig: wollen regeln, zensieren, Zugänge erschweren, 3-Strikes-Strafen einführen, Google allen Ernstes für Nachrichten-Suchergebnisse abkassieren und vieles mehr. Und haben es damit immerhin geschafft, alte und junge Netizens aus der interessiert-mich-doch-alles-nicht-Reserve zu locken: Die Zeit ignoranter Co-Existenz der User und der „Ausdrucker“ ist vorbei, der Clash of Cultur voll im Gange.
Ja, das ist das einzig NEUE in diesem Wahlkampf. Sogar eine neue Partei ist entstanden, die mal wieder das Wagnis versucht, „ganz anders“ zu sein: Statt Geklüngel in Hinterzimmern und wolkigen Statements zu allem und jedem, lockt die Piratenpartei mit netzpolitischen Kernsätzen und der für eine Partei revolutionären Absicht, alle anderen Themen über Netzdiskussionen zu entscheiden – wenn es dann soweit ist.
Charmant! Und ziemlich passend in einer Welt, in der die Altparteien Mitglieder verlieren, weil kaum mehr jemand Lust hat, irgendwo einzutreten, wo es erst einer langjährigen „Ochsentour“ durch zementierte Strukturen bedarf, bevor man genug Stallgeruch aufweist, um mitreden zu dürfen.
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4 Kommentare zu „Ein Wahlkampf zum Einschlafen“.