Diarys tauchen auf und verschwinden wieder, Weblogs laufen ein paar Wochen und verstummen ganz plötzlich, private Homepages werden mit großem Aufwand erstellt und wenig später vergessen. Das Web steht einerseits voller Leichen, andrerseits belegen Ungeborene viel Platz: „Hier entsteht demnächst eine Internet-Präsenz“…
Ich erinnere mich an die ersten Jahre nach der Wende: die wenigen Restaurants und Ausflugsziele in Brandenburg glänzten durch kurze, oft unberechenbare Öffnungszeiten. Da lockten Schilder an der Straße den hungrigen Touristen auf Abwege, nur um dann vor geschlossenen Türen zu stehen: Dienstags Ruhetag, oder auch ganz ohne Kommentar, einfach zu.
„Sie kamen, sie surften und gingen zurück an den Strand“, meldeten die Gazetten letztes Jahr. Klar, alle, die das Netz für eine Art Strand hielten, konnten natürlich nicht lange bleiben. Mal sehen, wielange es diejenigen noch aushalten, die es vor allem als Gelddruckmaschine ansehen. Beides sind eher Extreme, so sehr sie auch „gehyped“ wurden. Dazwischen lebt und west die breite Masse, der Mainstream: fast jeder ist jetzt „drin“, fast alle haben eine Website, und für viele war es das dann schon. Da steht sie jetzt und kann nicht mehr anders…
Was geht es mich an, was andere tun oder lassen? Der Cyberspace ist riesig und bietet allen Platz genug: für kleine und große Wunder, für Heldentaten und Tritte in allerlei Fettnäppfchen, für Sorgfalt und Engagement genauso wie für die große Langeweile, das ganz große Gähnen. Was mich manchmal so ärgert ist keine Eigenschaft des Netzes, sondern eine menschliche Untugend, ja, eine Verrücktheit: Einerseits wird viel in Bewegung gesetzt („investiert“), um „was von sich her“ zu machen, begehrenswert zu erscheinen. Andrerseits wird der, von dem man doch begehrt werden will, ständig ignoriert, frustriert, verärgert, in die Wüste geschickt, vollgequatscht oder mit Zauberkunststückchen überschüttet, die vor allem sagen sollen: Guck mal, wie toll ich bin! Mit hohem Aufwand kämpft man um die Aufmerksamkeit der Anderen, trägt aber keine Sorge für den Fall, dass man sie auch bekommt, ja, bemerkt das vielleicht gar nicht vor lauter Schaumschlägerei.
Wie oft wollte ich schon das Hauptprodukt einer Firma kaufen, surfte auf deren Website und verirrte mich dort im Verhau der Nebensächlichkeiten, die sie vermutlich nach dem Motto „Content is king“ zugekauft hatten, um Besucher zu unterhalten. Gelang es dann trotzdem mal, bis zum Kaufvorgang vorzudringen, stürzte in zwei von drei Fällen der Warenkorb ab oder verhedderte sich irgendwie, es endete gelegentlich gar in der Aufforderung, die Hotline anzurufen. Nein, tu ich nicht! Wozu hab‘ ich denn „ein Internet“?
Oder ich lande auf einer privaten Website zu einem Thema, das mich gerade beschäftigt – schade nur, dass sie 1999 ihr letztes Update erfuhr, die Mailadresse stimmt nicht mehr und nirgends finden sich Hinweise, wo der Verfasser aktuell anzutreffen ist. Platzhalterzeichen für Bilder verunzieren die Optik, offensichtlich hat da jemand seinen Browser-Cache für das Web gehalten oder eben mal die Serverstruktur umgebaut: Scheiss auf die Seiten von vorgestern!
Auch ganz engagierte Leute bringen manchmal seltsame Hämmer: Ein Diary, in dem ich gelegentlich lese, hörte plötzlich auf, ohne Hinweis, ohne Schlußwort und „Tschüs“ – einfach so. Ich fragte per E-Mail, was denn geschehen sei und bekam die freundliche Antwort, die Fortsetzung befände sich unter der Adresse http://www…, er hätte nur mal einen inhaltlichen Break machen wollen. Mein Hinweis, dass es ja auch LESER gibt, die jetzt verwundert vor dem „Ende“ stehen, führte immerhin zu einem Link auf das neue Diary. Offensichtlich war das also keine Absicht, er wollte nicht etwa alte Leser loswerden, sondern hat einfach nicht an sie gedacht.
WOZU, liebe Leute, machen wir das denn alles? Wer ins Web geht, will gelesen werden, wer etwas anbietet, will, dass man es kauft – oder nicht? Das heißt nicht, dass man nur schreibt, was die Menschen lesen wollen oder ein Produkt anbietet, nur weil es vermutlich Käufer findet. Sinn allen Publizierens (und im Prinzip auch allen Produzierens) ist es doch, etwas Ureigenes ins Licht der Öffentlichkeit zu stellen, es dem Urteil der Anderen auszusetzen, in der Hoffnung, dass zumindest ein wenig davon auf- bzw. angenommen wird. Täglich bin ich der Welt und den Anderen ausgesetzt, im Guten wie im Schlechten. Die Anregungen, die Zumutungen, die Streicheleinheiten und Angriffe treffen auf mich und erzeugen Resonanz – diese Resonanz bringe ich wiederum zum Ausdruck, indem ich selber publiziere oder produziere. Etwas „Besseres“, wie ich regelmäßig glaube und hoffe, obwohl das oft Illusion bleibt und ich mittlerweile zufrieden bin, wenn es nur „etwas Anderes“ ist, etwas Eigenes eben.
Was will nun der Andere, um den es uns vermeintlich so sehr zu tun ist, obwohl wir ihn so oft eher verschrecken als anziehen? Ob mensch sich gerade auf Partner- oder auf Kundensuche befindet, als Autor gelesen oder als Künstler gesehen werden will: Der bzw. die Andere will vor allem gehört, in seinen/ihren Bedürfnissen, in Gefühlen und Gedanken Ernst genommen werden. Der andere will Raum für sich, Zeit, Aufmerksamkeit, Respekt und Anerkennung, Liebe eben. In diesem Sinne geben können ist umso leichter, je leerer einer ist, je weniger er es nötig hat, den Anderen „zuzutexten“.
Womit ich jetzt also besser mal wieder aufhöre. :-)
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