„Nun bist du also wieder auf dem Trip zu Dir selbst, nachdem es mit der Natur und dem Landleben nichts war“, schreibt mir ein Leser. Und gerade schaue ich aus dem Fenster, die Sonne scheint durch die Wolkenlücken, die Vögel lärmen fröhlich vor sich hin, die Hühner streiten lautstark herum, alles, was wächst, ist im Aufbruch – ist das etwa „Nichts“? Wie dem auch sei, ich finde es wunderschön, es berührt mich, und der Gedanke, zu gehen, hat – wie alles – eine helle und eine dunkle Seite.
Diese zwei Jahre auf dem Land waren ein Versuch, meine letzte utopische Vorstellung vom anderen, vom „richtigen“ Leben zu verwirklichen. DAMIT, nicht mit dem Land, ist es wirklich NICHTS. Utopia ist ja „nirgendwo“, aber offensichtlich reicht mir das Wissen im Kopf niemals aus, ich muß alles erst erleben und an meinen Wunscherfüllungen leiden, damit ich es einsehe. Auf diese Weise, nicht durch das Lesen von Büchern, bin ich „auf dem Trip zu mir selbst“. (Sechzehnmal Kasslerbraten mit Sauerkraut, dann erst ist es genug).
In den letzten drei Wochen war ich krank, eine Art Grippe an der Schwelle, die nicht richtig zum Ausbruch kam, mich aber schwach und belämmert machte. Während der drei Tage in Berlin fühlte ich mich jeden Tag besser, trotz des vielen Laufens und der verschiedensten Anstrengungen, wie ein Aufwachen aus einem Dämmerzustand, keineswegs nur körperlicher Natur. Die „Probleme“, über die ich in den letzten Monaten zunehmend gegrübelt hatte, verloren ihren Problemcharakter und wandelten sich in eine Reihe interessanter Vorhaben. Berlin ist für mich nicht einfach nur eine abwechslungsreiche Stadt, die ich nach zweijähriger Abirrung dem „öden Land“ nun eben wieder vorziehe. Nein, ein ganz anderer Aspekt zieht mich unwiderstehlich an: Die Chance auf „Real Life“! Ein Leben in Kontakt mit allem um mich her, mit anderen Menschen, mit Arbeit und Initiative, mit Auseinandersetzung und Ärger, sich einbringen mit dem, was man kann, dort, wo es gebraucht wird.
Das Leben auf Schloß Gottesgabe ist Gipfel und Endpunkt einer Isolation, in die ich mich schon lange vor dem Umzug nach „draussen“ zurückgezogen hatte. Schon seit Anfang der 90ger war mein Leben zunehmend „privat“ geworden. Das Netz kam dann gerade recht, denn es versetzte mich in die Lage, das Haus kaum mehr verlassen zu müssen, vor allem nicht, um zu arbeiten. In meinem Berliner Kiez hatte ich ja alles erlebt, was es im Rahmen Stadtteil-bezogener Aktivitäten zu erleben gibt und war sogar daran beteiligt gewesen, da noch einiges hinzu zu erfinden. Doch nach knapp zehn Jahren voller Umtriebigkeit im Äußeren hatte ich die Faxen dicke und verfiel in eine längere Depression. Nicht, weil das alles irgendwie falsch gewesen wäre, sondern weil ich selbst so ungeheuer beschränkt war: Weder gab es für mich noch ein Privatleben, noch eine weitere Welt, beides hatte ich in meinen vielfältigen „Funktionen“ verloren und nur noch meine verschiedenen Formen von Tunnelblick gepflegt. Völlig wundgerieben vom allzu öffentlichen Leben hatte ich mich dann ganz zurückgezogen: Bloss nirgendwo mehr Mitglied sein, Verbindlichkeit macht Ärger, Ehrgeiz schafft Leiden. Ich war ausgebrannt und die Wunden schmerzten.
Seither hat sich die Welt ein ganzes Stück gedreht und ich bin eine Andere geworden. Das merke ich jetzt nochmal überdeutlich, wenn ich durch die Stadt gehe, wenn ich Leute treffe, wenn ich mich inspiriert fühle und sich auf einmal mögliche Handlungsfelder zeigen: Ich KANN, muß aber nicht! Fühle mich tatsächlich vollständig befreit von diesem ziehenden Gefühl im Bauch, das früher immer dann auftrat, wenn ich an irgend etwas auf einmal „echtes Interesse“ hatte. Dieses Gefühl sagte mir: So, wie es jetzt ist, ist es schlecht, sie (=beliebige Akteure, im Zweifel „das System“) machen alles falsch, ich (bzw. irgendein „wir“) muss/müssen das ändern. Und der Kampf fing an, das Sich-Krumm-legen, das Abheben vom Hier & Jetzt zugunsten eines Kriegs-Szenarios, in dem jeder Schritt vor allem Kampfhandlung ist – und gern gleich an mehreren Fronten! Dabei machte ich mir immer auch vor, für DAS GUTE zu kämpfen, dabei war es nur einfacher Ehrgeiz, das übliche „Jemand sein“, akzeptiert und bemerkt werden wollen, wie es eben für meine (nur meine?) erste Lebenshälfte typisch war.
Nun zieht es mich geradezu magisch an, mich denselben bzw. ähnlichen Impulsen und Zusammenhängen wieder auszusetzen, in denen ich mich dereinst so kaputt gemacht hatte. Ich fühle, es wird nie wieder so sein wie vor zehn oder zwanzig Jahren, und gerade das läßt mich wünschen, mich erneut einzulassen. Früher wollte ich immer „Sand im Getriebe“ sein – heute lockt mich die Idee, es mal als Schmiermittel zu versuchen. :-)
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