Claudia am 18. Januar 2021 —

Wenig bekannte Fakten: Ein neuartiges Buch über Hitler mit Tiefenwirkung

Wie, du willst dieses alte Fass nochmal aufmachen? Haben wir nicht schon übergenug „Hitler-Content“ aus zigtausenden Dokus, Artikeln und Büchern zur Kenntnis genommen? Gibt es denn noch irgend etwas, das nicht bis zum Überdruss berichtet, durchanalysiert, in 3.Programmen wieder und wieder gezeigt wurde?

Oh ja, das gibt es! Das knapp 600 Seiten dicke Buch „Hitler – Die wenig bekannten Fakten“ von Claus Hant hat mich so beeindruckt, dass mir schon mal die Tränen in den Augen standen – ein Gänsehauterlebnis ganz eigener Art, das das Werk für mich zum wichtigsten Buch 2020 macht. Nie hätte ich gedacht, dass es noch so vieles gibt, was in den gängigen Dokus über Hitler nicht vorkommt – aus Gründen, die ich zwar verstehe, die aber 76 Jahre nach seinem Tod nun wirklich keine Rolle mehr spielen sollten.

In den „wenig bekannten Fakten“ macht sich der Drehbuchautor Hunt daran, Hitler als ganzen Menschen zu zeigen: Mal nicht nur Aspekte, die ihn als Inkarnation des absolut Bösen kennzeichnen, sondern auch jene Eigenschaften, die ihn für die Zeitgenossen so faszinierend machten. Das waren ja „nicht nur die »leicht verführbaren Massen«. Es waren – gerade auch in den entscheidenden Anfangsjahren seiner Karriere – hochgebildete, kritische und intelligente Einzelpersonen.“, wie Hunt im Intro zu seinem Buch schreibt.

Tabubruch mit Heilwirkung

Das ist nicht nur ungewöhnlich, sondern für manche auch ein Tabubruch. Dass es gleichwohl wichtig, ja sogar sehr nötig ist, endlich einmal ein vollständiges Bild gezeigt zu bekommen, merkte ich schon während der ersten paar Kapitel. Ich spürte, dass eine Wunde heilt, deren Existenz mir nicht wirklich bewusst war, was mich zum eigenen Erstaunen zu Tränen rührte.

Die Wunde war die Verachtung, die ich – niemals ausgesprochen – gegenüber meinen Eltern (jugendliche Mitläufer) und ihrer ganzen Generation empfand, weil sie offenbar einem ungehobelten Schulabrecher und talentlosen Postkartenmaler aufgesessen waren, der an irrer Selbstüberschätzung krankte. Wie konnte so etwas geschehen? Hatten sie denn überhaupt keine eigene Urteilskraft?

In den Dokus sah ich, wie dieser Hitler „große Reden“ hielt, sich in immer wahnwitzigere Aussagen steigerte, wobei die verblendeten Massen dem Führer huldigten und geradezu in Ekstase gerieten. Waren die denn alle verrückt? Als HJ- und BDM-Führer/in (Jg. 1925/27) waren meine Eltern gewiss dabei, wenn er sich an „die deutsche Jugend“ wandte und seine Erwartungen in ihre Hirne hämmerte.

In unserer Familie war das „3.Reich“ allerdings kein Thema. Ich bin 1954 geboren, 9 Jahre nach Kriegsende, mitten in der Aufbauzeit. Mutter gab sich unpolitisch und erzählte schöne Dinge vom BDM, wo sie Chorleiterin war. Mein Vater (Prager Deutscher) musste nach dem Not-Abi gleich in den Krieg und kam später in russische Gefangenschaft, wovon er nur lustige Anekdoten über die „dummen Russen“ erzählte. Und natürlich hatte er nichts gegen Juden, es gab auch einen „jüdischen Freund“ (den nach dem Krieg ja alle hatten). Ansonsten Schweigen.

In Claus Hants Buch las ich nun die „wenig bekannten Fakten“. Hitler war nicht der „hoffnungslose Stümper“, als der er häufig dargestellt wird, war weder talentlos noch ungebildet, trotz Schulabbruch. Ganz im Gegenteil war er ungeheuer belesen und hatte sich autodidaktisch ein umfangreiches Wissen auf vielen Gebieten angeeignet. In der Münchner Gesellschaft verkehrte er mit den Reichen, Schönen und Wichtigen, die von ihm fasziniert waren: wegen seiner Ideen, seinem Konversationstalent, seiner Fähigkeit, Sachdiskussionen „auf gleicher Augenhöhe“ zu führen und von seiner Ausstrahlung. Sogar „Humor“ wurde ihm bescheinigt und mit seiner gelegentlich exzentrischen Klamottenwahl galt er als „cool“, wie man heute sagen würde.

Künstlerisch war Hitler wirklich nur ein mittelmäßiger Maler, konnte sich damit aber in Wien immerhin mehrere Jahre über Wasser halten. Und ja, er hat das kulturelle Verbrechen begangen, die moderne Kunst als „entartet“ in die Tonne zu treten, sobald er an die Macht kam (zum Gefallen gewisser konservativer Kreise), war jedoch kein einfacher Kunstbanause. Er verehrte alte Meister und Künstler des 19.Jahrhunderts und träumte von einer „arischen Kunst“, die im Nationalsozialismus erblühen sollte (was natürlich nicht klappte!). Er ließ deutsche Künstler fördern, die „nicht in Dachkammern ein armseliges Leben fristen sollten“ und wollte Deutschland mit Museen pflastern. Bei Staatsbesuchen besuchte Hitler die jeweiligen Kunsttempel, verbrachte z.B. mit Mussolini viele Stunden in den Uffizien – zu dessen Missfallen, der nur genervt stöhnte „so viele Bilder…!“.

Das sind nur einige von unzähligen Details im Buch, die das Bild von Hitler vervollständigen. Alles Berichtete wird minutiös belegt, zum Glück ohne dass der Fluss des Lesens dadurch groß gestört würde – eine Meisterleistung.

Die verbreitete Sorge, dass eine ganzheitliche Darstellung der Person Hitler zu einer Beweihräucherung oder gar nachträglichen Minderung seiner gigantischen Schuld führen könnte, ist gänzlich unbegründet. Das ist kein Buch, aus dem Rechtsradikale Ermunterungen schöpfen könnten – gar nicht schädlich, wenn auch sie es lesen!

Fazit: Die vielschichtigen Schilderungen der Gründe, warum die damalige Gesellschaft „auf Hitler abfuhr“ (darunter viele große Namen) hat die unbewusste Verachtung aufgelöst, die ich für meine Eltern empfand. Zwar hatte ich schon zuvor verstanden, dass der Kohl’sche Spruch von „der Gnade der späten Geburt“ eine Wahrheit beschreibt, doch hatte ich das noch nie auf die Person Hitlers selbst bezogen, sondern mehr auf die damaligen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Jetzt verstehe ich, warum man darüber hinaus „den Führer“ toll finden konnte. Wenn diverse „Spitzen der Gesellschaft“ ihn begeistert unterstützten, was konnte man da von meinen Teeny-Eltern erwarten?

Der Autor und eine neue Herangehensweise

Dass ein Drehbuchautor (z.B. „Der Bulle von Tölz“) ein Buch über Hitler schreibt, ist ungewöhnlich, aber in diesem Fall ein Glück! Es liest sich nicht nur gut, sondern folgt einer anderen Methode und eröffnet völlig neue Blickwinkel. Hant schreibt dazu:

„Das Faktenmaterial, das die Grundlage meiner Arbeit zu diesem Buch darstellte, unterscheidet sich in nichts von dem Material, das ein Historiker seiner Arbeit zugrunde legt. Sorgfältige Recherche war auch für meine Arbeit die Grundvoraussetzung. Der Unterschied besteht in der Art und Weise, in der das Wissen, das durch die Recherche gewonnen wurde, verarbeitet wird. Während der Historiker, der »Geschichte-Erzähler«, seinen Protagonisten und dessen Handlungen von außen betrachtet, lese ich als »Geschichten-Erzähler« gewisse Dokumente, die mit dem Protagonisten persönlich zu tun haben, aus dessen Perspektive. Ich versetze mich also in die Lage des Protagonisten und nähere mich auf diese Weise seinem Selbstverständnis. Dass diese vollkommen andere Herangehensweise an einen wichtigen Teil des Faktenmaterials zu einem fundamental anderen Ergebnis führt als die Herangehensweise des Historikers, belegt dieses Buch….. Die einzelnen Kapitel folgen keinem linearen Bezug; sie sind wie Teile eines Puzzles zu verstehen, dessen Zusammenhang sich dem Leser erst am Ende des Buches erschließen wird. Damit das Lesen unterhaltsam bleibt, habe ich Kurioses und Skurriles nicht ausgespart.“

Meinen durch das Internet veränderten Lesegewohnheiten kommt diese nicht-chronologische Struktur sehr entgegen. Die Überschriften funktionieren wie Hashtags („Hintergrund“, „Intellekt“, „Wagner“, „Frauen“, „Ausland“, „Begeisterung“….), der zugehörige Text widmet sich dann genau diesem Thema. Es bleibt nicht aus, dass es so – rein historisch – zu Wiederholungen kommt, doch immer aus einer ganz anderen Perspektive. So entsteht ein Facetten-reiches Bild, nicht nur der Person Hitlers, sondern auch der zeitlichen Umstände und Ereignisse. So detailliert und auch spannend hab‘ ich z.B. noch nirgends über die Geschehnisse in München während der „Revolution“ gelesen.

Mehr unbekannte Fakten

Eine weitere Entdeckung, die Claus Hant in aller Ausführlichkeit präsentiert: Hitlers mystisches Erlebnis in der Psychiatrie. Unbekannte Fakten von einiger Tragweite, deren Unbekanntheit an sich schon ein Grund ist, sich zu wundern. Obwohl Hitler offenbar selbst einiges unternommen hat, die Spuren zu verwischen, finde ich es doch recht seltsam, dass sich klassische Historiker sich nicht mehr darum gekümmert haben, hier Licht ins (mystische? wahnsinnige?) Dunkel zu bringen.

Weil das aber noch einmal einen längeren Text erfordert und einen komplett anderen Schwerpunkt hat, schreibe ich eventuell später noch etwas dazu.

Buchcover "Hitlerfakten"Hitler. Die wenig bekannten Fakten
von Claus Hant

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Diskussion

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12 Kommentare zu „Wenig bekannte Fakten: Ein neuartiges Buch über Hitler mit Tiefenwirkung“.

  1. Schon faszinierend, dass die seinerzeit von Hitler gewünschte Außenwirkung immer noch funktioniert. Jetzt eben anders herum als Dämonisierung. Da kann man dann schon Mal erstaunt sein, wenn er sich tatsächlich als Mensch herausstellt.

    Hier die einzige Tonaufnahme, in der er bei einer normalen Konversation zu hören ist, die nichts mit der bis heute überlieferten Stimme zu tun hat. Der Techniker damals hat diese Aufnahme fast mit seinem Leben bezahlt.
    https://youtu.be/oET1WaG5sFk

  2. Der Absatz „Tabubruch mit Heilung“ ist m. E. der Entscheidende. Die meisten würden sagen: „Das Buch sitz‘ ich auf einem Ei ab.“ Corona zeigt indes auf, wie die Gesellschaft wirklich tickt. Genau, wie anno dazumal. Nur, das die Zeugen Coronas genauso wie die Covidioten ticken. Und vielen davon scheint der Führerkult nicht unangenehm zu sein. Da ist es schon recht hilfreich zu erfahren, was das gesamte Puzzle so beinhaltet. Als Maler fand ich ihn so schlecht nicht. Besser hätte man ihn da gelassen. In Wien Touristen vor den Wahrzeichen portraitierend oder so. Deutschland könnte heute so viel mehr sein, wenn wir nicht auch dem bekloppten Wilhelm die Kronjuwelen nach Holland eskortiert hätten.
    Aus der Geschichte lässt sich trefflich lernen.
    Es scheitert leider nur am Vermögen.

  3. Von meinem Vater (22) habe ich einiges erwartet. Erklärungen hat er mir allerdings nie geliefert, zumindest keine, die mich zufriedengestellt hätten. Meine Mutter ist 10 Jahre jünger. Sie habe ich nie konfrontiert. Die Gnade der späten Geburt gewissermaßen. Mein Vater war mit seinem Zwillingsbruder Nachzügler. Er ist in Stalingrad geblieben. Mein Vater war 5 Jahre im Krieg und 5 in russischer Kriegsgefangenschaft. Über seine Erinnerungen sprach er sehr selten. Wie Hitler seine deutlich älteren Schwestern und Brüder beeindruckt hatte, konnte er, wie er mehrfach gesagt hat, nicht wirklich nachvollziehen. Er führte das auch auf den Altersunterschied zurück.

    Über die Russen hat er trotz oder eben wegen seiner Erfahrungen nie negativ geredet. Wenn es zum Beispiel darum ging, dass das Essen die ganze Zeit hindurch mehr als knapp war, erzählte er immer wieder davon, dass die Russen selbst nichts zu essen gehabt hätten. Ich vergesse nie, wie er immer wieder davon gesprochen hat, dass sie sich während dieser 5 Jahre ganz überwiegend von Brennnesselsuppe ernährt hätten.

    Mich hat als kleiner Junge interessiert, ob mein Vater (er war nur Gefreiter und MG-Schütze mit hohen Auszeichnungen EK1/EK2) Menschen erschossen habe. Er blieb bei seiner Version, er habe immer über die Köpfe gezielt. Ich gab mich damit zufrieden.

    Später ging es (mir) darum, wie es in Bedburg war, als die Nazis die Macht ergriffen haben. Mein Vater war damals 10 Jahre alt.

    Die jüdische Gemeinde in Bedburg war relativ groß. Er hat als Kind registriert, wie Menschen plötzlich nicht mehr da waren und jüdische Geschäfte geschlossen waren. Er erzählte, dass er erst während des Kriegs auf dem Weg zu einem Heimaturlaub durch ein Gespräch von Offizieren auf einem Bahnhof erstmals von einem Konzentrationslager gehört habe. Das sind wenige persönliche Momente, in denen er mir überhaupt etwas über die Zeit erzählte. Meistens schwieg er. Wenn er etwas mehr erzählte, dann nur, wenn er ein paar Biere zu viel hatte. Es passierte in solchen Fällen nicht selten, dass er plötzlich abbrach und zu weinen begann.

    Wenn ich mir alte Wochenschauen oder Dokumentationen ansehe, frage ich mich, wie so gigantische Menschenmassen so fanatisiert sein konnten. Gleichzeitig stelle ich die Integrität all der Menschen (wir haben es nicht gewusst…) infrage, die es vorzogen, von den Nazis zu reden, zu denen sie selbst natürlich nie gehört haben wollen. Ich glaube, die Faszination der Führer dieser Zeit (nicht nur der Hitlers) hatte nicht bloß mit den Persönlichkeiten zu tun, denen die Leute an den Lippen klebten. Es muss mehr dahinter stecken als bloßer Personenkult. Die Nazi-Propaganda hat jedenfalls sehr viele in ihren Bann gezogen. Dieses Gerede vom arischen Menschen, von entarteter Kunst, vom unwerten Leben und so weiter entspricht entweder einem tiefen Minderwertigkeitsgefühl oder dem genauen Gegenteil. Darüber bin ich mir bis heute nicht im Klaren. Ich sehe nur, dass die Grundanlagen für die Entwicklung immer noch existieren. Du brauchst einen charismatischen Führer und ein paar Begriffe, die als identitätsstiftend, vielleicht sogar unterschiedlich interpretierbar sind und schon ist die Chance da, ein demokratisches Land in eine faschistische Gesellschaft zu verwandeln.

  4. Danke für Eure Kommentare! Zu dem Thema trauen sich nicht viele, was zu schreiben!
    @Horst: ich kann dir das Buch nur sehr ans Herz legen, denn auch dazu

    „…Die Nazi-Propaganda hat jedenfalls sehr viele in ihren Bann gezogen. Dieses Gerede vom arischen Menschen, von entarteter Kunst, vom unwerten Leben und so weiter entspricht entweder einem tiefen Minderwertigkeitsgefühl oder dem genauen Gegenteil. „

    erfährt man jede Menge, was so alles in jener Zeit zum „Stand der Meinungsdinge“ in Europa und USA der Fall war! (Auch in Russland gabs seit 2017 ein Institut für Eugenik),
    Reihenweise verabschiedete man sich von den Menschenrechten zu Gunsten der Rassenlehre. Die „Eugenik“ wurde „modernste Wissenschaft“, in den entwickelten Ländern wetteiferte man darum, vorne dran zu sein bei der „Reinhaltung der Rasse“ und Skalen über die Wertigkeit der verschiedenen „Rassen“ waren gang und gäbe. Man brauchte das auch, um den Kolonialismus zu rechtfertigen, deshalb war diese „neue Wissenschaft“ hoch willkommen.
    Eugenik wurde so sehr Standard, dass „Leugner“ als reaktionäre Ignoranten gebasht wurden, die die Rettung der Menschheit verhindern wollen. Die Rockefeller-Stiftung finanzierte Eugenik-Forschung nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland bis 1939 (also vier Jahr nach Erlass der Nürnberger Rassengesetze)
    Du erfährst im Buch Details und bekannte Namen, die sich dafür eingesatzt haben – ich war echt von den Socken, kann das hier aber nicht alles wiedergeben. Jedenfalls verschwand das alles nach dem Krieg „von jetzt auf gleich“ in den anderen Ländern aus den Unis – als wäre es nie da gewesen.

  5. Habe ich mir notiert :-) Danke. Zum Glück kommen wir ganz langsam dahinter, wie furchtbar falsch dieses Thema in der Geschichte gelaufen ist. Und doch wehren sich so unglaublich viele dagegen, die Fehler nachhaltig zu beseitigen. In den Vereinigten Staaten wurde gerade erstmals eine Ministerin mit indianischen Wurzeln ernannt. Allein diese Tatsache, von der kaum jemand Notiz zu nehmen scheint, zeigt, wie schrecklich falsch es gelaufen ist und wie schwer sich viele damit tun, sich das wenigstens jetzt einzugestehen. Barak Obama, Kamela Harris – das sind gute Entwicklungen. Man darf nur nicht die jüngere Geschichte bemühen, um ganz schnell zu erkennen, wie manche dieser Fortschritt quält und dass sie fast zu allem bereit sind, sie zu negieren und alles dafür zu tun, dass sich möglichst nichts in diese Richtung entwickelt. Ob das nun eine typisch weiße Domäne ist? Wahrscheinlich liegt es eher in der Natur des Menschen. Ein schrecklicher Gedanke übrigens.

  6. Buch ist bestellt. :-)

  7. @Horst, vielen Dank für deine Erzählung aus der Familiengeschichte. Das „schweigen“ war ja fast überall zu Hause, auch bei uns. Das kann ich heute auch gut nachvollziehen. Dennoch stand das „Unausgesprochene“ wie eine dunkle Wolke ständig im Raum. Allein dieser Aspekt füllt ganze Bücherregale, in die Adorno schon Licht bringen wollte.

    Ein Riesenthema, @Claudia, das uns wahrscheinlich alle ganz unterschiedlich triggert.

    Wenn ich dich richtig verstehe, geht es dir in deinem Beitrag in erster Linie um deine Eltern und um das heute noch „Unvorstellbare“ verstehen zu wollen. Ich bin zu der Meinung gekommen, dass ich das nicht kann, denn dazu gehören nicht nur die Fakten sondern auch das ganze Einfühlungsvermögen in eine ganz andere verflossene Zeit. Ein Zeitgeist, in dem mehr Menschen in einem nassen Mietshaus wohnten, als heute ein kleines Dorf an Einwohner hat. „Leben“ und „tägliches überleben“ prägte fast alles. Ich frage mich heute, welche Diagonale mein neuer Fernseher haben soll.

    Was ich allerdings aus meiner Beschäftigung mit dieser Zeit erkennen konnte waren „Mechanismen“, in welchem sich viele kleine und unscheinbare Quellen später in den alles vernichtenden und zerstörenden Fluss vereinten.

    Einer dieser Quellen ist für mich, das Menschen anderen Menschen das gleichberechtigte „Menschsein“ entzogen haben. Das, was du auch über Eugenik angesprochen hast und was für mich die „Lunte“ der Zündschnur ist. Juden, Homosexuelle, Zigeuner, …..

    Wenn ich deinen letzten Kommentar zur „Eugenik“ lese und dabei die Grundbegriffe „Rassen“ durch „Virus“ ersetze, passt mit ein wenig Fantasie alles damalige in das heutige.

    Ich höre jetzt liebe auf…….

    Danke @Claudia, für deinen mutigen Beitrag.

  8. @Menachem, es wird – wie du richtig schreibst – kaum möglich sein, uns in die Lage der Menschen im 3. Reich oder kurz davor zu versetzen. Ich glaube, die, die das glauben, geben sich nicht viel Mühe, sich in andere hineinzuversetzen. Die Herausforderungen, denen wir uns heute gegenübersehen, mögen andere sein, ganz so bagetellig sind sie m.E. allerdings nicht. Dabei denke ich nicht mal als erstes an die Folgen der Pandemie oder das, was uns in dieser Beziehung noch bevorstehen könnte. Die Demokratie (was ich nie für möglich gehalten hätte) steht auf dem Prüfstand. Das wiederum spricht dafür, dass du doch richtig liegst, wenn du den Vergleich mit früher ™ bemühst. Wie gering sind unsere derzeitigen Probleme (jedenfalls noch) im Vergleich zu dem, was viele im 3. Reich zu ertragen hatten. Hannah Arendt schrieb nach ihren Erfahrungen im Eichmann-Prozess den Buchtitel „Die Banalität des Bösen“, wie überrascht sie von der physischen Unscheinbarkeit Adolf Eichmanns gewesen sein. Ich meine, sie hätte sich auch zu den intellektuellen Fähigkeiten dieses Mannes geäußert. Es ist grob verkürzt, was ich hier schreibe. Aber irgendwie haben sie diese Eindrücke vielleicht inspiriert, diesen Buchtitel zu wählen. Menschen sind vielschichtig und ganz schwer in die Klischeeschubladen zu stecken, die wir alle so gern benutzen. Warum sollte das für Nazis anderes sein?

  9. Übrigens fand ich interessant, dass ich ähnlich wie Menachem dachte, als ich das über Eugenik las. Ich meine im Hinblick auf das Virus.

  10. @Horst Schulte

    „Ich meine, sie hätte sich auch zu den intellektuellen Fähigkeiten dieses Mannes geäußert.“

    Sagen wir mal so: Die hellste Kerze auf der Torte war Eichmann nicht.

    Ähnliches trifft m.E. auf Hitler auch zu. Er konnte sicher über sein propagandistisches Auftreten die Menschen in seinen Bann ziehen und hat mit seiner Ideologie einen „Zeitgeist“ und Nerv getroffen. Immerhin wurde er ja aufgrund der vor allem wirtschaftlichen Erfolge als eine Art Messias dargestellt, obwohl er faktisch nur Nutzniesser war und seine Politik das gar nicht so sehr bewirkt hat. Intellektuell war er jedenfalls auch nicht der Überflieger und gerade die Intelligenz war den Braunen auch stets ein gewisser Dorn im Auge.

    Auch sein Buch „Mein Kampf“ ist literarisch nicht zwingend der Knüller, sondern heute würde man es eher als einen Rant definieren, mit dem er sich seinen persönlichen Frust vom Hals schrieb und dabei fiktiv Schuld zuwies, wie es seiner doch recht engen Sichtweise entsprach. Auch da verheddert er sich schon in unbelegten Aussagen über das Weltfinanzjudentum und den ganzen esoterischen Müll, der diese Szene bis heute durchzieht. Fakten als Beweise sind da ebenfalls Fehlanzeige, sondern er bedient nur ein Narrativ und Klischees, die auch heute so wieder unter der Rubrik „Das wird man wohl noch sagen dürfen“ und „Der traut sich das“ laufen.

    Sicher war Hitler unzweifelhaft „Mensch“ und auch privat „umgänglich“, das hat ihn aber trotzdem wie andere als Familienmenschen und Schöngeister definierte Nazis auch nicht davon abgehalten, aus seinem Hirngespinst Realität werden zu lassen und andere Menschen schuldlos für ihr anderes Mensch-Sein massenhaft und industriell abzuschlachten.

    Genauso unzweifelhaft hätte ein Hitler alleine auch das nie gekonnt, deswegen muss er aber auch nicht schöner dargestellt werden als er ist.

    In Bezug auf Eugenik ist auch klar, dass nicht nur die Nazis dazu „geforscht“ haben. Nur hat sich dieser Rassenwahn eben auch nur in Deutschland zu einem Weltkrieg, einer solchen „Perfektion“ und Dimension entwickelt.

  11. @Siewurdengelesen: zu allem, was du da ansprichst, gibt es im Buch sehr interessante Details – und alles ordentlich belegt. Z.B. seine „Hirngespinste“ – wenn du damit die ganzen Absurditäten und menschenverachtenden Schrecklichkeiten der Nazi-Ideologie meinst – hat er sich größtenteils nicht selbst ausgedacht. Man erfährt, was er gelesen hat, wer all die Vordenker und „Wissenschaftler“ waren, wie der ganze Zeitgeist beschaffen war, der dieses „Monster“ gebar. Er wird auch nicht „schöner“ dargestellt, es wird aber endlich mal erkennbar, warum er bei den verschiedensten Gruppen so gut ankam, dass sie regelrecht auf ihn abführen! Die „Umgänglichkeit“ ist übrigend grade kein Aspekt, der im Buch besonders betönt würde.

  12. @Claudia

    Das bei Hitler das nicht zwingend angelegt war, ist schon klar ebenso wie die Tatsache, dass er auch durch Gönner als der Mann entdeckt wurde, der in der Lage ist, grössere Massen zu beeinflussen. Zeitgeist trifft es da schon und in gewisser Art und Weise war er halt der richtige Mann am richtigen Ort zur richtigen Zeit. „Mein Kampf“ ist da nur eine Art erstes Konglomerat, in welchem sich dieses geistlose Gemisch aus VT, Antisemitismus und Frust eher schlecht geschrieben niederschlug.

    Vorher und vielleicht noch schwankend traf er halt die Richtigen und eben auch Intellektuellen, die überdeutsch und Anhänger von Rassenlehre und Militär waren. So btw. war er selber noch Spitzel, von wegen „Der grösste Lump im ganzen Land…“ als Spruch, der nur zu gern aus der rechten Ecke kommt. Den zu dieser Zeit für viele typischen Ungeist des Militarismus und Nationalismus hatte er über seine Soldatenzeit und sein Umfeld sicher schon verinnerlicht. Den Schwenk zum Antisemitismus hat er jedenfalls spätestens 1920 vollendet und irgendeiner muss ja immer Schuld sein. Flüchtlinge gab´s damals noch nicht so, also nehmen wir eben die Juden. Sind wir wieder da, wo er aussprach, was andere nur gedacht haben. Andere sind für weniger in der Anstalt gelandet.

    Andererseits war er opportun genug, sich mit denen zusammen zu tun und sich von diesen fördern zu lassen, die er doch mit seiner „Arbeiter“partei vermeintlich verachtete. Und die haben natürlich in ihm einen „nützlichen Idioten“ gesehen und nicht damit gerechnet, dass er soviel Ehrgeiz und Rückhalt entwickelt, um sich bis zum ersten Mann in der Weimarer Republik hoch zu arbeiten. Lag auch am Laissez-faire derer, die mit ihm Kohle gemacht haben und deswegen alle Warnsignale ignorierten – Ähnlichkeiten rein zufällig und heute wird von den Querdenker ganz ähnlich über Covid-19 gehebelt.

    Ein A… bleibt er für mich trotzdem und ob ich die Kohle für das Buch investiere, weiss ich noch nicht. Das läuft subjektiv für mich etwas unter dem Prinzip, Hitler und das Dritte Reich gehen immer…

    …über der Historie vergessen wir besser nicht die neuen Hitler.