Immer wieder fragen mich Leute angesichts des anstehenden Umzugs von Gottesgabe nach Berlin, warum ich denn „das Grüne“ verlassen und ins Häusermeer zurückkehren will. Nicht etwa an den Stadtrand, nicht in den Speckgürtel, sondern „in the mid of the muds“, wie es mein Lebensgefährte in Erinnerung der Hunde-verschissenen Berliner Gehwege so treffend ausdrückt.
Ich liebe das Grün (typisch Stadtmensch!). Wenn ich aus dem Fenster gucke, sehe ich die Mai-seelige Biomasse spriessen, als gälte es, bis zum Herbst das Schloß mal richtig zu überwuchern. Der Geruch der feuchten Erde hängt in der Luft, vermischt mit dem Blütenduft der Äpfel, Kirschen, Linden und Kastanien. Die endlosen Weiten der mecklenburgischen Felder zeigen sich derzeit in gelb: blühender Raps, wohin man schaut. Wunderschön, jederzeit vom PC weggehen zu können, ein paar Schritte zu machen und im Grünen oder Gelben zu stehen.
Dass ich hier weggehe, ist kein Ergebnis rationaler Überlegungen. Natürlich könnte ich jetzt so tun als ob und eine Art Kosten-Nutzen-Rechnung anstellen, die zeigt, dass sich „unterm Strich“ die Waagschale auf die Seite der Stadt senkt. Von der Realität wäre das weit entfernt, die immer eine Vielfalt von Ereignissen ist, die mich auf allen Ebenen beeinflussen und letztlich in eine bestimmte Richtung schieben, ziehen, mitreissen. Gegen solche Strömungen will ich nicht mehr anschwimmen, im Gegenteil, ich will sie frühzeitig kommen spüren und mitgehen. Zwei ganze Jahre in einem winzigen Dorf, in einem recht leeren Land, das insgesamt nur 1,7 Millionen Einwohner hat – das ist eine lange Zeit.
Lang genug um vieles zu erleben, was mensch sich nicht vor Augen führt in seiner Sehnsucht nach dem Grün, nach Natur, nach Tieren, Pflanzen, Erde und unmittelbar hereinbrechenden Wettern. An manchen Tagen stinkt die Landschaft zum Beispiel gottserbärmlich, die Bauern verteilen Unmengen Gülle und Klärschlamm auf den Feldern, man kann dem Gestank nach Scheiße und Dreck dann nirgends entkommen! Die Felder selbst, obwohl schön anzusehen, haben doch etwas Brachiales. Jeder Quadratmeter wird genutzt, kein Weg, kein Hain, kein Randstreifen bleibt verschont, wo nicht eine übergeordnete Institution mit ausreichend Fördergeldern und Vorschriften dafür sorgt. Und das geschieht nur punktuell, dort, wo man Touristen anlocken will, die nun mal laufen oder Rad fahren wollen.
Daß für die Raubvögel die quadratkilometergroßen Felder mit 1,60-Meter hohem Doppelnull-Raps tote Gegenden sind, weil es unmöglich ist, auf deren Boden zu sehen, ist den Landmenschen hier egal. Oder daß es vielleicht schön wäre, auf direktem Fußweg ins nächste Dorf gehen zu können, anstatt dem weiten Umweg der Autostraße nachlaufen oder unerlaubter Weise über den Acker stolpern zu müssen – kein Gedanke! Was nicht angeordnet und bezahlt wid, kommt nicht vor. Ehemals vorhandene Wege, noch von Kastanien gesäumt, sind verschwunden, der Platz für optimale agrarische Nutzung gewonnen. Man muß dankbar sein, dass sie wenigstens hier und da die Bäume nicht gefällt haben!
Was mich so belebt, wenn ich in die Stadt komme, ist zum Beispiel der überall sichtbare Wille zur Gestaltung. Die Menschen wollen sich ausdrücken, sie gestalten und kreieren deshalb weit mehr als das, was der jeweilige Job erfordert. Gestaltung ist ein Stück Selbstverwirklichung – für Städter ein Lebenselexier. Ob Hinterhofbegrünung oder Fassadengraffiti, öffentliche Raumplanung und Architekturwettbewerbe oder die Buntheit der Outfits und Kneipeninterieurs, die Vielfalt der Veranstaltungen und Events – jenseits aller kommerziellen Aspekte zeigt sich darin auch eine Liebe zum Dasein im Bemühen, etwas schöner zu machen, als es von selber schon ist.
Das vermisse ich hier. Auf dem Land würde es bedeuten, das Land wirklich zu gestalten, nicht nur zu nutzen. Den Versuch, die Gegend für Menschen – Wanderer, Radfahrer – artgerecht anzulegen und auch den Gewächsen und Tieren Raum zu lassen (viele sind ja in die Stadt eingewandert, da das Land ihnen zu wenig bietet). Natürlich braucht alles derartige dann letztlich auch Strukturen, Vorschriften, Fördermittel – aber was mich traurig stimmt, ist die Anmutung, dass es den Bauern hier einfach kein Anliegen ist. Im Gegenteil, überall, wo ein wenig Naturschutz und Landschaftspflege stattfinden soll, ist erstmal Kampf angesagt. Wäre es anders, würde man hier und da etwas sehen, was vom „Willen zur Gestaltung“ spricht, kleine eigene Intitaitiven. Zum Besipiel gibt es mitten in den großen Feldern feuchte, agrarisch nicht nutzbare Löcher, manchmal mit einem kleinen Teich, gelgentlich von Bäumen umstanden – nie sah ich, dass so ein Spontan-Biotop auch nur ein wenig gepflegt würde, vielleicht begehbar gemacht durch einen Trampelpfad und befreit vom Müll, den manche dort versenken. Nichts!
Dauerhaft auf dem Land leben könnte ich nur als Bäurin, die sich mit diesen Dingen aktiv auseinander setzt und selber etwas tut, anstatt nur zu klagen und zu fordern. Letzteres funktioniert schon gar nicht, wenn man von aussen kommt, aus der fernen Metropole, dazu noch als Wessi in den Osten. Und eine Bäurin werde ich in diesem Leben nicht mehr.
Also geh‘ ich zurück. In die Stadt, wo das Virtuelle den Großteil des Realen ausmacht, wo die Sachen nicht einfach Sachen, sondern Träger von Bedeutung sind. Dort sind meine Aktionsfelder, dort treffe ich Mitspieler und Gegner, dort passen meine Fähigkeiten hin, die hier nur mühsam durch ein 1024 x 800 Pixel-Fenster transportierbar sind.
In Friedrichshain gibt es deutlich mehr Bäume als in meinem alten Kiez in Kreuzberg. Immerhin.
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