Bisher schien es so, als würde dieser Umzug wie am Schnürchen klappen. Aber das kann ja eigentlich nicht sein, ich hätte es wissen müssen. Gestern also nach Berlin gefahren, um einen Termin mit der Telekom wahrzunehmen: ab 13 Uhr, Einrichten des ISDN-Anschlusses. Ha, ich saß also wartend in der leeren Wohnung und pünktlich um 13 Uhr fuhr tatsächlich ein Telekom-Bus vor. Nur: Der war nicht für mich gekommen, sondern für Leute aus dem fünften Stock, Mieter, die nun ihrerseits nicht zuhause waren, so daß der arme Monteur unverrichteter Dinge wieder abziehen mußte. Bis halb sechs blieb ich dann noch dort, gewöhnte mich an die neue Lautstärke, schob im Geiste Möbel hier und dahin und ärgerte mich über die nutzlos gefahrenen 500 Kilometer. Zwischenzeitlich hatte sich auch herausgestellt, daß die Telefonanlage im Heizungskeller liegt, zu dem ich keinen Schlüssel habe. Klar doch, es hat eine umfangreiche Wohnungsübergabe mit drei Seiten Protokoll gegeben, aber dass ein Mieter auch ein Telefon braucht, war dem Mitarbeiter der Hausverwaltung nicht aufgefallen.
Vermutlich war der Telekom-Mensch ja mit dem falschen Lieferschein unterwegs. Dabei hatte ich mich noch gefreut, wie problemlos sich das alles managen läßt, wenn man die Service-Nummer der Telekom „für Geschäftskunden“ anruft. Denkste! Alles, was schief gehen kann, geht meistens auch schief. Nur keine Panik.
Egal. Im neuen Kiez fühl‘ ich mich so zuhause, als lebte ich dort schon einige Jahre, es ist zum Staunen! Sieht eben aus wie Kreuzberg vor 15 Jahren: die kaputten, aber romantischen Altbaufassaden neben den frisch renovierten, unterschiedslos mit Graffiti überzogen, überall die Baugerüste, einige mit Plastikplanen verhangen, das laute „Rummms“, wenn die Arbeiter den Schutt durch ein großes Rohr nach unten in einen Container fallen lassen, die Straßen mit Kopfsteinpflaster, schön aber laut, die unzähligen Erdgeschoßläden, viele davon leer stehend, noch mit uralten Original-Aufschriften aus der Gründerzeit. Dazu ein Imbiß am anderen, nicht gerade Meisterleistungen der Kochkunst, aber billig und schwer multikulti.
Und gerade jetzt platzt die große Koalition, alle Skandale des Bau-Filzes kochen hoch, Aufbruchstimmung macht sich breit, ich hätte keinen spannenderen Zeitpunkt erwischen können, um zurückzuziehen. Denn so ein Wahlkampf, so ein „Kampf um Berlin“ bringt alles an den Tag bzw. in die Gazetten, was normalerweise als Normalität des Berliner Sumpfes kaum der Rede wert ist. Ein kostenloser Schnellkurs zum wieder Kennenlernen aktueller Berliner Verhältnisse, wie ich ihn nicht besser hätte haben können.
Übrigens regen sich ja alle furchtbar über die Bankgesellschaft auf, über die vielen „notleidend“ gewordenen Bauprojekte, die Mega-Vorhaben, die kurz nach der Wende in der Hoffnung auf eine große Zukunft (mit vielleicht sechs Millionen Einwohnern!) angestossen wurden, und denen jetzt irgend jemand ein paar Milliarden hinterher werfen muss. Dabei wird aber vergessen: Es hat jetzt Platz in Berlin, wirklich genug leeren Raum, massenweise Wohnungen, Büros und Gewerbebauten. Der Markt ist „entspannt“, jeder, der etwas vorhat oder hierher ziehen will, findet 1000 Möglichkeiten.
OB und WANN Menschen nach Berlin ziehen, ist eher eine Frage der geistig-kulturellen Ausstrahlung der Stadt, also etwas, das sich von Tag zu Tag, zumindest von Jahr zu Jahr grundstürzend ändern kann. Berlin ist die Metropole der Möglichkeiten, die VIRTUELLE Hauptstadt und als solche einzigartig. Wenn man dagegen das übervolle, satte und sündhaft teure München anguckt: Was soll denn da noch DAZU kommen, wie soll da noch Neues entstehen? Man liest, dass Mitarbeiter zuziehender Firmen monatelang in Hotels wohnen müssen, weil einfach keine bezahlbaren Wohnungen vorhanden sind. DA hat Berlin gute Karten, die mit Sicherheit noch einmal stechen werden, wenn nicht gleich heute, dann später, vielleicht nach dem großen Aufräumen, um das sich jetzt angeblich alle Parteien bemühen wollen.
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