Claudia am 16. Juni 2001 —

Über das Männliche

In jedem Frühling erscheinen neue Bücher und Rezensionen über Männer. Offensichtlich gibt es da immer noch jede Menge zu reflektieren. Mann ist sich selber ein Problem, genau wie Frauen sich lange Zeit mit Geschlechtsrollen auseinander setzten – nur: Mann hat irgendwie schlechtere Karten, zumindest ideologisch betrachtet. Ein paar tausend oder hunderttausend Jahre Patriarchat (über Zeiträume will ich nicht streiten) sind nicht so ganz easy wegzustecken, zumal eine Gleichverteilung von Macht und Einfluss zwischen den Geschlechtern auch heute nicht überall verwirklicht ist.

Ich spüre immer wieder, vor allem bei Männern meiner Generation (Post-68er) und den Älteren, dass sie das Männliche verurteilen: In der Welt, wo es vorgeblich so viel Schaden anrichtet (Krieg, Unterdrückung, Umweltzerstörung…) und natürlich auch in sich selbst. Dass einige – anstatt psychisch stets Trauer zu tragen – dann in einen offensiven Machismo oder resignierten Zynismus verfallen, kommt gelegentlich vor, ist aber auch nur Reaktion. Ganz beiläufig gilt vielen das Männliche als das Böse und Zerstörerische – im Unterschied zum rundum positiv erscheinenden Weiblichen. So schreibt mir zum Beispiel ein guter Freund über Wissenschaft:

„Im Westen ist die Wissenschaft (und Technik) eine männliche Wissenschaft – im Osten ist sie eine weibliche: Mitgefühl, Liebe, Einfühlung, Gewaltlosigkeit, Akzeptanz, Selbstbescheidung – dagegen: Wille, Durchsetzungskraft, Ego, Selbstsucht, Unabhängigkeit, Auflehnung.“

Arme Männer, kann ich da nur sagen! Moralisch völlig unten durch. Ich glaube aber nicht, dass der Geschlechterkampf enden kann, solange Männer und Frauen eine der beiden Seiten in sich diskriminieren.

Früher suchte ich selber immer den „Menschen im Mann“, als wäre der Mann etwas zu Überwindendes, ein archaischer Restbestand, bedauerlicherweise noch wirkungsmächtig. Heut‘ freu‘ ich mich über jedes bißchen „Mann“, das noch in der Packung ist! Und wenn die Männer selber das Männliche an sich mögen, ist es noch besser.

Natürlich ist alles, was man jeweils als männlich oder weiblich zu fassen meint, „nur“ eine Zuschreibung – gefestigt durch Jahrhunderttausende Tradition, oder meinetwegen auch codiert in den Genen… Doch jede und jeder trägt alles in sich und muss – zugunsten des eigenen Seelenheils – die je andere Seite in sich finden und lieben lernen.

Ich brauche mir nur die Urszene vor Augen führen, um zu erkennen, wie diese Traditionen und Zuordnungen entstanden sind, davon ausgehend, dass Menschen „ursprünglich“ (nicht historisch, sondern absolut: bevor je ein Mann und eine Frau einander begegneten und aneinander zu Vater und Mutter wurden) gleich sind, und keine verschiedenen Tierarten, die sich zufällig miteinander paaren können.

Urszene: Frauen werden schwanger und bekommen abhängige, pflegebedürftige Kinder. Wesen, die einige Zeit an ihnen hängen bleiben, das ist ja bei allen Säugetieren so. Dadurch teilt sich automatisch eine Arbeit das aller erste Mal: Die einen kümmern sich um die Kinder, die anderen passen auf, dass kein Angreifer kommt, bzw. bekämpfen die Angreifer, sofern doch welche kommen. (Daß man sich dabei langweilen kann und selber mal losgeht, ‚rüber zur nächsten Horde, wo die anderen Frauen sind, ist auch verständlich..)

Beides ergibt gleich überlebenswichtige, unverzichtbare und moralisch völlig gleich zu bewertende Eigenschaften: das Kämpferische am Mann, Beziehungswerte bei der Frau. Die Grundfrage des Mannes ist immer: „Was droht? Will mir hier einer an den Karren fahren? Wo steht der Feind?“ Und die weibliche Frage heißt: „Schadet das der Beziehung?“ (was immer es ist, das kann gut auch mal der Weltuntergang sein…).

Weil alle Menschen eine Mutter haben und also zunächst von Beziehungswerten existieren, ist es leicht zu erklären, dass dieses Beziehungsverhaftete (=weibliche) als das grundsätzlich Gute, Wahre und Schöne durchgeht, zumindest in der ganz individuellen Erfahrung sich so einprägt. Wogegen das Männliche erst später bemerkt wird. Dazu muß nämlich der Verstand schon erwacht sein, bevor das Kind den väterlichen Anteil am Überleben (=die erfolgreiche Verteidigung, das Siegen im Kampf) überhaupt bemerken kann. Hier ist der „abwesende Vater“ noch der GUTE Vater.

Dazu gibt es auch eine persönliche Geschichte. Rein vom Denken kommt der Friede leider nicht, und deshalb erzähl‘ ich die hier, ganz kurz:

Als älteste Tochter eines Vaters, der Frauen eigentlich hasste, war mir das alles nicht leicht gemacht, der Umgang mit Geschlechtsrollen mehrfach „ver-rückt“. Er behandelte mich eher wie einen Sohn, verlangte vor allem Stärke und – wenn das schon nicht klappte – wenigstens Intellekt. (Wissenschaft ist vom Mann her gesehen also schon zweite Wahl) Er diskriminierte das Weibliche im mir, wollte nicht mal, dass ich mir die Haare wachsen lasse. Ganz spät erst wurde mir klar, dass er so reagieren musste, weil er mit seinen sexuellen Gefühlen gegenüber der Tochter nicht zurecht kam (und sich für diese auch noch verachtete…) .

Im Ergebnis lebte ich in der ersten Lebenshälfte fast nur den männlichen Aspekt, ohne dass ich das als „das Männliche“ hätte anerkennen können: das Zupackende, Aktive, ja, Agressive und Kämpferische, mutiges, gelegentlich selbstzerstörerisches Kriegertum eben. Und ich kämpfte – einig mit der Frauenbewegung – gegen die Zuschreibung, die diese Eigenschaften als männlich betrachtet, sozusagen okkupiert und uns vermeintlich vorenthält. Eine Einstellung, die uns auch noch als „unweiblich“ dastehen lässt, wenn wir uns für eine gute Sache einsetzen… Schließlich ist eine Löwin, die ihre Jungen verteidigt, auch recht kämpferisch!

Als ich mit der „männlichen“ Art dann so Mitte dreißig nur noch an Wände lief und schließlich das Kämpfen erstmal von mir abfiel, änderte sich alles grundstürzend. Ich erkannte die „weibliche“ Seite der Welt, befand mich mitten drin, stellte auf einmal fest, dass ich nun Eigenschaften meiner Mutter lebte, die mir sogar als großer „Fortschritt“ erschienen. Es dauerte allerdings ein paar Jahre, bis ich im neuen Leben die neuen Werte als „weiblich/mütterlich“ erkennen konnte, ich verstand es eher als eine Art Erleuchtungsfortschritt. (ja, lacht nur!).

Erstaunlich war, dass meine „Führungskraft“ in Gruppen und Arbeitszusammenhängen dadurch gewonnen und nicht etwa verloren hatte. Es ging jetzt nicht mehr darum, mich durchzusetzen oder meine Stellung zu behaupten („Wer will mir hier an den Karren fahren?“), sondern ich konnte jetzt anstrengungslos von mir absehen und – ganz unverbissen – einer Sache bzw. einer Gruppe dienen. Auf einmal hatte ich auch keine Angst mehr, womöglich als „autoritär“ angesehen zu werden, was mich vorher immer schreckte, wenn ich mal wieder irgendwo sagte, wo’s denn lang gehen soll. (Seltsamerweise hat mich niemals mehr wieder jemand als autoritär bezeichnet.)

In einer Gestalt-Therapiegruppe hatte ich zu dieser Zeit Erlebnisse, die mich das Männliche in Reinform (bzw. das, was es für mich ist), in mir selbst sehen und spüren ließen. Ich sah mich in einem gefühlsgeladenen inneren Bild als Kriegerin – und fand mich wunderbar! Sah mich gleichzeitig von außen (als moralische Instanz, ganz wach) und spürte das wunderbare Gefühl, das man (und auch frau) haben kann, wenn der Kampf beginnt.

Das ist, wenn man das Visir herunterklappt und es wirklich los geht! Dann ist das Diskutieren nämlich zu Ende, sei es, um sich mit Gruppen abzustimmen, sei es im eigenen inneren Dialog der Rechtfertigungen und Abwägungen. Das Visir klappt zu und jetzt geht es nur noch um eines: Gewinnen, siegen! Und man ist ganz allein, ganz auf sich selbst gestellt, nicht einmal mehr Gott ist da gefragt, wenn die volle Aufmerksamkeit allein auf den Gegner und dessen Niederringen gerichtet ist. (Der meldet sich allenfalls hilfreich zu Wort, wenn man zweifelt und sich nicht traut, wie etwa bei Arjuna in der Baghavadgita)

Durch das Visir sieht man die Welt nur noch durch kleine Schlitze, ein schönes Symbol. Es ist eine spezifische geistige Verengung, die dafür nötig ist, kämpfen zu können. Man gibt dabei sehr viel auf, was den Menschen ausmacht, und wir könnten es gar nicht leisten, würden wir uns dabei nicht auch ein Stück weit selbst erfahren und verwirklichen – indem wir in jedem Kampf neu dem Tod und dem Unbekannten entgegen treten.

Es ist die – schreckliche UND schöne – andere Seite derselben Verengung, für die „das Weibliche“ steht: Beziehung als oberster Wert, also persönliche Liebe, Bindung, Fürsorge, Hingabe. Aspekte, ohne die die Welt nicht bestehen könnte, aber gleichzeitig so beschränkt – genau gleich beschränkt wie das Kriegerische.

Heute liebe ich das Männliche in der Welt, seit ich eben weiß, dass es die eine, unverzichtbare Hälfte ist, die aber ohne die andere wenig Glück zustande bringt, genau wie umgekehrt.

Im Lauf des Lebens – so kommt es mir wenigstens vor – geht der Gang eher vom Männlichen hin zum Weiblichen, oder besser und weit richtiger: das Männliche geht von außen (=Front) nach innen, das weibliche den umgekehrten Weg. Im besten Fall wirke ich dann nach außen weich, harmonisch, liebevoll – doch im Inneren ist große Klarheit und Stärke, unkorrumpierbar, ohne Wahl.

Was die Welt im Ganzen angeht, wundere ich mich nicht, dass ein paar wenige Jahrhunderte noch nicht alles geändert haben – aber die Zeit arbeitet für den Ausgleich, für das Weibliche, denn Beziehungswerte werden immer wichtiger. Gerade in einer globalisierten und immer mehr vernetzten Wirtschaft.

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