Gedanken, Gefühle, Körperempfindungen – das sind die drei Dimensionen, in denen wir hauptsächlich leben, bzw. wahrnehmen, dass wir leben. Dabei unterscheiden sich Gedanken und Körperempfindungen in einem wichtigen Punkt von den Gefühlen: wir können durchaus mal umdenken bzw. etwas anderes denken, können auch auf den Körper in vielfacher Weise einwirken – doch die Welt der Gefühle entzieht sich dem direkten Zugriff, da sind wir dem, was in uns vorgeht, erstmal einfach ausgeliefert.
Ärger, Wut, Glücksgefühle, die „Schmetterlinge im Bauch“ und viele andere Emotionen scheinen uns zuzustoßen, ausgelöst von den Umständen, Ereignissen und vom Verhalten anderer Menschen. Je nach Temperament und Sozialisierung reagierien wir spontan oder verhaltener, oder tragen sogar durchweg die Maske moderner „Coolness“ – doch was tatsächlich gefühlsmäßig abgeht, das bestimmen wir nicht selbst. Sogar das Strafrecht berücksichtigt die Machtlosigkeit gegenüber den eigenen Gefühlen durch die minder schwere Bestrafung einer „Tat im Affekt“.
Orientierung und Verfallenheit
Dass wir die Gefühle nicht direkt steuern können, ist gut so, denn sie sind es ja, die uns (neben den Körperempfindungen) überhaupt erst eine Navigation im Rahmen der schier unendlichen Eindrücke aus der Umwelt ermöglichen. Buddha beschrieb das Menschenwesen als „Leiden meidend, Freude suchend“: ein natürliches Verhalten, das unsere Welt und Gesellschaft entstehen lässt, doch eben auch seine Nachteile hat, da es uns leicht berechen- und manipulierbar macht. Jedenfalls in dem Rahmen, in dem wir den Gefühlen einfach verfallen und entsprechend agieren.
Für Buddha war es die „Erleuchtung“, die die sogenannte Kette des bedingten Entstehens durchschlagen konnte, denn dem Erleuchteten ist alles gleichermaßen gültig: er ist frei vom Karma, frei, den Gefühlen zu folgen oder eben nicht. Für Friedrich von Schiller gewinnt der Mensch erst seine Würde, wenn er sich willentlich über seinen Naturtrieb erhebt: „Beherrschung der Triebe durch die moralische Kraft ist Geistesfreiheit, und Würde heißt ihr Ausdruck in der Erscheinung.“
Schillers Herangehen ist das uns im Westen vertraute: Man spürt die Gefühlsimpulse, doch lässt man sie erst nach einer „moralischen Filterung“ zum Ausdruck kommen – oder eben nicht. Buddhas Weg ist radikaler: der Erleuchtete ist nicht mehr mit dem ICH, bzw. derjenigen Instanz identifiziert, die „die Gefühle hat“, sondern kann sie wie ein Tourist betrachten, ohne ihnen zu verfallen.
Vom Gefühlshunger der Onliner
Es gibt zwei Weisen, wie man indirekt auf Gefühle Éinfluss nehmen kann: Durch körperliches Erleben (Bewegung, bewusstes Atmen, Sporteln etc.), sowie durch „anders denken“.
- Wer mies drauf ist, kann die Sauna besuchen oder einen Spaziergang über eine sonnige Wiese machen – schon ändert sich die Gefühlslage. Schneller gehts mit dem Griff zur Schokoladetafel, leider mit unangenehmen Folgen, wenn diese Art körperliche Kompensation des Leids zu oft gewählt wird.
- Im Denken kann ich meine Gefühle hinterfragen und negieren, kann sie vernünftelnd klein reden, durch Umbewertungen (positiv denken) verwandeln oder auch einfach durch Nachrichten- und Medienkonsum „überschreiben“.
Wer nun, wie es ja heute viele tun, den Großteil des Tages körperlich auf einem Bürostuhl vor dem Monitor „einrastet“, verzichtet damit auf weite Teile des sinnlichen Erlebens. Abgeschirmt vom Wetter und reduziert in den Bewegungen fällt das physische Sinneserleben als Gefühlsanstoß weitgehend aus. Umso wirkungsmächtiger wird dafür die mentale Ebene: Mit ein paar Mausklicks können wir durch verschiedene Gefühlswelten zappen – hier ein heftiger Schlagabtausch, dort eine brisante Nachricht mit „erregendem“ Titel: ein Blick auf NetNewsGlobal liefert locker 50 Gründe, sich furchbar aufzuregen – und wer es drastischer mag, widmet sich den Video- und Bilderwelten, die Schönes und Abgründiges haufenweise ins Hirn schaufeln.
„Gefühle on Demand“ treffen so auf einen Gefühlshunger, der dem Mangel an natürlicher Bewegung geschuldet ist. Die sogenannte „Internet-Sucht“ und auch der oft erwähnte „News-Junky“ sind Phänomene, die sich aus der Unterversorgung mit Eindrücken und Herausforderungen in der physischen Realität erklären. Da sitzen wir in unseren zivilisatorisch wattierten Monaden-Gehäusen und sehnen uns nach Aufregungen – etwas, das Buddha noch nicht kannte, denn so etwas wie „Leiden suchen“ konnte damals noch nicht Bestandteil des Menschenbildes sein: es gab ja alltägliches Leid genug.
Wir bestehen zu 50 bis 70% aus Wasser – und eigentlich weiß jeder, wie „stehendes Wasser“ sich verändert: es wird faulig und beginnt bald, zu stinken. Ganz dem entsprechend versinkt ein Mensch, der zuviel vor Monitoren sitzt, zunehmend in einer kaum bemerkten Grundstinkigkeit: es ist irgendwie zuwenig los und das wird dann eben mittels immer neuer Medieninhalte „verpflastert“. Je krasser, desto lieber, denn dabei kann man sich wunderbar erregen und im folgenden Nachlassen der Erregung ein Gefühl der Entspannung erleben: fast so, als hätte man „was Richtiges“ erlebt.
Dieses Erleben medial vermittelter Ereignisse verhält sich jedoch zum alle Ebenen umfassenden „Real Life“ wie ein künstlich aromatisiertes Fertiggericht zum opulenten Gourmet-Menü mit der Geliebten bei Kerzenschein. Die Evolution wird noch einige Zeit brauchen, bis wir an ein „Medienleben“ so angepasst sind, dass es zu keinen neurotischen Reaktionen mehr kommt – für uns Heutige zu spät. Wir müssen also selber zusehen, dass wir körperlich nicht verkümmern und bewusst den Ausgleich suchen – eine Einsicht, die mir als alte „Sport-Hasserin“ nicht grade leicht fiel. :-)
Diesem Blog per E-Mail folgen…
Diskussion
Kommentare abonnieren (RSS)
9 Kommentare zu „Gefühle und Bewegung“.