Fast egal, um was es geht: Immer wenn die Regierenden wirtschaftliche Interessen berücksichtigen, kommt dieser Vorwurf: Sie hätten sich von Lobbyisten manipulieren lassen und so „uns alle“ wieder und wieder an die Konzerne und Großfirmen verraten, damit deren Profite nicht geschmälert werden. Der Vorwurf stellt Kontakte mit Lobbys oft sogar mit Korruption gleich, auch wenn nicht der Schimmer eines Verdachts besteht, dass sich Amtsträger irgendwie bereichert hätten.
Immer wieder finde ich das ziemlich platt und der jeweils zu verhandelnden Problemlösung nicht wirklich dienlich. Viele Jahre war ich mietenpolitisch unterwegs: Dort heißen alle, die sich in die Themen eingearbeitet und einen Namen gemacht haben, sowie ihre jeweiligen BIs, Vereine und Verbände „Betroffenenvertretungen“. Ihre Stimmen müssen gehört werden und tatsächlich haben und hatten sie auch immer wieder Zugang zur Politik, wobei das niemand kritisiert, egal ob sie als Angestellte einer Institution oder als Aktivistinnen unerwegs sind. Der Haus- und Grundbesitzerverein aber ist „Lobby“, obwohl er auch nichts anderes tut, als die Interessen seiner Mitglieder zu vertreten.
Dass der Haus- und Grundbesitzerverein mehr Gehör bei CDU/FDP findet und die Mietaktivisten eher bei SPD/GRÜNE/LINKE entspricht der Diversifizierung unserer Parteienlandschaft, ändert aber nichts daran, dass sie alle dasselbe tun: Sich mit Politiker/innen treffen und ihre Sicht der Dinge vortragen, natürlich mit dem Ziel, die Kontaktpersonen von der eigenen Position zu überzeugen (im Vorwurfsjargon = zu manipulieren).
Bei den Großthemen Kohle, Klima, Wirtschaft in Corona-Zeiten wird ganz besonders skandalisiert, dass die Regierenden zu sehr die Interessen der Wirtschaftsmächte berücksichtigen, deren Lobbyisten „ihnen auf dem Schoß sitzen“. Auch diese vertreten selbstverständlich ihre Interessen, wobei das ausschlaggebende Argument eben in aller Regel nicht Bestechungsgelder oder besondere Freundschaften sind, sondern die jeweiligen Alternativen, die bei Nichtberücksichtigung eintreten könnten. Das sind Folgen, die die Regierenden den Bürgern lieber nicht ausmalen, aus meiner Sicht ein Defizit, das der Demokratie nicht dienlich ist. Man sollte jeweils auf den Punkt bringen und im Detail öffentlich machen, was konkret folgen würde, würde man es anders machen. Dann könnte mensch informiert entscheiden: Nehmen wir das in Kauf für das Ziel, das uns wichtiger ist?
In Deutschland lag die Exportquote im Jahr 2019 bei rund 47 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Da draußen wird also jede Menge Geld verdient, von dem Steuern gezahl werden, die wiederum zur Umverteilung im Sozialstaat zur Verfügung stehen. Vor diesem Hintergrund versteht man gleich besser, dass Politiker der exportierenden Wirtschaft eine Wichtigkeit beimessen, die z.B, über jene der Kulturveranstalter hinaus geht. Nicht wegen „Lobbyismus“, sondern wegen der Verhältnisse, wie sie tatsächlich sind.
Das ist nur ein Beispiel von vielen und ich bin persönlich sehr dafür, zu Gunsten des Klimaschutzes und der Umverteilung auf ein Stück Wohlstand zu verzichten. Das kann ich allerdings leicht sagen, da mein Lebensstil sowieso schon recht bescheiden ist. Wer dagegen einen mittleren Lebensstandard mit Familie, großer Wohnung oder Haus, Autos und allem, was da dran hängt, unterhalten muss, sieht die Dinge womöglich anders. Und das sind hierzulande immer noch recht viele, trotz „Schere“.
Was die wirklich Reichen angeht: Klar, die sollten mehr beitragen! Es ist aber nicht leicht, sie dazu zu bewegen, denn Kapital ist nach wie vor flüchtig. Anstatt sich in dieses Dilemma zu vertiefen, kritisieren Linke glatt lieber, wenn einige von ihnen ihr Geld für sinnvolle Zwecke ausgeben: bloßes Social- und Greenwashing… ach, ich bins echt leid!
Kein Fazit, mir geht einfach die Schlichtheit aktueller Debatten auf die Nerven!
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2 Kommentare zu „Nur wegen Lobbyinteressen – ein wohlfeiler Vorwurf“.