Claudia am 29. April 2021 —

Nur wegen Lobbyinteressen – ein wohlfeiler Vorwurf

Fast egal, um was es geht: Immer wenn die Regierenden wirtschaftliche Interessen berücksichtigen, kommt dieser Vorwurf: Sie hätten sich von Lobbyisten manipulieren lassen und so „uns alle“ wieder und wieder an die Konzerne und Großfirmen verraten, damit deren Profite nicht geschmälert werden. Der Vorwurf stellt Kontakte mit Lobbys oft sogar mit Korruption gleich, auch wenn nicht der Schimmer eines Verdachts besteht, dass sich Amtsträger irgendwie bereichert hätten.

Immer wieder finde ich das ziemlich platt und der jeweils zu verhandelnden Problemlösung nicht wirklich dienlich. Viele Jahre war ich mietenpolitisch unterwegs: Dort heißen alle, die sich in die Themen eingearbeitet und einen Namen gemacht haben, sowie ihre jeweiligen BIs, Vereine und Verbände „Betroffenenvertretungen“. Ihre Stimmen müssen gehört werden und tatsächlich haben und hatten sie auch immer wieder Zugang zur Politik,  wobei das niemand kritisiert, egal ob sie als Angestellte einer Institution oder als Aktivistinnen unerwegs sind. Der Haus- und Grundbesitzerverein aber ist „Lobby“, obwohl er auch nichts anderes tut, als die Interessen seiner Mitglieder zu vertreten.

Dass der Haus- und Grundbesitzerverein mehr Gehör bei CDU/FDP findet und die Mietaktivisten eher bei SPD/GRÜNE/LINKE entspricht der Diversifizierung unserer Parteienlandschaft, ändert aber nichts daran, dass sie alle dasselbe tun: Sich mit Politiker/innen treffen und ihre Sicht der Dinge vortragen, natürlich mit dem Ziel, die Kontaktpersonen von der eigenen Position zu überzeugen (im Vorwurfsjargon = zu manipulieren).

Bei den Großthemen Kohle, Klima, Wirtschaft in Corona-Zeiten wird ganz besonders skandalisiert, dass die Regierenden zu sehr die Interessen der Wirtschaftsmächte berücksichtigen, deren Lobbyisten „ihnen auf dem Schoß sitzen“. Auch diese vertreten selbstverständlich ihre Interessen, wobei das ausschlaggebende Argument eben in aller Regel nicht Bestechungsgelder oder besondere Freundschaften sind, sondern die jeweiligen Alternativen, die bei Nichtberücksichtigung eintreten könnten. Das sind Folgen, die die Regierenden den Bürgern lieber nicht ausmalen, aus meiner Sicht ein Defizit, das der Demokratie nicht dienlich ist. Man sollte jeweils auf den Punkt bringen und im Detail öffentlich machen, was konkret folgen würde, würde man es anders machen. Dann könnte mensch informiert entscheiden: Nehmen wir das in Kauf für das Ziel, das uns wichtiger ist?

In Deutschland lag die Exportquote im Jahr 2019 bei rund 47 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Da draußen wird also jede Menge Geld verdient, von dem Steuern gezahl werden, die wiederum zur Umverteilung im Sozialstaat zur Verfügung stehen. Vor diesem Hintergrund versteht man gleich besser, dass Politiker der exportierenden Wirtschaft eine Wichtigkeit beimessen, die z.B, über jene der Kulturveranstalter hinaus geht.  Nicht wegen „Lobbyismus“, sondern wegen der Verhältnisse, wie sie tatsächlich sind.

Das ist nur ein Beispiel von vielen und ich bin persönlich sehr dafür, zu Gunsten des Klimaschutzes und der Umverteilung auf ein Stück Wohlstand zu verzichten. Das kann ich allerdings leicht sagen, da mein Lebensstil sowieso schon recht bescheiden ist. Wer dagegen einen mittleren Lebensstandard mit Familie, großer Wohnung oder Haus, Autos und allem, was da dran hängt, unterhalten muss, sieht die Dinge womöglich anders. Und das sind hierzulande immer noch recht viele, trotz „Schere“.

Was die wirklich Reichen angeht: Klar, die sollten mehr beitragen! Es ist aber nicht leicht, sie dazu zu bewegen, denn Kapital ist nach wie vor flüchtig. Anstatt sich in dieses Dilemma zu vertiefen, kritisieren Linke glatt lieber, wenn einige von ihnen ihr Geld für sinnvolle Zwecke ausgeben: bloßes Social- und Greenwashing… ach, ich bins echt leid!

Kein Fazit, mir geht einfach die Schlichtheit aktueller Debatten auf die Nerven!

 

 

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Diskussion

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2 Kommentare zu „Nur wegen Lobbyinteressen – ein wohlfeiler Vorwurf“.

  1. Ein Fazit ist nicht nötig. Deine Analyse sollte ausreichen.

    Es gab diese Kategorien (Schubladen) wohl schon immer. In den 70ern waren Union und FDP die Bonzenpartei und die SPD die Kraft, die mal etwas für die arbeitende Bevölkerung getan hat. Einerseits war es insbesondere in diesem Jahrzehnt anhand der deutlichen Verbesserungen im Lebensstandard messbar, dass die sozialdemokratische Politik für ganz viele Menschen etwas gebracht hat. Die Reaktivierung der Rote-Socken-Kampagne aus den vorherigen Dekaden war eine der Reaktionen des politischen Establishments. Seit damals hat der Lebensstandard im Land stark zugenommen, insbesondere mit dem Start der 90er richtig Fahrt aufnehmenden Globalisierung. Damals sagten die Fachleute die Entwicklung halbwegs zutreffend voraus. Es würde auch Verlierer geben. Und es gab sie mit der Verzögerung eines Jahrzehnts. Die schlimmste Folge war Hartz IV. Das Ende der Sozialdemokraten war vorbestimmt. Schröder hat vollbracht, was den Interessenvertretern des Kapitals unter unionsgeführten Regierungen nicht gelungen war.

    Es gab einen Schub an Misstrauen, von dem sich die Demokratie bisher nicht erholt hat. Misstrauen ist aus meiner Sicht das Hauptmotiv dafür, dass es die von dir zu Recht beklagten Stereotypen gibt. Im Spiel der Kräfte, das es auch schon während der Weimarer Republik gab, haben allerdings neue und sehr mächtige Akteure die Bühne betreten. Ich spreche von den asozialen Medien.

    Nichts der gesamten Menschheitsgeschichte hat für unser Zusammenleben auch nur annähernd die Vernichtungskraft dieses zu Beginn noch hochgelobten und als basisdemokratisch gefeierten „Werkzeuges“.

    Die Konservativen und Rechten kriegen sich nach der Kanzlerkandidaten-Entscheidung der Grünen jetzt schon nicht mehr ein. Sie beginnen – übrigens mit zunehmender Unterstützung der Medien – die Risiken und Annahmen in die Welt zu blasen, die eine Regierungsbeteiligung der Grünen mit sich bringen würden. Köppel (SVP) und Chef von Weltwoche bezeichnet sie (Überraschung!) als dunkelrote Sozialisten, die unser Land quasi ausbluten lassen könnten. Da ist kein Wort davon zu hören, wie dringend es darum gehen muss, dem Klimawandel mit praktischer Politik entgegenzuwirken. Leider kommt mir bei den Grünen das zu kurz, was du angesprochen hast. Es wird wehtun. Nach Möglichkeit sollte es aber nicht wieder die treffen, die sowieso schon nicht zu denen mit Eigenheim, Garten und Autos je Familienmitglied zählen. Du kennst die deutschen Zahlen. Ja, die Zahl derer, die in diesem Vergleich zu den „Privilegierten“ zählen, ist immer noch hoch. Aber die Menschen, die in prekären Verhältnissen leben müssen, steigt. Die Folgen zeigt auch die Pandemie.

    Demokratie muss einen Interessenausgleich zwischen allen Gruppen leisten. Das ist die wichtigste Aufgabe, die sie leisten muss. Insofern können Interessenvertreter (Lobbyisten) nicht einfach von der Bildfläche verschwinden. Leider fördern Politiker (vor allem in der Union) das Misstrauen, weil sie nicht die lange geforderten Transparenzregeln unterstützt haben. Ich erinnere mich an Leute wie Kubicki, der nebenbei eine erfolgreiche Anwaltskanzlei hat. Ich glaube, er war es, der sagte, dass er seine Einnahmen nicht offenlegen könne, um im Wettbewerb mit anderen Kanzleien keine Nachteile zu erleiden. Ok. Verstehe ich. Dann kann er kein politisches Mandat bekleiden – Punkt.

    Die von dir beklagte Schlichtheit benenne ich etwas radikaler als Dummheit. Zu viele arbeiten intellektuell mit Überschriften oder Aussagen, die sich auf 240Zeichen-Meldungen beschränken. Was soll dabei schon rauskommen? Eine zerstrittene Gesellschaft, die sich bei kaum einem Thema mehr einig werden kann. Es sei denn, es sind die beiden 50:50 Gegenpole, die sich bei Shitstorms herausbilden. Wir brauchen mehr Vertrauen. Aber wie soll das wachsen, wenn man vermuten darf, dass der potenzielle Gegner hinter jedem Baum lauert?

  2. Dazu kurz noch die Defintion der BPB dazu.

    Lobbyismus ist also völlig richtig per se nichts Verwerfliches.

    Wo man aber differenzieren muss, ist in der Macht einzelner Lobby-Verbände, dem Wirken dieser und welche Auswirkungen das auf alle hat. Die von Dir erwähnten „Lobbys“ von Mieterbünden usw. haben in ihrem Einfluss auf Vertreter der Politik und ihre daraus resultierenden Entscheidungen niemals solche Konsequenzen wie die bestens ausgestattenen und von den Unternehmen meist selbst geschaffenen oder finanzierten berufsmässigen Lobby-Verbände. Das lässt sich also schon von dieser Warte her nicht vergleichen. Deren Aufgabe ist es explizit, Politik so zu beeinflussen, dass Unternehmen in ihrem Tun weitestgehend ungestört sind.

    Dazu setzen sie meist nicht an der Spitze an, sondern intervenieren eher auf der Ebene von Staatssekretären oder darunter, die aber mehr am Prozess des Gesetzgebens wirken als die verkündenden Politiker selbst.

    Gerade die Energiewirtschaft ist eines der prägenden Beispiele dafür. So wurde das EEG sukzessive derart verwässert, dass sich die Unternehmen aus ihren Anteilen der Umlage weitestgehend freikaufen und vieles noch steuerlich absetzen, während private Kunden mit über einem Drittel bei einem Verbrauchsanteil von etwa 20% den Hauptteil tragen. Gleichzeitig wird darüber der Umbau und Fortschritt der Erneuerbaren gehemmt, was ja den Weiterbetrieb der konventionellen Energieerzeugung fördert. Die Kosten für das Entsorgen der abgelaufenen Meiler wurde sich dagegen als Zugeständnis auf die Allgemeinheit abgewälzt.

    Und wie auch an Deiner Aussage über das Gesamtbild mit Rücksicht auf die Folgen von Einschnitten in die Wirtschaft zu sehen ist, wirkt der mediale Teil der Lobby-Arbeit ebenfalls. Da wurde u.a. festgestellt, dass ein konsequentes Umsetzen der Energiewende mehr „Arbeitsplätze“ schafft als dadurch wegfallen würden usw. Auch da ist es also sinnvoll, beiden Seiten nicht alles zu glauben und kritisch zu sein.

    Nimmt man dann noch in das Betrachten die Tatsachen hinein, dass Politiker gerne in Thinktanks verbandelt sind; in Aufsichtsräten und Vorständen sitzen; oft nach ihrer Amtszeit fast nahtlos in Unternehmen Karriere machen und auch anderweitig bestens vernetzt sind mit Beraterfirmen und ähnlichem; im Auftrag der Unternehmen Bullshit-Wissenschaft für Gutachten/Studien betrieben wird, um über diese und die Lobbyisten bei Gesetzgebungsverfahren zu bremsen oder zu verhindern, dann sehe ich da schon Grenzen überschritten und etwas mehr als nur „Gemecker“ über diese Form von Lobbyismus angebracht.

    Wenn am Ende bei allem, was Unternehmen einschränken könnte, nur irgendwelche Selbstverpflichtungen herauskommen oder so etwas wie oben erwähnt, aber keinesfalls etwas Gesetzliches, anhand dessen Unternehmen sich wirklich auch rechtlich binden lassen können, dann hat Lobbyismus funktioniert.

    Um da nur die grossen Sachen der letzten Vergangenheit zu erwähnen, wo Lobbyarbeit erfolgreich war oder massgeblich Einschnitte verzögert hat:

    – TTIP
    – Monsanto
    – die Lebensmittelampel
    – das „Tierwohllabel“
    – das ganze Thema EEG, AKW, Stromnetze und Kosten des Rückbaus
    – Fahrverbote bei Feinstaub
    – Konsequenzen für die Hersteller im Dieselbetrug
    – zahllose regionale und grosse Bauvorhaben, die gegen den Willen der Bevölkerung durchgesetzt wurden und nur zu gerne für die Akzeptanz erst schön gerechnet werden, um am Ende bei den Kosten zu explodieren; um des Vollendens aber von der öffentlichen Hand weiterfinanziert werden
    – Wirecard
    – der Skandal um AI und Ph. Amthor
    – die Maut
    – Toll Collect
    – Greensill und vorher bereits die PPP, welche ebenfalls zahllose Kommunen überschuldet haben
    – der Skandal um die FFP2-Masken, der inzwischen bereits zahllose „Einzelfälle“ ergeben hat und wo sehr wahrscheinlich die betroffenen Politiker diese geniale Idee nicht nur allein hatten.

    Gemeinsam ist den ganzen Dingen, dass hier gerne öffentliches Geld verbrannt wird und in privaten Taschen landet, während sich umgekehrt Unternehmen darüber aus ihrem Teil des Gemeinnutzes in aller Regel ausklinken. Die spenden dann lieber medienwirksam und steuerbegünstigend oder versenken Kohle vorher in Stiftungen usw. Das hat auch weniger mit dem mehr oder weniger Einschränken privater personen zu tun, ob die nun eine kleine Mietwohnung oder mein Haus, mein Boot, mein Auto haben, sondern hier geht es um den gesamtgesellschaftlichen Eintrag.

    Solche Dinge wie Kapital- und Steuerflucht der Unternehmen und Banken nebst Geldanlagen habe ich dabei noch nicht einmal angerissen, die für den normalen Bürger gar nicht in Betracht kommen.

    Dann sollte man bei dem ganzen Theater nicht vergessen, wem sich Politiker eigentlich mit ihrem Amtseid verpflichten. Für die ganz Langsamen steht es sogar am Bundestag dran: „Dem deutschen Volke“!

    Und um auch in punkto Beschäftigtenanteile usw. den Blick etwas zu schärfen wegen des Fokus auf die Exportwirtschaft, liefere ich ein paar Zahlen zur so geschmähten Kulturbranche.
    Auch diese Doku dazu ist sehenswert, unter anderem auch wegen der Zahlen.