Claudia am 25. November 2021 —

Zum Tag gegen Gewalt an Frauen – eine persönliche Geschichte

Sie war eine liebende Mutter, konnte mich aber nicht beschützen, genauso wenig wie sich selbst. Was daraus folgte, davon handelt dieser Bericht.

Nur ein einziges Mal hat mich ein Mann (der nicht mein Vater war) geohrfeigt. Aus Eifersucht, wie ich erst später erfuhr. Es kam so überraschend, dass ich im ersten Moment nur extrem verblüfft war und dachte, er sei irgendwie „irre“ geworden. Also nicht in einem eskalierenden Streit, sondern als wir aus dem Café raus waren, in dem wir mit dem Bekannten, auf den er eifersüchtig war, zusammen gesessen hatten. Seine „Erklärung“ machte mich  dann erst richtig wütend, womit ich auch nicht hinterm Berg hielt. Er entschuldigte sich, sagte, es sei „mit ihm durch gegangen“ – und ich machte ihm unmissverständlich klar, dass er auf nimmerwiedersehen verschwinden könnte, sollte sowas auch nur ansatzweise wieder vorkommen! Es hat gewirkt.

Ich war gerade 20 und absolut nicht bereit, Opfer zu werden – wie meine Mutter, die es erst sehr spät im dritten Anlauf schaffte, sich von meinem Vater zu trennen. Und das auch nur, weil er während einer Kur eine Affäre hatte, die ihn am Ende „übernahm“, weil wir (Mutter und 3 Kinder) es so wollten und unterstützten.

Er war Quartalsalkoholiker, ein jähzorniger Choleriker und auch immer wieder gewalttätig. Wir fürchteten den späten Nachmittag, wenn er aus dem Amt nach hause kam: Je später es wurde, desto sicherer würde er betrunken sein und womöglich irgend einen Horror veranstalten. Was ihn jeweils aufregen könnte, war nicht vorhersehbar. Ich lebte in Angst – mit Ausnahme der Zeiten, wenn er sich krank ins Bett legte und vom letzten Suff und seinen Folgen ein paar Wochen auskurierte. Diese ständige Angst (und der zunehmende Hass) war insgesamt schlimmer als die Schläge und Ohrfeigen. In der Pubertät zeigte ich ihm offen meinen Hass, was ihn noch ein paar mal richtig ausrasten ließ. Mit 19 zog ich aus, die Umstellung der Volljährigkeit von 21 auf 18 machte es möglich.

All das ist lange her und nicht die Geschichte, um die es mir eigentlich geht. Inspiriert von dem krassen Bericht „Häusliche Gewalt? Ich doch nicht! #warumichblieb“ musste ich an meine Mutter denken – und wie sich ihr duldendes Verhalten auf mein Leben ausgewirkt hat. Sie war eine liebende Mutter, konnte mich aber nicht beschützen, sich selbst ja auch nicht. Zwar hat sie es „irgendwie“ wohl versucht, aber erfolglos. Nur eine Trennung hätte das Elend beendet. Dass sie das nicht tat, sondern höchstens mal mit uns Kindern kurz zur Großtante floh, konnte ich nicht verstehen. Egal wie übel er sich aufgeführt hatte, sie blieb bei ihm. Zweimal wollte sie sich scheiden lassen, woraufhin er sich ins Krankenhaus legte und einen auf sterbenskrank machte – da konnte sie ihn doch nicht im Stich lassen…

Ich lernte: Auf Frauen kannst du dich nicht verlassen! Wenns drauf ankommt, halten sie immer zu ihrem Mann, haben Verständnis für seine Übeltaten, entschuldigen ihn, beschützen ihn sogar vor den Reaktionen, falls Dritte mal etwas mitbekommen.

Natürlich hab ich später verstanden, dass das „Verlassen“ in den 60ger-Jahren nicht so einfach war. Es galt das Verschuldensprinzip bei der Scheidung, alleinerziehende Mütter gab es in unserer Welt noch nicht. Sie war Hausfrau und hatte nichts, auch keinen Beruf, mit dem sie noch etwas hätte anfangen können, nicht mal eigene Freundinnen oder gar Freunde. Mein nachträgliches Verstehen blieb allerdings rein mental.  An meiner emotionalen Distanz zu ihr und Frauen insgesamt konnte es genauso wenig ändern wie ihre späte Scheidung, als ich schon ausgezogen war. Oberflächlich hatte ich nie Streit mit ihr, sie war ihr Leben lang die „liebe Mutti“, doch seit ich mit 25 nach Berlin gezogen war, kam ich nur noch an Weihnachten vorbei. Sie fehlte mir nicht und ich erinnere nicht ein einziges wirklich tief gehendes Gespräch mit ihr. Als sie starb, wunderte ich mich, dass ich keine Trauer fühlte.

Noch jetzt, beim Erzählen dieser Geschichte, spüre ich den Vorwurf, den ich ihr zeitlebens machte, ohne ihn ihr gegenüber wirklich auszusprechen: Verdammt nochmal, warum hast du dir das alles gefallen lassen? Keine Gegenwehr, null Konsequenz, immer dulden, entschuldigen, schweigen… Diese unsägliche Machtlosigkeit, die sie mir vorgelebt hat, war wirklich schwer zu ertragen. Es hat mich mindestens genauso verletzt und beschädigt wie das Verhalten meines jähzornigen Vaters, der mir als „Feind in Kindheit und Jugend“ vergleichsweise klar und irgendwie gradliniger vorkam. Ihn konnte ich offen hassen (und ihn Jahre später sogar wieder besuchen, meinen Frieden mit ihm machen). Sie aber war das Opfer – und ein Opfer hassen, dass geht doch gar nicht!

So kam es, dass ich – abgesehen von einer kurzen Phase in der Schulzeit – nie eine „beste Freundin“ hatte. Mit meinen Männern kam ich dagegen gut zurecht und hatte eine Lang-Beziehung nach der anderen, ganz ohne Single-Phasen. „Familie“ war für mich allerdings verbrannt: ich wollte nie Kinder, heiratete nie und achtete stets darauf, von meinen Liebsten finanziell unabhängig zu bleiben. Und ich ließ mir nichts gefallen, natürlich nicht! Weil ich das anscheinend auch ausstrahlte, kam ich gar nicht erst an einschlägige Kandidaten. Die eine Ohrfeige blieb die eine Ausnahme und hat sich nie wiederholt.

Ich schreibe das auf für all die Frauen, die – wie meine Mutter – eher bleiben als gehen. Und für Feministinnen, die immer gleich „Victim Blaming“ anprangern, wenn ich irgend etwas sage, was als Kritik an den Frauen ausgelegt werden könnte. Selbst wenn es nur die – doch eigentlich „empowernde“ – Forderung ist, Kindern physische Selbstverteidigung beizubringen,  allen Geschlechtern! Wer darin geübt ist, auf einen Angriff SPONTAN mit Gegenwehr zu reagieren – ohne erst zu erstarren, zu überlegen, reden zu wollen – wird nicht so leicht zum Opfer.  Denn schon bevor der Fall des Falles eintritt, wird ein anderes Selbstbewusstsein aufgebaut, wenn frau weiß, dass sie nicht wehrlos ist.

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Diskussion

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9 Kommentare zu „Zum Tag gegen Gewalt an Frauen – eine persönliche Geschichte“.

  1. Mit Gewalt in der Familie habe ich in meinem Leben keine Erfahrungen gemacht. Da wir immer zur Miete gewohnt haben, hatten wir immer wieder mal Kontakt mit Familien, in denen die Ehemänner oder Väter gewalttätig wurden. Ich erinnere mich, wie mein Vater einmal eingegriffen hat, weil ein Nachbar eines seiner Kinder schlug. Es kam häufig vor, dass der Vater (Alkoholiker) Frau und Kinder anschrie. Manchmal kam es auch dazu, dass er sich einen seiner Söhne „vorgeknöpft“ hat. Mein Vater konnte diese Gewalt stoppen, in dem er dem Mann damit drohte, die Polizei zu rufen. Ich erinnere, dass der gleiche Mann den Chef eines ortsansässigen Unternehmens während einer Betriebsversammlung körperlich angegriffen hat. Auch da war er betrunken. Am nächsten Tag wurde der Mann zum Chef zitiert. Ich war zu dieser Zeit Lehrling und im Sekretariat der Firma beschäftigt. Ich war fest davon überzeugt, dass er die Papiere erhalten würde. Stattdessen erhielt er eine Standpauke. Tenor: Wenn das noch einmal passiert… und Sie haben es nur der Tatsache zu verdanken, dass sie fünf Kinder haben und ich Ihrer Familie keine Sorgen bereiten will. Einerseits eine großherzige Geste, fand ich damals. Andererseits hat die Milde nicht dazu geführt, dass sich sein Verhalten gebessert hätte. Er hat die Familie ein paar Jahre später verlassen und ist erst viele Jahre danach wieder zurückgekommen. Die Familie hat aufgeatmet.
    Auch in unserer Nachbarschaft gab es familiäre Gewalt. Wir sind nicht immer aber mehrfach eingeschritten. Wieder war Alkohol im Spiel. Auch in diesem Fall haben wir damit gedroht, die Polizei zu verständigen. Ich habe die Eigentümer des Hauses informiert. Schließlich nahm die Sache ein tragisches Ende. Es gab erneut Streit. Diesmal hatte der Mann in betrunkenem Zustand einen anderen Nachbarn und seine Frau angepöbelt. Die beiden verständigten die Polizei. Der weitere Verlauf war leider auch gewalttätig. Die Polizei musste den Mann beruhigen. Der Mann hatte eine Vorerkrankung und ist bei seiner Festnahme unglücklich gestürzt. Er lebt heute schwerbehindert in einem Heim. Er ist ungefähr in meinem Alter.

    Was du geschildert hat, finde ich sehr tragisch. In unserer Familie, auch in der meiner Frau, hat es derartige Vorfälle zum Glück nie gegeben. Meine Frau und ich unterhalten uns gerne über unsere glückliche Kindheit. Dass unsere Eltern sich vor uns Kindern nie gestritten haben bzw. wir keinerlei Erinnerungen an derartige Sachen haben, ist schon besonders. Jedenfalls empfinde ich das so. Es gibt oft so traurige Geschichten über schlimme Kindheitserinnerungen, die die Gegenwart und Zukunft der Betroffenen so nachhaltig beeinträchtigt haben. Die Kinder, die Gewalt oder Lieblosigkeit erlebt haben, tragen eine große Hypothek mich sich.

  2. Ein in dieser Hinsicht sehr lesenswertes Buch ist „Ein Mann seiner Klasse“ von Christian Baron.

    Auch wenn es nicht explizit um Gewalt an Frauen geht, zeigt es die Mechanismen und Hintergründe auf, die dazu führen.

    Hier noch eine Rezension.

    Es ist leider ein zweischneidiges Schwert, denn wie auch im Text oben wird meist viel zu lange gewartet und die Behörden greifen selbst im Wissen darum spät oder nicht ein, bis es dann zu einem Punkt ohne Wiederkehr kommt. Dieser hat in aller Regel ein jahrelanges Misshandeln voraus und selbst dann ist es meist so, dass die Frauen und Kinder als Betroffene handeln müssen, ausziehen und sich dabei meist auch sozial verschlechtern müssen, um wenigstens ihre Existenz zu sichern. Die Klischees der alten Zeiten greifen daher auch heute noch.

    In gewisser Art legt sich auch dabei das Bild dieser Gesellschaft über ihre Menschen, in der Gewalt immer noch als eine Lösung gesehen wird. Frauen sind dabei wegen ihrer körperlichen Schwäche neben Kindern und Randgruppen meist am unteren Ende dieser Hierarchie zu finden – siehe auch hier wieder den Aspekt von Juri Nello zu Armen und Obdachlosen etcpp. Wenn diese irgendwo im Stadtpark verdroschen werden, juckt es Passanten meist wenig, sondern es wird eher noch weggesehen. Derselbe Effekt wirkt bei Nachbarn, die normalerweise um die Gewalt in Familien im Umfeld wissen.

    Es gäbe noch viel zu sagen und einerseits ist es schön und gut, dass über solche Tage auf so etwas hingewiesen wird. Da es aber so viele solcher Tage gibt, sind diese doch sehr Symbol und bewirken meist nur diese kurze Zustimmen, während sich insgesamt nur langsam etwas ändert sowohl im Bewußtsein als im gesellschaftlichen Rahmen überhaupt – immerhin besser als nichts.

  3. Ich weiß nicht, ob man das so sagen kann. Aber ich glaube, dass in ländlichen Gebieten die Leute mehr aufeinander achten als in Großstädten. Leider ändert das nichts daran, dass die Gewalt von Männern gegen Frauen und Kinder traurigerweise immer noch auf der Agenda steht. Ich glaube zwar, dass das Bewusstsein für diese hauptsächlich von Männern verursachte Problematik gewachsen ist. Auf der anderen Seite ist das Thema Gewalt aber eines, dem wir in unserer Kultur permanent ausgesetzt sind bzw. wir uns diesem ganz freiwillig aussetzen. Ob das nun Videospiele, Kinofilme oder auch die alltäglich konsumierte Gewalt in Krimis und sogar Nachrichtensendungen sind, sie ist allgegenwärtig und für viele Menschen gehört sie scheinbar zunehmend zur Normalität. Da muss man sich nur die vielen Übergriffe auf Presseleute, Rettungsdienste, Ärzte oder Lokal-Politiker vor Augen halten. Und es sind nicht die klassischen Gewalttäter, von denen die Gewalt ausgeht. Gewalt geht auch von jungen Leuten aus, die sich in ihrem Kampf gegen die Zerstörung der Natur radikalisiert haben. Meiner Generation wurde eingebläut, dass Gewalt keine Lösung wäre. Mir kommt es so vor, dass man für einen solchen Standpunkt heute belächelt wird.

    Mir ist klar, dass ich etwas weit ausgeholt habe. Schließlich geht es hier um Gewalt (von Männern) in unseren Familien. Aber irgendwo muss eine Gesellschaft ansetzen, um diesem Grauen beizukommen. Deshalb ist es notwendig, die ganze Gesellschaft in den Blick zu nehmen und nicht so zu tun, als könne man das Problem allein dadurch lösen, dass man die Männer an den Pranger stellt. Immerhin geht Gewalt in den Familien zu 30 % (manche sagen 20 %) von Frauen aus. Das ist auch nicht gerade eine geringzuschätzende Erkenntnis.

    In einer Gesellschaft, in der Gewalt wieder zur normalen Gepflogenheit wird, spielt physische Überlegenheit die zentrale Rolle. Dieses Faktum rückt „den Mann“ irgendwie automatisch in den Mittelpunkt. Es hilft nur nichts, wenn viele Männer, die nicht gewalttätig sind und Gewalt verabscheuen, das Gefühl bekommen, gesellschaftlich in eine Ecke gestellt zu werden. Bei Twitter klingt das allemal danach.

  4. Der Anfang liest sich wie eine klassische Narzissmusgeschichte. Die Partner von Narzissten sind meist Komplementärnarzissten. Bei uns hat es immerhin keine physische Gewalt gegeben.

  5. Verstehe ich dich richtig, Juri. Du denkst, ich sollte lieber nichts darüber schreiben, wenn es in der eigenen Kindheit und Jugend keine Gewalt nicht gab? Das ist ja keine neue „Anregung“. Über Rassismus soll ja auch nur noch die/der reden, die/der Rassismus am eigenen Leib erlebt hat. Na, dann werden Diskussionen aber ganz schön einseitig bleiben.

  6. @Horst Nö. Keine Ahnung wo Du das hernimmst. Ich bezog mich übrigens auf Claudias Text. Das hätte ich anmerken sollen.

  7. Männer diskutieren eifrig über Gewalterfahrungen von Frauen … und es geht auch um die persönlichen Erfahrungen in der Familie. 1950 gab es – im Gegensatz zur DDR – in Franken in der Schule noch die Prügelstrafe, vor allem für Jungen. In UK wurde sie erst 1998 verboten. Von christlichen Schulen wurde sie danach dort erneut gefordert. Wer sein Kind lieb hat, der züchtigt es. Auch in unserer Familie hieß es Liebe und Hiebe. Weil ich mit etwa eineinhalb Jahren nicht einschlafen konnte, sondern weinte. Meine Mutter sah hilflos zu. „Du hast mich so gedauert.“ Die letzte Ohrfeige von meinem Vater bekam ich mit 17, weil ich las, als er – zu Besuch auf dem Bauernhof, wo ich Magd war – als Fachmann erzählte, wie man Quark herstellt. Leider habe ich mich als Mutter auch hinreißen lassen, wenn es meine Söhne zu toll trieben. Als sie den 2. Schlüssel in der Wohnung ließen und ich nicht zur Physio konnte. Allerdings habe ich seitdem jede zugeschlagene Tür aufbekommen. Gewalt von (Ehe-)Männern blieb mir mein Lebtag erspart.
    (Sorry wegen des Patchwork)

  8. @Juri, alles gut. :-)

  9. Ach Nila. Es sind doch nur wenig, die die neuen Gesetze missachten. Abgesehen davon gings auch UM Kinder, nicht „NUR“ um Frauen.