Gestern Nacht hab‘ ich auf ARD Alpha den 2-teiligen Film „Zeugen des Holocaust“ gesehen. Wer noch meint, „Schlussstrich“ sei angesagt oder andere Völkermorde wären vergleichbar, sollte die Zeugen hören! Zum Glück sind die beiden Filme in voller Länge auf Youtube: Teil 1 und Teil 2. In den über 10 Jahren seit dem Upload haben nicht viele diese Filme abgerufen, grade mal 106.000 Teil 1 und gut 72.000 Teil 2. Sic!
Der Film von Karl Fruchtmann.entstand Anfang der 80ger, als viele Zeugen noch lebten. Er besteht ausschließlich aus ihren Berichten ohne weitere Kommentare. Die sind auch wirklich unnötig, denn was sie erzählen ist eindrücklich, hundertprozentig glaubwürdig – und grauenvoll! Überlebende aus vielen europäischen Ländern berichten, was sie erlebt, gesehen und erlitten haben, wie sie überlebten und wie es ihnen zur Zeit der Filmaufnahmen geht. Welche Wirkung das unfassbar grausame Geschehen auf ihr weiteres Leben hatte, ihre Träume, Gefühle und Resthoffnungen an die Menschheit. Falls noch vorhanden, was nicht bei allen der Fall ist.
Der Film ist in Themenblöcke aufgeteilt: Die Transporte in die Vernichtungslager, das Ankommen, die Selektionen an der Rampe, bei denen 80% direkt in die Gaskammern geschicht wurden. Dann die Vorgänge dort, das „Handling“, die anfängliche Täuschung der Opfer, das gewaltsame Hineintreiben, wenn sie früh etwas merkten, das Einfüllen des Zyklon B, das Sterben, das Ausräumen der Kammern und Verbrennen der Leichen, nachdem noch Haare und Goldzähne „der Verwertung zugeführt“ wurden. Erzählt von jenen, die diese „Arbeit“ verrichten mussten, Tag für Tag, Nacht für Nacht. In Hochzeiten wurden bis zu 20.000 Menschen pro Tag in der Mordmaschine vernichtet,
Es folgt ein weiterer Teil über die Ermordung hunderttausender Kinder, teils auf eine derart grausame Art und Weise, die ich hier nicht beschreiben will. Überhaupt wird klar, dass da wirklich viele Sadisten am Werk waren, die nicht einfach „ihre Arbeit machten“, sondern Spass daran hatte, die Opfer zu demütigen, auf viele verschiedene Arten zu quälen und zu morden. Nach den Kindern folgen Berichte über das Restleben jener Opfer, die als „arbeitsfähig“ in die Lager kamen. Jeden Tag erneut Selektionen, Erschießungen auf den Arbeitswegen, Quälereien, die man sich kaum vorstellen kann. Das Sterben war erwünscht, die Capos wurden sogar bedroht, wenn morgens nicht genug über Nacht Verstorbene aus den Lagerhallen geschafft wurden. Die Opfer berichten, wie sie ihren Glauben verloren – und manche auch davon, wie ihnen jeglicher Rest Menschlichkeit abhanden gekommen ist.
Wenigstens zuhören!
Der Film lief von 23.30 Uhr bis 2.30. Noch nie war ich so berührt, obwohl ich schon so manchen Bericht Überlebender gesehen hatte. Das waren jedoch meist Menschen, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatten, der Nachwelt zu berichten. Auftritte in Veranstaltungen vor einem größeren Publikum, nicht so ausführlich bis in die schauderhaften Details. Diese Berichte sind anders, entstanden in langen Einzelgesprächen, teilweise sehr emotional – es nimmt viel mehr mit, mich jedenfalls.
Natürlich WUSSTE ich schon viel über den Holocaust, sah unzählige Dokus, auch über die Lager, die schrecklichen Modalitäten des Mordens wie am Fließband. Und doch hat mich das alles vergleichsweise kalt gelassen. In jungen Jahren war mir das „Gedenken“ schon fast zuviel, denn: Was hab‘ ich damit zu tun? Es ist lange her, die Täter sind fast alle lange tot – reicht es nicht langsam?
Je älter ich werde, desto weiter entferne ich mich von dieser ignoranten Haltung. Mittlerweile weiß ich auch, was der bekannte Spruch „der Schoß ist fruchtbar noch…“ bedeutet. Und ich erkenne die aktuellen Formen des Hasses, die jenen ähneln, die einst zum Massenmord an vielen Millionen Menschen aus ganz Europa führten.
Auch bin ich sensibler geworden. Während der langen drei Stunden mit den Erzählungen der Überlebenden hätte ich mehrfach am liebsten weggeschaltet, so grauenhaft waren die berichteten Greuel! Aber ich konnte nicht, hing gebannt vor dem Fernseher und wusste: Sie erzählen es für mich, für uns, für alle Nachgeborenen. Das mindeste, was ich tun kann, ist ihnen zuhören, es aushalten, egal wie ich mich dabei fühle, Mir drohen nur schlechte Träume, ein winziger Pipifax gegen das, was sie erlebt und durchgemacht haben.
Nach diesen drei Stunden schämte ich mich, das „Gedenken“ kürzlich so beiläufig in einem Absatz abgehandelt zu haben!
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9 Kommentare zu „Drei Stunden zugehört: Die Zeugen des Holocaust“.