Claudia am 22. Februar 2022 —

22.2.22: Putin sendet Truppen in den Donbass

Da hier schon Kommentare unter anderen Blogthemen zum Eklat des Tages einlaufen, braucht es diesen Blogpost. Normalerweise benötige ich ein paar Tage, um wesentliche Ereignisse zu verarbeiten, bevor ich schreibe, aber sei’s drum, heute ist nichts mehr normal. Alsdenn, Gerhard schrieb:

„Russland-Machthaber Wladimir Putin (69) hat die selbst ernannten „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten anerkannt. Putin unterzeichnete nach einer knapp anderthalbstündigen Ansprache einen „Freundschaftsvertrag“ mit den besetzten Gebieten.

Mit der Anerkennung der besetzten Gebiete ebnet Putin den Weg für einen möglichen militärischen Einmarsch in die Ukraine. Brisant: In seiner Ansprache sagte Putin, die Ostukraine sei historisch ein Teil Russlands.

Völlig irre: Putin sprach dem souveränen Staat ab, eine Staatstradition zu haben. Dem Land sei es nie gelungen, einen stabilen Staat zu schaffen. Die ukrainischen Behörden seien von Nationalismus und Korruption verunreinigt, das Land befinde sich in den Händen oligarchischer Clans.

Putins Wahnfantasie: Die Ukraine sei ein Marionettenregime und auf das Niveau einer US-Kolonie reduziert worden. „Verstehen denn die Ukrainer, dass sie nicht nur ein Protektorat, sondern Marionetten sind?“, poltert der russische Machthaber.“

Wie es soweit kommen konnte, dass Putin alle diplomatischen Initiativen der letzten Tage in den Wind schlägt, zeigt diese ARTE-Doku:

Derart zusammen hängend habe ich die Putinschen Aktivitäten in Europa, NahOst, den arabischen Staaten und Afrika der letzten Jahrzehnte noch nie aufbereitet gesehen! Nervig ist, dass Putin zwar mehrere Male ausgiebig zu Wort kommt, aber NICHT übersetzt wird. Zwar kann man aus den Zusammenhang ahnen, was er in etwa sagt, aber dennoch wirkt es seltsam. Dass am Ende auch ein französischer Politiker nicht übersetzt wird, macht es nicht besser. Wer kann schon russisch?

Und ich? Bin überrascht, dass die „Anerkennung“ der Donbass-Gebiete als Szenario eines Einmarsches vorab nicht schon vorher gesehen und öffentlich debattiert wurde. Oder habt Ihr irgendwo gelesen oder gesehen, dass diese Donbass-Leute letzte Woche in der Duma um die Anerkennung „gebeten“ hatten? Putins Vorgehen ist insofern trickreich, als seine Truppen nun als „Friedenstruppen“ gelabelt in die anerkannten Staaten und nicht „in die Ukraine“ einmarschiert sind. Dabei kann er sich bezüglich des Vorwurfs des Völkerrechtsbruchs sogar auf das Kosovo-Beispiel des Westens beziehen, der ebenfalls eine „abtrünnige Region“ als Staat anerkannt hat.

Was aber gar nicht mehr in dieses „Narrativ“ passt, ist der Anspruch auf weitere Gebiete, letztlich auf die ganze Ukraine, den Putin in seinen Reden erhebt.

Bleibt die Frage: Was tun?

Gleich die ganze angedachte Sanktionspalette umzusetzen, wird schwierig. Sanktionen gegen die Bewegungsfreiheit und Vermögen der beteiligten Politiker ist zu wenig und ist denen egal. Nordstream 2 absagen geht locker, schließlich fließt da noch gar kein Gas durch. Russland nimmt andrerseits da auch noch nichts ein, was schmerzhaft wegfallen können. Die schärfste Waffe, den Ausschluss aus dem SWIFT-Abkommen, lässt sich nicht „mal eben so“ machen, denn das würde zum sofortigen Stopp der Gaslieferungen führen, weil die Europäer es nicht mehr bezahlen könnten. 40 Prozent des in der EU verbrauchten Erdgases kommen aus Russland, ca. 20 EU-Staaten sind nach Kommissionsangaben von russischen Einfuhren abhängig. Dass man jetzt meint, man käme mit den geschrumpften Vorräten über den Winter, ist ja tröstlich, aber ob das stimmt? Und was danach?

Im DLF hat jemand vorgeschlagen, Sanktionen gegen die russischen Oligarchen zu verhängen. Die sind offenbar weltweit zum Shoppen und Feiern unterwegs, fahren mit ihren Jachten herum und haben Vermögen im Ausland. Würde man ihnen ihre Bewegungsfreiheit nehmen und ihre Habschaften im Ausland beschlägnahmen, wäre der Unmut sicher groß und würde sich gegen die Putin-Politik richten.

Auf Twitter trendet „Weltkrieg“. Dazu schrieb jemand: „Ein Weltkrieg wird nicht kommen, dazu ist der Westen viel zu sehr Schisser.“  Sowas schockiert mich! Ich schrieb dazu, was den Weltkrieg angeht, sei ich gerne Schisser!

Soweit für jetzt.

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Diskussion

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4 Kommentare zu „22.2.22: Putin sendet Truppen in den Donbass“.

  1. Russland und China gegen den Rest der Welt? Warum nicht? Xi Jinping ist ein genauso langfristig planender Stratege wie Putin, denen das eigene Volk wurscht ist.

    Nein, @Claudia, durch Putins nun angewandten Donbass-Zug hatte ich auch nichts und nirgends gelesen/gesehen/gehört und war wahrscheinlich genau so überrascht wie viele.

    „Schach“. Auch seine nächsten Züge werden von Putin schon seit vielen Jahren fertig durchdacht sein. Seine Rede hat klar gezeigt: Für ihn gibt es nur: Schach Matt. Für alles andere ist bei ihm dazwischen kein Platz. Und wenn der Westen seine Strategie nicht komplett ändert und anpasst, wird er sein Ziel erreichen. Und einzig die Ukraine wird ihm für ein „Schach Matt“ nicht reichen.

    Wenn ich mir im Nachhinein anschaue, wie lange er schon auf seinen nun offen gelegten Plan hin gearbeitet hat, mit seinen vielen kleinen Schritten, bin ich doch baff. Allein das massive Ankaufen und Horten von Goldreserven bekommt nun noch einmal eine ganz neue Perspektive.

    Und auch Macron und Scholz wie kleine dumme Jungs vorgeführt zu haben, entsprachen einem seiner Ziele, der „Demütigung“, so, wie er bezeichnet, sie selbst erfahren zu haben.

    Immerhin, die Amerikaner haben es gewusst, auch, wenn sie sich nur um ein paar Tage verschätzt haben. Da kann man nur hoffen, dass das zukünftig noch besser wird.

  2. @Menachem: die Einigkeit mit China ist nicht besonders groß! Xi Jinping kann es nicht gut finden, wenn „abtrünnige Provinzen“ von Dritten als Staat anerkannt werden.
    Die Gold- und Währungsreserven Russlands sind tatsächlich beeindruckend. Laut dem Artikel reicht das 30 Monate für sämtliche Importe.

  3. Doch, wir sind Schisser. Aber dafür haben wir gute Gründe. Zu tief sitzt bei vielen die emotionale und vernünftige Ablehnung von Kriegen – egal wofür und für was. Das Problem ist, dass der Stärkere am Ende einmal mehr gewinnen könnte. Dabei hat Russland das Potenzial, das uns vorgespielt wird, überhaupt nicht. Nicht in militärischer Hinsicht und in wirtschaftlicher schon gar nicht (vgl. Militäretats und Armeestärken).

    Mich stört es, dass wir auf allen Kanälen über unsere Möglichkeiten und Unmöglichkeiten herumlabern. Aber so ist das mit den Demokratien immer schon gewesen. Sie wirken deshalb schwach, was sich die Propaganda der autoritären Staatslenker zunutze machen.

    Ich würde weder Macron, Scholz noch andere westliche Verhandler als „vorgeführt“ betrachten. Sie haben das gemacht, was man tut, wenn man es mit einem vollkommen unberechenbaren Despoten zu tun hat.

    Aus diesem von mir nicht für möglich gehaltenen Vorgehen Putins kann sich die Apokalypse vorstellen. Aber ich glaube wieder nicht, dass Putin es wagen könnte, sich nach der Ukraine anderen ehemaligen Sowjetrepubliken zuzuwenden. Die sind alle Mitglieder der NATO und was das bedeuten würde, muss man nicht ausführen.

    Übrigens wurde die Autonomie der Donbass-Regionen tatsächlich in der Duma vor einer Woche (ziemlich genau) beantragt. Das wurde in Deutschland berichtet. Ich schrieb im Kontext der gestrigen Ereignisse darüber.

  4. Hi Claudia,

    auf jeden Fall lieber Schisser als verstrahlt! Da bin ich ganz bei dir. Und auch Horst Schulte trifft es auf den Punkt: Wie soll den Stärke gegenüber durchgeknallten aussehen?

    Und die Sanktionen scheinen ja doch nun wehzutun. Vielleicht fast so weh, wie der Widerstand in der Ukraine, der uns da wenige Schisser zeigt.

    Mir ist aufgefallen, wie plötzlich überall davon die Rede ist, dass wir nun in einer neuen Welt lebten. Und da fiel mir auf, wie sehr ich mich persönlich in der Annahme geirrt hatte, dass wir als „Weltgemeinschaft“ einer besseren politischen Zukunft zustreben. In der FAZ nannte man des die „ökopazifistische Denkprovinz“ und ich glaube, in der haben viele von uns gelebt. Wenn du mehr dazu lesen willst, weißt du ja, wo du es findest.

    Danke für deine Texte, lese ich immer gern!