Claudia am 23. März 2022 —

Deutschland Träumerland: alles soll so bleiben….

In der Krise zeigt sich der Charakter, heißt es. Das gilt auch für ein ganzes Land wie Deutschland. Klimakatastrophe, Corona, Russland-Ukraine-Krieg: an all diesen Krisen zeigt sich immer schmerzhafter, wie rückständig, rechthaberisch und apathisch wir sind. Bloß keine Veränderungen, alles muss seinen geregelten Gang gehen und wird im Zweifel auf die lange Bank geschoben. Lieber noch ein Gutachten, zur Not eine Arbeitsgruppe, vielleicht ist ja auch jemand anders zuständig. Die Hoffnung stirbt zuletzt, dass alles so bleiben kann, wie es ist, wenn wir nur träge und blind genug bleiben und die Not-Wendigkeiten einfach ignorieren.

In seiner Kolumne „Tagesanbruch: Bis es kracht“ dekliniert Florian Harms die deutsche Realitätsverweigerung anhand der drei Krisenfelder durch.

  • Ukraine: „Angesichts dieser Szenarien [=Putins eskalierender Krieg und mögl. Weiterungen] wirkt es seltsam, dass die Bundesregierung sich so schwertut, ihre Waffenversprechen einzulösen und den Kauf von russischem Erdgas schneller zu drosseln, obwohl das einer Studie zufolge möglich wäre. Man kann dieses Verhalten als Realpolitik bezeichnen: Mehr geht halt leider nicht! Oder als Wünsch-dir-was-Politik: Wird schon alles nicht so schlimm werden! In einem Wort: Realitätsverweigerung.“
  • Corona: Obgleich die Infektionszahlen höher sind als je zuvor, obwohl die Zahl der Covid-Patienten in Krankenhäusern wieder steigt, obgleich drei Viertel der Kliniken wegen erkranktem Personal nicht mehr im Normalbetrieb arbeiten, obwohl jede Woche mehr als 1.000 Menschen sterben, hat die Ampelkoalition die Aufhebung der meisten Sicherheitsregeln durchgesetzt.
  • Klimakatastrophe: Der schockierende Bericht des Weltklimarats vor drei Wochen sollte eigentlich den Letzten die Augen geöffnet haben. „Wir haben nur ein Jahrzehnt, um die CO2-Wende zu schaffen und die Menschen noch vor den größten Risiken des Klimawandels zu schützen“…..Im Klartext: Politik und Wirtschaft müssten jetzt sofort alle Weichen stellen, um die Klimaziele noch zu erreichen. Stattdessen hat das Ukraine-Krisenmanagement die Aufmerksamkeit für den Klimaschutz verdrängt, und Wirtschaftsminister Robert Habeck tütet mit den Scheichs zweifelhafte Erdgas-Deals ein. Realpolitik? Vielleicht. Oder Augen-zu-und-durch-Politik.

Obwohl sich zu jedem Punkt einiges zur Rechtfertigung der hier als „Realitätsverweigerung“ bewerteten Haltung einwenden ließe, spricht mir sein „Rundumschlag“ doch aus der Seele. Vor allem auch deshalb, weil mir bei fast jedem Blick auf irgend ein Detail ähnliche Gedanken kommen.

Gestern war z.B. Weltwassertag. Die zunehmende Trockenheit in Berlin und Brandenburg war aus diesem Grund auch mal Teil der Regionalnachrichten, ganze Ketten kleiner Weiher sind trocken gefallen, trotz regnerischem Winter. Und obwohl seit vielen Jahren bekannt ist, wohin die Reise geht, wird Abwasser von Dächen und Straßen immer noch in Flüsse geleitet, anstatt es in der Landschaft zu halten. Man sollte… ja, aber es passiert nicht!

Wenn ich dann noch daran denke, dass mit der künstlichen „Lausitzer Seenplatte“ 16 verbundene Tagebaue geflutet und zu einer Seenkette (am bekanntesten der „Ostsee“) entwickelt werden, wird mir einfach nur schlecht. Was für eine Ignoranz gegenüber dem Klimawandel, so riesige Verdungstungsflächen zu schaffen – mittels Wasser, das sogar die Trinkwasserversorgung Berlins gefährden könnte. Einfach weil die Flutung für die zur Renaturierung verpflichteten Konzerne am billigsten ist und sich Seen der Öffentlichkeit gut verkaufen lassen (Tourismus! Arbeitsplätze!).

Aber wir haben doch Energiewende? Wenn ich Tweets aus den Niederungen der Praxis lese, kommt mir die Galle hoch:

„Ich lebe in einer Reihenhaussiedlung mit 57 Häusern. Wir haben ein Biogas Blockheizkraftwerk, dass Strom und Warmwasser erzeugt. Zusätzlich würden wir gerne Photovoltaik auf die Häuser mit Pultdächern bringen. Der Genehmigungsprozess ist ein Alptraum. Das muss sich schnell ändern“

„Bei uns genauso, man müsste die Photovoltaik Anlage absichtlich klein(!) dimensionieren um nur den Eigenverbrauch abzudecken. Produziert man Überschuss wird es absurd komplex, die Eigentümer*innen haben das Thema deshalb auf den Sankt Nimmerleinstag vertagt.“

„Bei uns scheitern sämtliche Versuche des örtlichen Energieversorgers, erneuerbare Energiequellen zu nutzen, ausgerechnet am Naturschutz. Hier könnte eine seltene Moosart zu wenig Wasser abbekommen, dort der Lebensraum des grüngesprenkelten Grottenolms um einige Quadratmeter beschnitten werden. Natürlich muss man Rücksicht auf die Natur nehmen. Aber ganz ohne Eingriffe wird es nicht gehen. Und mit dem Klimawandel sind diese Lebensräume langfristig komplett futsch.“

Ein Augen-Öffner in Sachen Bau-Geschehen und Klimawandel ist die aktuelle Sendung aus der Reihe „Leschs Kosmos“: Sackgasse Beton – die Suche nach Alternativen.

„Bis zum Jahr 2060 wird laut Prognosen weltweit doppelt so viel Fläche bebaut sein als heute. Doch schon jetzt verursacht allein die Zement-Produktion viermal so viel CO2 wie der globale Flugverkehr…Baustoffe und Bauarbeiten sind heute für 11 Prozent aller CO2-Emissionen in der Welt verantwortlich.“

Es werden dann sehr interessante Alternativen gezeigt, doch habe ich nicht den Eindruck, dass derlei von der Politik massiv und vor allem zügig unterstützt wird.  Es gibt zwar Fördermittel für energie-effizientes Bauen (auch nach dem vorläufigen Habeck-Stopp wird es sie in geänderter Form geben), doch auf die Baustoffe selbst bezieht sich da meines Wissens noch nichts. Und sowieso stellt sich die Frage, ob man heutzutage das „frei stehende Eigenheim“ überhaupt noch fördern sollte. Maximaler Flächenverbrauch für die kleinstmögliche Anzahl Bewohner – passt doch nicht wirklich zur Lage! Aber was für ein Aufschrei, wenn die Grünen das auch deutlich aussprechen!

Wir wollen halt, dass alles so bleibt, wie es ist. Lieber sogar noch, wie es war! Dass es das „alte Normal“ nie wieder geben wird, ist noch lange nicht in den Köpfen angekommen. Und die Politik nimmt eben Rücksicht auf die Wählerschaft – ist normal in einer Demokratie.

Vielleicht ist genau DAS die Herausforderung: Wieviel Demokratie können wir uns auf Dauer leisten, wenn sich die Krisen weiter entwickeln? Wieviel Trägheit, wieviel Ignoranz, wie viel Vertagung und Blick aufs jeweilige Klientel?

Update:

Zum Druckanstieg in der Zwangslage, in die sich Deutschland mit der Maxime „Wohlstand zuerst“ hinein manövriert hat:

Putin verhängt eine „überraschende“ Gegensanktion:  Die „unfreundlichen Länder“ sollen Gas etc. nur noch in Rubel zahlen dürfen. Der Rubel steigt bereits. Den Wechselkurs bestimmt dann die russische Zentralbank, weil es auf dem Markt gar nicht genügend Rubel gibt. Die Käuferländer müssten dadurch die eigenen Sanktionen unterlaufen – oder eben aufheben.

Der substanziellste und informativste Artikel dazu stammt von Maurice Höfgen;

  • Putins gefährlicher SchachzugRussisches Gas gibt es bald nur noch gegen Rubel. Was bringt Putin das? Und welche Konsequenzen hat das für uns?

Vom selben Autor noch ein kürzlich erschienender Artikel zu den Folgen eines Lieferstopps – auch sehr detailliert:

  • Freiwillige Wirtschaftskrise? Wenn wir kein Gas aus Russland mehr kaufen, dann droht nicht nur Verzicht auf Komfort, sondern eine große Wirtschaftskrise.

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Diskussion

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11 Kommentare zu „Deutschland Träumerland: alles soll so bleiben….“.

  1. Diese Verzweiflung, diese Einsichten machen sich bei immer mehr Menschen breit. Und sie reagieren so, wie das immer ist – jedenfalls in Deutschland. Die Mehrheit übt sich im Verdrängen, die Aktiveren streiten ab. Die Wenigsten versuchen sich den notwendigen Veränderungen zu stellen bzw. diese wenigstens konstruktiv aufzunehmen. Ich verliere nicht nur den Mut, sondern immer mehr auch die Nerven.

    Wir stecken längst in einem Dilemma, das wir mitverursacht haben. Zu viele glauben, der Staat müsste schon alles (für uns) regeln. Oder er sollte alles regeln. Die Demokratien sollten sich in Krisen gegenüber irgendwelchen autokratischen Regimen besser behaupten. Weil sie die Menschen mitnehmen – könnte man glauben. Das Gegenteil ist der Fall. Die Autokraten werden sich behaupten, wir verlieren die Demokratie und unsere Freiheit, weil die geschaffenen Systeme (Meinungsfreiheit, Medien, asoziale Medien nicht zu vergessen!) Sektierertum und Feindschaften fördern. Wir erleben es täglich.

    Von unserer Erde, die das nicht mehr lange mitmacht, wollen wir erst gar nicht reden.

  2. Update: So, jetzt sollen wir also das Gas in Rubel zahlen! Putin zieht die Daumenschrauben an: Der Rubel steigt bereits. Den Wechselkurs bestimmt sowieso die russische Zentralbank. Und weil dann auch ein Verrechnungskonto unterhalten werden muss, sollen die Käuferländer dadurch die eigenen Sanktionen unterlaufen – oder eben aufheben.
    Bin gespannt auf die Reaktionen der Politik. Ob sie abwiegeln und das einfach hinnehmen ODER jetzt doch umdenken und einfach mal nicht zahlen, den Stopp riskieren…

  3. Kanzler wird (wie heute in seiner „brillanten“ Rede im BT) wieder darauf hinweisen, dass wir helfen, wo es geht. Mit anderen Worten, die Zahlung in Rubel geht schon in Ordnung. Keiner will schließlich frieren, wie wir nach Gaucks Äußerung mit Shitstormqualität gelernt haben. Oder habe ich es falsch verstanden? Hier soll alles schön so weitergehen wie bisher. Nur keinen Sand ins Getriebe (vor allem der Wirtschaft) streuen, weil Deutsche so absolut ungern aus ihrer Komfortzone heraustreten. Inzwischen jammern und meckern die Städte- und Gemeinden heftigst, weil die Flüchtlingsströme aus der Ukraine nicht vom Bund koordiniert werden. Bald wird die Stimmung also wieder kippen. Zum Glück haben wir einen Verantwortlichen. Das ist die Ampel und insbesondere dieser Kanzler, der es keinem wirklich recht machen kann.

  4. Ich hab oben unter dem Artikel mal zwei sehr informative Artikel zur Lage verlinkt.

  5. Du gehörst nicht zu deinem „Wir“ oder ? Du bist kein Deutscher und verhältst dich absolut anders/korrekt/ – und würdest diese „Krise“ locker lösen?

  6. @Timo: magst du sagen, auf welches „wir“ von wem du dich beziehst? Meinst du Horst? (wg. kein Deutscher) oder mich?
    Wir sind erkennbar beide Deutsche – und was das einzige „Wir“ angeht, das im Artkel steht: „Wir wollen halt, dass alles so bleibt, wie es ist. „, so bin ich beim „wir“ zumindest teilweise dabei. Einige Veränderungen wünsche ich mir schon lange, andere krisenhafte Verschlimmerungen hätte ich natürlich auch gerne ausgelassen!

  7. „Wir“ sind nicht in der Lage, das alles zu stemmen. Alles andere ist Augenwischerei.
    Wir sind wie ein Schwerkranker, dem 1001 Therapien von 1001 Ratgebern empfohlen werden.

  8. Ist das nicht immer so? Veränderungen bergen Risiken und wo sich Risiken vermeiden lassen, da wird der Mensch das tun. Manche Szenarien müssen über den eigenen Tellerrand hinaus betrachtet werden. So verwerflich oder unmoralisch das auch sein mag; Wenn wir kein Gas mehr von Putin beziehen und der Gaspreis weiterhin steigt, wird das nicht nur für einzelne Haushalte ein Problem. Viele energieintensive Betriebe werden in dem Fall Insolvenz anmelden müssen.

    Diese energieintensiven Betriebe sind meist große Betriebe, in denen Mitarbeiter von ganzen Landstrichen hier bei uns im Sauerland arbeiten. Gießereien, Schmieden, Stahlerzeuger – alle diese Unternehmen wären unweigerlich pleite oder weg und damit Hundertausende Arbeitsplätze in der Region gleich mit.

    Habeck hat vollkommen recht, wenn er von sozialen Unruhen spricht, die das zur Folge hätte. Und ja – die Unternehmen haben gepennt, was die Investitionen in die Zukunft anbelangt. Das kann man viel diskutieren, hilft aber in der aktuellen Situation nicht weiter.

  9. @Gerhard – aber wie heißt die Krankheit? Sind andere viel gesünder? Mich wundert langsam das gute Ranking von Deutschland.

    @Peter: Stimme dir zu, wobei Habeck u.a. wirklich heftig dran arbeiten! Täglich liest man von Fortschritten im unabhängiger werden – immerhin!

    Insgesamt: Eigentlich hat man Regierung und Verwaltung, damit diese voraus schauen und voraus planen. Dass sie zumindest das, was beschlossen ist und Standard sein soll, dann auch tatsächlich ins Werk setzen. Warum nur passiert das bei uns so oft nicht? Die Krisen zeigen es immer deutlicher!

    -> Wir haben keine Masken, wenn die Seuche ausbricht (dabei gab es einen genauen Plan!)
    -> wir haben auch nach 2 Jahren Corona noch kaum Luftreinigungsgeräte in Schulen
    -> wir können Sanktionen gegen Oligarchen nicht umsetzen, weil niemand dafür zuständig ist, deren Villen und Jachten zu beschlagnahmen
    -> unsere Bundeswehr hat bisher noch nie Waffen schnell von A nach B transportieren müssen. Huch, eine neue Aufgabe! Wer, wie, womit? Klar dass das dauert…
    – Sirenen? Brauchten wir doch bisher auch nicht…

  10. @Claudia, Die Krankheit könnte man systemische Unbeweglichkeit nennen. Alle haben sie, nicht nur DE.
    Vielleicht gab es mal eine Zeit, in der man schlicht…anpackte. Oder ist das eine Mär?

  11. Ein Ranking, was man selbst erstellt, wirkt immer gut – für einen selbst.