Claudia am 05. August 2001 —

Gedanken aus dem Schwitzbad

Die Hitze ist vorbei und mit ihr verschwindet diese tagträumerische Lethargie, die mich so angenehm umfangen hielt. Ich gebe mich gerne dem Wetter hin, zumindest, solang‘ es warm ist, lass‘ mich treiben oder ausbremsen und beobachte, welche Eigenschaften und Verhaltensweisen durch die jeweilige Wetterlage hervorgerufen oder unterdrückt werden.

Bei großer Hitze zum Beispiel ist der Körper hauptsächlich mit dem Temperaturausgleich beschäftigt und schwitzt. Das bindet einen guten Teil der Energie, erst recht, wenn es mehrere Tage anhält. Ich spür‘ dann richtig, wie der Kopf leerer wird, wie die Gedanken langsamer kommen, stotternd fast, und wie kaum mehr etwas übrig bleibt für Bedenken wie: Versteht mich noch jemand? Ist das, was ich jetzt denke, sage, schreibe, auch verständlich, stilistisch vertretbar, im Diary am rechten Platz? Unbekümmert lass‘ ich es aus mir schreiben, in die Tastatur fließen, das weiße Datenfeld füllen, blühe pflanzenhaft-ruhig vor mich hin wie meine Balkonpflanze, der es völlig egal ist, ob da jemand sagt: Wow, was für eine schöne Blüte!“, oder eben „Welch ein komisches Unkraut!“.

Insgesamt führten mich diese Tage im ständigen Schwitzbad schneller und weiter weg von der kürzlich beschriebenen coolen Rationalität als die Wochen vorher: Ich stehe dann neben mir, höre meinen Gedanken zu und sie langweilen mich wie alte Nachrichten: Immer dasselbe, tausend mal gedacht, kommt denn da gar nichts mehr Neues? Offenbar nicht, auch dann nicht, wenn ich auf der Suche nach neuem Input für den Geist mal wieder weise Bücher lese: Sie variieren nur das, was ich schon kenne – und all das, was ich kenne, läßt sich aufteilen in das, was ich verstehe (also in meinem Leben nachvollziehen kann), und das andere, das ich zwar wiederholen kann wie ein auswendig gelerntes Gedicht, von dem ich aber keinen Schimmer habe, was es eigentlich meint. Noch mehr lesen, um zu verstehen, funktioniert nicht,: DAS wollte ich mit meinem gestrigen Beitrag „Schreiben, Lesen, Verstehen“ ausdrücken.

Ich verliere gerade den Rest meines Glaubens an das Wort, könnte man sagen. Vielleicht nicht an alle Worte, nicht an Worte, wie sie in einem Gedicht eher intuitiv-gefühlig gebraucht werden, sondern eben an die herrschende logische Vernünftigkeit, die glaubt, alle Probleme lösen, alle Fragen beantworten, alle Konflikte bereinigen und letztendlich eines Tages ALLESWASIST erklären zu können.
Das nenn‘ ich dann gelegentlich „Ende des Verstands“.

„Ende“ heißt also nicht, dass er weg wäre, sondern nur, dass auch das rationale Denken wie ein physischer Gegenstand, den ich betasten kann, Anfang und Ende hat, eine gewisse Ausdehnung, eine Form, die zu bestimmten Zwecken dienlich ist, zu anderen nicht.

Angst?

Was das ganz konkret und persönlich bedeutet? Schon lang‘ fühle ich althergebrachte Motivationen verschwinden. Das, was mich gewöhnlich in Bewegung versetzt hat: Wünsche, Ehrgeiz, Angst, und vieles mehr, entfaltet einfach keine große Kraft mehr, taucht allerhöchstens als blasses Zitat im Kopf auf und verschwindet gleich wieder. Das führt dazu, dass ich mich als in einer Art Leere hängend empfinde – mit seltsamen Folgen. Oberflächlich könnte ich sagen: Es macht Angst, denn nun weiß ich nicht mehr, warum und wozu ich etwas tun, wohin ich streben soll – und auf diese Weise kann man doch in dieser Welt nicht bestehen!

Doch Tatsache ist, dass ich allermeist gar keine Angst FÜHLE, während diese „Denke“ sich abspult – komisch, nicht? Da signalisiert mir also das Denken, Angst sei angesagt, dabei ist gar keine vorhanden! Ich möchte gar nicht drüber nachdenken, was mir auf diese Weise „vom Kopf aus“ schon alles als real vorgespiegelt wurde, obwohl außerhalb dieser Gedanken doch nichts davon zu spüren ist!

Na, neulich jedenfalls ist mir dann nochmal ein Groschen gefallen: Immer wieder dachte ich darüber nach, WAS DENN anstelle dieser früheren Motive bzw. deren blasse Reste treten werde, welche neuartigen Ziele und Motive – vielleicht irgendwie „jenseits des Ego“? – evtl. in Zukunft meine Handlungen bestimmen könnten, sollten, müßten…. und plötzlich ist mir klar: Da wird nichts Anderes kommen! Hier und jetzt ist ganz einfach nur dieses Denken an seinem Ende angekommen, der Kreis ist durchschritten, die Landschaft erforscht, da kommt nichts „Neues“ mehr nach. Das „Andere“ ist jenseits, außerhalb dieser Art zu Denken – und ich habe keinen Schimmer, wie man lebt, ohne sich auf diese mächtige Krücke zu stützen, sich das zumindest einzubilden.

Das macht insofern „Angst“, als man sich üblicherweise in der Vorstellung aufhält, man würde sein Leben – mehr oder weniger – rational managen: Der Verstand sichtet Triebe und Motive, gleicht sie mit einem Wertekostüm ab, filtert das Wünsch- und Machbare heraus und entwickelt Herangehensweisen für die Umsetzung. Das ergibt ein Gefühl sinnvoller Beschäftigung, man glaubt, alles im Griff zu haben, und – wenn es dicke kommt – entstehen daraus sogar eine ganze Latte Schuldgefühle: Ich sollte dies, ich müßte jenes, ich bin schuld am Unglück des Anderen und am Elend der Welt, weil ich nicht mindestens…. usw. usf.! Was für ein Wahnsinn!

Noch immer laufen in mir täglich derartige Denkfiguren ab, aber ich glaube ihnen nicht mehr, ich spüre, dass das nur geschieht, weil irgend etwas keine Leere erträgt, mit ihr nichts „anfangen“ kann – und die Langweiligkeit des ganzen Ablaufs wird immer stärker. Als hörte ich ein Radioprogramm, das mir einfach nur noch auf die Nerven geht, aber ich finde den Ausschaltknopf nicht….

Tja, so ist es gerade. Bin gespannt, ob sich nochmal was ändert – immerhin ändert sich gerade das Wetter, ich brauche mich vielleicht bloß mitverändern lassen….

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