Wenn ich jetzt meinen Eintrag vom 12.Juli „Was du nicht erfühlen kannst“ nochmal lese, kann ich es kaum glauben, wie schnell sich die Dinge verändern – kaum hatte ich meine Stagnation ausformuliert, begann sie auch schon, sich aufzulösen… Naja, so sieht es jetzt das positive Erinnerungsvermögen, immerhin hat der Zustand, den ich bei mir „Wüste“ nenne, lange lange angehalten: Nicht mehr wissen, WOZU das Ganze, nicht mehr träumen, keinen Wunsch mehr erleben, der über das Stadium „blasser Gedanke“ hinaus kommt – und das dann auch noch für einen sinnvollen Endzustand halten, nur leider zum Geld verdienen nicht besonders geeignet… Jetzt find‘ ich das schon wieder richtig lustig!
Der Ansatz über „Fühlen“ ist jedenfalls richtig: Nicht grübeln, sondern einfach zugucken, was da eigentlich läuft oder eben nicht läuft, spüren, wie sich das anfühlt. Der Verstand darf sich im Diary austoben und gern immer neue – mehr oder weniger brilliante – Beschreibungen verfassen. Etwas ÄNDERN geht mit ihm alleine nicht, das weiß ich schon lang. Man kann sich selbst nicht inszenieren, ganz einfach, weil wir gar nicht wissen, was wir sind, wo wir anfangen und aufhören, und ab wo „Welt“ bzw. die Anderen hereinwirken.
Als ich über die Rückkehr der Wünsche schrieb, hatte ich nur vor, aktuelle Wünsche aufzuzählen, ganz „normale“ Wünsche, die für mich aber neu sind: lange lange nicht mehr erlebt! Dass das dann gleich im ersten Satz zum Gedicht geriet, hat mich verwundert, aber auch begeistert. Die Reimform erleichtert nämlich – ganz ohne Grübeln! – auf fast märchenhafte Weise, wichtige Dinge zur Sprache zu bringen, Hindernisse zu benennen und beiseite zu räumen, die mich lange davon abgehalten hatten, überhaupt noch irgend etwas zu wünschen. Jetzt sehe ich, dass ich jeden aufkommenden Wunsch immer schon im Ansatz abgebügelt hatte: nix da! Das führt nirgendwohin, das verschmutzt die Landschaft, frißt Ressourcen, macht krank, verbraucht Energie, lenkt vom Wesentlichen ab, ist sinnlos und lächerlich, zudem äußerst egoistisch angesichts der Lage der Welt. Wozu nach etwas streben? Verlangen ist Anhaften und Anhaften bringt Leiden….usw. usf.
Der Buddhismus-Virus, kurz gesagt. Womit ich nicht behaupten will, ich wäre von buddhistischer Seite ideologisch indoktriniert, bewahre! Ich liebe Buddhismus und auch jetzt lese ich gerade wieder mit Freude ein buddhistisches Buch: „Ösel Tendzin – Buddha zum Greifen nah.“ (Der Autor schafft es, in ganz einfacher Sprache zu den letzten Dingen vorzudringen und die buddhistische Sicht zu entfalten: klasse!) Gerade anhand der Gefühle zu den buddhistischen Texten über das Leiden kann ich Veränderungen gut feststellen. In der Phase „ohne Wünsche“, die gerade zu Ende geht, war da immer heftiger Widerspruch zu Buddhas Ausgangsbasis „Alles Leben ist Leiden“. Mit dem Verstand erkannte ich, dass im östlichen Denken jede Veränderung als leidhaft angesehen wird und deshalb ALLES als Leiden erscheint: Alles Schöne und Gute verschwindet ja irgendwann mal – das kann also nix sein! Spitzfindig bügelte ich die Frage mit dem Gegenargument ab, dass das ja nicht mehr stimme, wenn man Veränderung nicht negativ, sondern positiv bewertet. Ganz so, als wäre ich wirklich frei, das auch ZU TUN!!! Und warum wollte ich überhaupt widersprechen, so wunschlos, wie ich mich vermeintlich fühlte?
Es ist nicht so einfach wegzudiskutieren, dass Veränderung für uns gewöhnliche Unerleuchtete recht oft Leiden bringt: heute erlebt das auch im Westen jeder (ehemals) verschnarchte Beamte, dessen Arbeitsplatz erst zum „Dienstleistungscenter“ und dann gleich noch in Richtung „E-Government“ umgebaut wird. (Alter, Krankheit und Tod sind sowieso immer schon globalisiert).
Leiden meiden und nach Freude streben, das Angenehme dem Unangenehmen vorziehen, symphatische Menschen lieben und die Knallköppe hassen oder zumindest ignorieren – das ist der ganz normale Zustand und ich kann nicht behaupten, ihn jemals auf Dauer verlassen zu haben. Allenfalls hab‘ ich immer weniger ins Feuer gefaßt, um mir nicht schon wieder die Finger zu verbrennen. Und das als „Gelassenheit“ verkauft…
Und jetzt? Es ist nicht leicht, Prozesse gedanklich zu fassen, die gerade laufen, man veranstaltet sie ja nicht selbst, sondern wird von ihnen ergriffen. Sie ergeben sich „von selbst“ und unterminieren totgelaufene Denk- und Verhaltensweisen, sofern man vor dem, was nun mal grad so ist, nicht innerlich flieht: weder verteidigen noch krampfhaft ändern wollen, zur Not bis hin zum Verlernen, was „Wollen“ ist….
Alles was ich jetzt (wieder..) weiß, paßt in einen einfachen Satz: Nicht Veränderung mühsam umbewerten, sondern Leiden akzeptieren; das ist die immer offene Tür zur Lebendigkeit. Alles Leben ist Leiden – so what? Will ich deshalb vorzeitig tot sein? Will ich nicht!
Tja, manchmal sind geistige Befreiungsübungen genauso wichtig wie z.B. Yoga-Asanas, mit denen man psychophysische Verspannungen so wunderbar lösen kann! Und ich fühle mich gelöst, sehe staunend zu, was für Wünsche so alles aufkommen: z.B: würde ich furchtbar gerne Budhha-Statuen sammeln, vielleicht sogar produzieren lassen – und dann einen Laden und eine Website aufmachen! Oder neulich träumte ich davon, mal selber eine Saunalandschaft zu gestalten, weil ich doch nie zufrieden bin mit dem, was ich in Berlin so vorfinde. Auch ein „Best of Diary“-Buch stelle ich mir vor – aber nicht als Bod (Book on Demand), sondern schön und teuer, von engagierten Hobby-Buchbindern in Leder gebunden…
Solche Wünsche realisieren heisst, in einer anderen Liga spielen, was die Finanzen angeht. Kein Grund, die Wünsche gleich wieder wegzuschicken, sie sind wie Samen, die ins Keimen kommen, die werde ich jetzt gießen anstatt sie zu jäten!
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