Dass alles immer schlechter wird und die Welt den Bach runter geht, kann man an den kleinen Dingen des täglichen Lebens gut beobachten. An den Strohhalmen zum Beispiel: Habt ihr bemerkt, dass da seit einiger Zeit der „Knick“ verschwunden ist? Von der Cocktailbar über die Eisdiele bis hin zu McDonalds: Der Halm ist nur noch ein simples Stück Plastikrohr, mal schwarz, mal bunt-gestreift, absolut gerade und durchgehend starr: kein Knick nirgends.
Was sagt uns das? Eines ist sicher: Niemand ist vorher gefragt worden. Der Markt hat es gerichtet und jetzt müssen wir damit leben. Aber was ist das für ein Leben ohne den ergonomischen Knick im Halm? Schließlich handelt es sich nicht nur um eine einfache Rationalisierungsmaßnahme, um Materialeinsparung, um das Auslassen eines eigentlich unverzichtbaren Fertigungsschritts, der ehemals den Strohhalm erst zu einem solchen machte. Es geht um weit mehr, wenn nicht ums Ganze: Unsere Einstellung Mensch und Welt gegenüber soll grundstürzend verändert werden. Auf subtile Weise werden wir in eine neue „Haltung“ gezwungen, die einem gänzlich anderen In-der-Welt-Sein entspricht.
Übertrieben? Nicht doch. Der Halm mit dem freundlichen Knick an der richtigen Stelle hat es einst ermöglicht, ein Getränk einzunehmen und gleichzeitig die Umwelt im Blick zu behalten. Über das Glas hinweg konnten wir Mitmenschen ansehen, mit dem Gegenüber wortlos kommunizieren, lächeln, Blicke tauschen, vielleicht ein bißchen flirten. Aus und vorbei! Der Rückbau des Strohhalms zum simplen Rohr zwingt den Kopf beim Trinken nach unten, übt den stieren Blick auf das Wesentliche, wie es der Markt sich denkt: Wir sollen die Ware ansehen, die wir gerade konsumieren, beobachten, wie sie unaufhaltsam weniger wird je mehr der Akt der Einverleibung fortschreitet. Von nichts und niemand abgelenkt verpassen wir so ganz sicher nicht den richtigen Zeitpunkt, um unverzüglich Nachschub zu bestellen. Was durch den aufrechten Gang vor Urzeiten erreicht wurde, der schweifende Blick in die offene Weite, wird mittels der neuen Strohhalme zurückgenommen: Wie Vierfüßler sehen wir wieder auf den Boden vor uns, in diesem Fall auf den unausweichlich sichtbar werdenden Boden des leeren Glases.
Um das Trinken noch zusätzlich zu beschleunigen ist zudem der Durchmesser des neuen Hochleistungshalms um einiges größer ausgeführt als der des ineffizienten Vorgängermodells. Etwa die drei- bis vierfache Flüssigkeitsmenge läßt sich so in derselben Zeit aufsaugen. Man denke an den vervielfachten Getränkeumsatz, der mit den neuen Halmen zumindest technisch möglich geworden ist! (Dass bei einigen Konsumenten über vierzig verschiedentlich Würgereiz beobachtet wird, ist auf deren taktile Sozialisation in veraltete Halmkonstruktionen zurückzuführen – angesichts der eher jungen Zielgruppe für Strohhalmgetränke ein zu vernachlässigendes Übergangsphänomen.)
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2 Kommentare zu „Böse Welt: Was der Hochleistungsstrohalm mit uns macht“.