Claudia am 12. Juli 2022 —

#IchUnterstützeArmutsbetroffene – und hab‘ dazu ein paar Ideen!

Tue Gutes und rede darüber? Oder doch lieber nicht, um nicht der eitlen Selbstdarstellung verdächtigt zu werden? Diese Bedenken schiebe ich jetzt mal beiseite, denn ich halte sie für kontraproduktiv, wenn es darum geht, Armutsbetroffene zu unterstützen.

In den letzten Wochen ist es Menschen, die in krasser Armut leben, gelungen, auf Twitter „eine Welle zu machen“. Unter dem Hashtag #ichbinarmutsbetroffen liest man herzzerreissende Geschichten aus dem Alltag armer Menschen, die ihre Kinder am Monatsende nur noch mit Nudeln ernähren können, die kein Geld haben, um kaputte Schuhe zu ersetzen und ständig Angst haben müssen, dass irgend etwas „Unbezahlbares“ auf sie zukommt.  Die aktuellen Preissteigerungen treiben sie zur Verzweiflung, wen wunderts! Es zeigt sich da ein unglaubliches Elend mitten im angeblich so wohlhabenden Deutschland, ein „Sozialstaat“, dessen Hartz4- und Grundsicherungsbeträge für ein Kind gerade mal 3,59 am Tag fürs Essen vorsieht.

Aber genug davon! Wer interessiert ist, kann sich zur Lage z.B. im Armutsbericht 2022 informieren – oder #ichbinarmutsbetroffen mitlesen.

#IchUnterstützeArmutsbetroffene – wie komme ich darauf?

Auf die Idee zu diesem Hashtag bin ich gekommen, weil Betroffene darüber klagten, dass ihr Hashtag #IchBinArmutsbetroffen zu wenig weiter getweetet wird. Andere waren enttäuscht, dass in ihrer Gegend nur der Bekanntenkreis zu den aktuellen „Smartmobs“ gekommen ist, die derzeit in vielen Städten stattfinden. Das Anliegen dieser Minidemos ist es, Armutsbetroffene sichtbar zu machen, sich nicht mehr zu verstecken, sondern lautstark mehr Unterstützung einzufordern.

Mir ist aufgefallen: Obwohl unterstützungswillig, würde ich da nicht hingehen – einfach weil ich als Teilnehmende ebenfalls als „armutsbetroffen“ wahrgenommen würde. Zwar habe ich persönlich keine Diskriminierung zu befürchten, aber es wäre eine Anmaßung, denn mir geht es gut. Ich verdiene genug für meinen bescheidenen Lebensstil, sogar ausreichend, um etwas zurück zu legen. Also leite ich auch keine Tweets weiter, die den Eindruck erwecken, ich würde mich selbst über eigene Armut beklagen.

In Zukunft werde ich diese Tweets zitierend weiter reichen, versehen mit dem Hashtag #IchUnterstützeArmutsbetroffene  – und weg ist das „Problem“. (Und wäre ich noch besser zu Fuß, würde ich mit einem solchen Schild zu den Smartmobs gehen). Es wäre auch keine bloße Behauptung, denn ich unterstütze tatsächlich, indem ich gelegentlich eine „wishlist“ (früher: Wunschzettel) sichte und Armutsbetroffenen etwas daraus kaufe und zusenden lasse. Das mache ich natürlich nicht blind, sondern angeregt durch Berichte als dem aktuellen Alltag – und nach Profil-Check derjenigen, wo ich mir ein Bild mache, ob die Angaben auch wahrscheinlich sind.

#IchUnterstützeArmutsbetroffene: ein paar Ideen, wie das gehen kann

Abgesehen von der ganz individuellen Unterstützung per Wishlist gibt es viele Möglichkeiten, die Bewegung #IchBinArmutsbetroffen zu unterstützen:

  • Spendet oder werdet Paten bei der gemeinnützigen Organisation „Eine Sorge weniger
  • Zeichnet die aktuelle Petition „Wir wollen in Würde leben -schafft Armut ab

    Petition Banner

  • Verschafft dem Thema Reichweite: Schreibt selbst über die aktuelle Bewegung, über eigene Armutserfahrungen, über die zu geringe Hartz4- und Grundsicherung in Zeiten der Inflation und explodierenden Gaspreise.
  • Verbreitet hilfreiche Informationen, z.B. darüber, wie man sich gegen zu restriktive Ämter wehren kann – (ungefragte Spartipps an Einzelpersonen, deren Schicksal man nicht kennt, kommen weniger gut an)
  • Verteilt überschüssige Ernte aus Eurem Garten an Bedürftige – oder lasst Armutsbetroffene mitgärtnern.
  • Redet und schreibt über unterstützende Aktivitäten (natürlich unter Beachtung der Privatsphäre unterstützter Einzelpersonen!) Nutzt das Hashtag „IchUnterstützeArmutsbetroffene„, vielleicht motiviert Ihr dadurch Andere, ebenfalls aktiver zu werden.
  • Achtet auf Menschen im Bekanntenkreis, die auf einmal „keine Zeit“ mehr für gemeinsame Aktivitäten haben – vielleicht haben sie den Job verloren, sind krank / arbeitsunfähig geworden und schämen sich, das zuzugeben.
  • Wer ein Blog hat: Ladet Armutsbetroffene ein, Gastartikel zur eigenen Situation zu schreiben. Das öffentliche Bild von Hartz4- und Grundsicherungsempfängern, das das private Demütigungs-TV zeichnet, ist grauenhaft und entspricht bei weitem nicht der Lebensrealität vieler Betroffenen.
  • Unterstützt die politischen Forderungen nach einem Existenzminimum, das den Namen auch verdient.

Soweit für jetzt. Das Thema ist sooo riesig, dass ein einzelner Blogartikel sowieso nicht reicht. Freue mich über Kommentare, Tweets und Links – und über alle, die #IchUnterstützeArmutsbetroffene mittragen und verbreiten helfen.

***

Mehr dazu?

Lesen:  Noch nie wurde ein höherer Armutswert für Deutschland gemessen

Hören: Denkfabrik 2022: Von der Hand in den Mund – Wenn Arbeit kaum zum Leben reicht

Sehen:  #IchBinArmutsbetroffen auf Youtube

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Diskussion

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7 Kommentare zu „#IchUnterstützeArmutsbetroffene – und hab‘ dazu ein paar Ideen!“.

  1. Liebe Claudia, dort, wo ich helfen konnte, ob gefragt oder ungefragt, habe ich das mein Leben lang gemacht und werde es im Rahmen meiner Möglichkeiten auch so bis zu meinem Ende beibehalten. Meine Mutter, die mir von klein auf diesen Geist vermittelt hat, werde ich nicht enttäuschen,- auch wenn sie schon vor über 20 Jahren verstorben ist.
    Dies mal vorab zur Überlegung für alle Eltern, die noch mit der Kindererziehung beschäftigt sind. Ferner würde ich meinen, wenn alle danach handeln, wird das Armuts-Problem schon mal etwas kleiner.

    Die Stigmatisierung der Armut ist wirklich ein Problem, besonders in der Gruppe derer, die staatl. Transferleistungen erhalten. Die wahrlich Bedürftigen müssen ausbaden, was Missbrauchsfälle verursachen, die dann durch die Medien zusätzlich hyperventiliert werden. Das Misstrauen und Argwohn dann bei der Bevölkerung entstehen, ist verständlich. Allerdings ist auch hier meine Hoffnung sehr gering, dass das die Behörden in den Griff bekommen.

    Ich schließe mich deinem Beitrag an, dass wir alle dort helfen, wo erkennbar unsere Hilfe gebraucht wird. Jeder nach seinen Möglichkeiten, von denen es zahlreiche gibt, wie du sie schon oben aufgeführt hast.

  2. Ich finde deine Idee gut – ich war auch schon von Armut betroffen.

    Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht, daß man schnell in die Schublade „selber schuld“ gesteckt wird. Ich will gar nicht aufzählen, was ich an Schwachsinn zu hören bekommen habe – von Leuten, die keine Ahnung haben. Und keinerlei Empathie. Von Leuten, die denken, daß man mit HartzIV ach so super leben kann – die haben es doch so toll, die kriegen doch alles. Wenn ich das schon höre, geht mein Blutdruck in gefährliche Höhen. Von HartzIV war ich war nicht selbst betroffen, aber zwei Freundinnen und es war furchtbar. Dieses System ist eine Schande und gehört abgeschafft!!!

    Nach einem mies bezahlten Job ganz normal arbeitslos mit normal weiterlaufenden Kosten zu sein ist auch kein Spaß und sorgte dafür, daß ich mit einem Burn-Out und hoch verschuldet in der Klinik landete.

    Wie mag es da erst Alleinerziehenden gehen, Mini-Jobbern, Leuten, die mit mehreren Teilzeit-Jobs jonglieren, um über die Runden zu kommen?

    Im Rahmen meiner Möglichkeiten setze ich mich auch ein, aber meine Möglichkeiten sind gering – der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein. Aber mehrere Tropfen sind dann ja schon ein Rinnsal usw…

  3. Danke für Eure Kommentare! Ich konnte noch nie verstehen, wie manche denken können, man könne von Hartz4 „prima leben“. Schließlich sind die Regelsätze kein Geheimnis – wie kann man nur so ignorant sein!
    Überhaupt schockt mich der verbreitete Egoismus, der per „sozialen“ Medien besonders sichtbar wird immer wieder. Hauptsache ICH, mein Wohlstand über alles… seufz! Irgendwas ist da breitflächig schief gelaufen.

  4. Diese sinn- und haltlosen Phrasen werden doch von vielen gepflegt.

    O-Ton ist dabei immer, dass „man“ ja erst einmal etwas leisten muss und sich nur genügend abstrampeln muss, um es nach oben zu schaffen. Leistungsempfänger nach SGB II ebenso wie Asylbewerber usw. bekommen es ja in den Hintern geblasen, weil sie die sagenhaften Summen quasi für´s Nichtstun erhalten:-(

    Das dabei dank der „Reformen“ der letzten Jahrzehnte bereits viele trotz „Arbeit“ oder besser Beschäftigung kaum über die Runden kommen, wird ausgeblendet, weil es der Systemlogik widerspricht. Entscheidend ist dabei in erster Linie, dass jeder bis zur untersten Gesellschaftsschicht immer jemand hat, auf den er noch treten kann und sich dabei abhebt und zumindest besser „fühlt“. Dabei wird oft ausgeblendet, dass durch Krankheit, Verlust der Arbeit oder Überschuldung der Weg nach unten extrem kurz sein kann.

    Das widert mich dann auch immer so an, wenn dieselben Nasen von Solidarität faseln, die solche menschenunwürdigen Gesetze abgefasst haben, welche die „Kosten“ der Arbeit inklusive derer, die dafür als Reserve dienen sollen, so gering wie möglich halten mit all den bekannten Folgen.

    Weiter widert mich dann das Bullshit-Bingo der Begriffe an, die dafür erfunden wurden, weil man dann arbeitssuchend ist oder eine unterbrochene Erwerbsbiographie hat usw. Das ist genauso fies wie die versteckten Aussagen in Beurteilungen oder das Gelaber in Stellenanzeigen mit teamfähig usw., in denen aber oft genug nicht einmal die Art des Bezahlens enthalten ist oder mit „guten Verdienstmöglichkeiten“ eher vernebelt wird. Der beste Arbeiter ist ja sowieso der, welcher 150% der Arbeitszeit macht und das Geld zum Zahltag an die Unternehmen überweist.

    Armut sieht halt in D anders aus als in Ländern der Dritten Welt, ist deswegen aber genauso schlimm. Vieles wie diese Kampagne beginnt schon damit, dass „Arme“ überhaupt wahrgenommen werden, da sie sich meist selber unsichtbar machen, was deren gesellschaftliche Teilhabe unterdrückt und das sicher nicht ungewollt.

    @Menachem

    Den Behörden traue ich da wenig zu, denn die arbeiten ja nach Recht und Gesetz. Denkt auch an Inge Hannnemann und deren Aussagen aus den Jobcentern. Diese stehen selbst „im Wettbewerb“ und können ihre Bilanzen faktisch nur über Sanktionspraxis variieren mit den bekannten Folgen. Wobei es ja schon ein Unding ist, Menschen mit Bezügen am Existenzminimum diese noch zu kürzen.

    Aber es steht auch immer wieder ein Sprachrohr wie Sarrazin oder die BILD auf, die regelmäßig das Thema Sozialschmarotzer befeuern und dabei versehentlich vergessen, dass die Größten davon ihr Geld auf dem Buckel anderer oder als reines Buchgeld spekulativ vermehren und die Summen nur noch weiter vererben, aber niemals „verdienen“ können mit „Arbeit“.

  5. Seit fast drei Jahren gibt es das Blog „armgemacht“. Die Reichweite ist gering. Das Thema interessiert wenig. Es gibt kaum Blogs von armutsbetroffenen Menschen. Bloggen ist eher ein Mittelschichtphänomen.

  6. @A.Rmgemacht

    Danke für den Blog. Es deckt sich vieles mit meinen Erlebnissen/Erfahrungen.

    Mein bisher „schlimmstes Erlebnis“ war ein Obdachloser in der Bahnhofsunterführung im Winter. Nicht einer hielt es für nötig, dort zu helfen, weil er mit der Wodkaflasche am Rand quasi zusammengesackt ist – war halt in den Augen der meisten vermutlich nur ein besoffener Penner.

    Der gute Mann war bereits bleich wie eine Kalkwand und völlig unterkühlt. Ich habe ihn erstmal angesprochen und versucht wachzurütteln und so nebenbei die zum Glück vorhandene Bahnhofsmission und den Sani gerufen. Was da sonst hätte passieren können bei dem meist ohnehin nicht besonderen Gesundheitszustand von Obdachlosen und Armen, lasse ich mal im Raum stehen.

    Wer etwas achtsam durch seine Umwelt läuft, sieht viele solcher „Unsichtbaren“ und ich überlege schon lange, einmal eine Fotoreihe mit solchen Menschen zu machen. Viele möchten aber aus den genannten Gründen selber gar nicht präsent sein, das ist daher ein schwieriges Thema.

  7. Habe das Blog Armgemacht in die Blogroll aufgenommen. Dank Twitter bekommt das Thema derzeit etwas mehr aufmerksamkeit, wozu auch die „Smartmobs“ Armutsbetroffener beitragen.
    Ein Zeichen der allgemeinen Verdrängung und Diskriminierung ist übrigens auch das Wort, das hier – sinnvollerweise – etabliert wurde. Man spricht nicht mehr wie früher von den Armen, sondern von Armutsbetroffenen.