Leiden meiden, Freude suchen – so lebt und west der Mensch, wie schon Buddha feststellte. Dieses Streben hat etwas Absurdes, wenn man erkennt, dass die Freude, die Lust, das Vergnügen und all die Befriedigung, nach der wir streben, nur auf dem Hintergrund des Leidens, der Unlust, der Anstrengung existieren kann. Im Grunde funktioniert dieses Spiel nach dem Motto „wie schön, wenn der Schmerz nachlässt“ – OHNE den Schmerz gibt’s kein Verlangen, ihn zu vermeiden bzw. zu beenden. Wir brauchen ihn also, um etwas zu verändern, um „Verbesserungen“ zu wünschen und ins Werk zu setzen – ist das nicht verrückt?
Ich komme auf solche Gedanken, indem ich meine Bemühungen, mein Arbeitsleben zu verbessern, reflektiere. Im Weltmaßstab geht es mir ja ungeheuer gut, da lebe ich wie die fette Made im Speck, hab‘ übergenug zu essen, eine sichere und angenehme Wohnung, kann am sozialen Leben teilnehmen und um mich her herrscht soweit Friede, dass ich weder flüchten noch mich verteidigen muss. Millionen Menschen würden gerne mit mir tauschen. Warum bin ich also nicht entsprechend glücklich und zufrieden?
Der Zustand „glücklich und zufrieden“ ist keine „nachhaltige“ Seinsweise. Er blitzt nur kurz auf, wenn ein neues Niveau erreicht ist, doch bald schon wendet sich der suchende Verstand neuen Verbesserungsmöglichkeiten zu. Überlässt man sich diesem Mechanismus, befindet man sich in einer Tretmühle, in der viele Menschen ihr ganzes Leben zubringen – egal, auf welchem Level von Einkommen und Vermögen sie gerade strampeln.
Was ist Leiden? Was ist Freude? Ich kann nicht anders, als da sehr genau hinzusehen, wenn ich wissen will, ob und WOFÜR ich arbeite, bzw. „erfolgreicher“ arbeiten will. Was ist der angestrebte Erfolg? Wann bin ich angekommen?
Als ich vor einem Jahr noch von Monat zu Monat um den Nullpunkt des Kontos kreiste (rein in den Dispo, knapp wieder raus), fehlte mir eigentlich nichts. Dass ich den Zustand als unbefriedigend ansah, verdankte sich allein der SORGE, dass mal etwas den Verlauf stören könnte und ich „ohne Wiederkehr“ am Ende der Kreditlinie ankommen würde. Der Papierkram und Behörden-Umgang, der droht, wenn ich als Selbständige ALG 2 beantragen müsste, hat ausreichend abschreckende Wirkung, um mich in Bewegung zu versetzen. Leiden meiden, Freude suchen – ich wurde aktiver, rationalisierte meine vielfältigen Umtriebe, konzentrierte mich mehr aufs Geld verdienen, und schon bald hatte sich die „Standardsituation“ wieder deutlich verbessert. Und jetzt? Reicht es, den Dispo nicht mehr zu brauchen? Wohin will ich?
Spaß genügt nicht
Lange Jahre hatte es mir genügt, mich im „hier & jetzt“ gut zu fühlen: Freude finden in den Tätigkeiten selbst, zufrieden sein, wenn nichts nervt. Damit fühlte ich mich immerhin denen „überlegen“, die nach Vermögen, Sicherheit und teuren Urlauben streben und bereit sind, dafür Dinge zu tun, die keinen Spaß machen. Allerdings bemerkte ich dann doch, dass das „Spaß haben“ ein unstetes Motiv zum Tun ist. Erstens verlieren Dinge mit einsetzender Routine oft ihren „Spaß-Faktor“, zweitens kann ich an fast allem Spaß haben, voraus gesetzt ich schaffe es, mich richtig darauf einzulassen. Aber WAS motiviert mich, das zu tun?
Meine Arbeitswelt besteht aus verschiedenen Aktionsfeldern: Webdesign-Aufträge und Entwicklungsarbeiten für Kunden (Klinger-Webwork), themenzentrierte Schreibkurse, Bloggen gegen Honorar und die nonkommerziellen Webprojekte (Digidiary, Modersohn-Magazin, etc.). Daneben gibt’s einige Vorhaben, die ich zur Zeit noch nach hinten schiebe, wie etwa einen eigenen Mini-Shop oder die Bildkalender, die ich anbieten möchte. Mal „Gegenstände verkaufen“ statt immer neue Dienste leisten – das reizt mich lange schon.
Abenteuer Arbeit
Seit ein paar Wochen mache ich Sonntags einen Plan mit den Arbeiten der kommenden Woche. Das gibt mir einen guten Überblick über alles, was ich so tue und tun will, was ich davon schaffe und was ich verschiebe. Dem Wochenplan übergeordnet ist ein Papier mit den Aktionsfeldern und Vorhaben: da formuliere ich längerfristige Ziele, für mich ein recht neues Unterfangen! All das macht mir bewusst, wie irrational ich üblicherweise vor mich hin werkelte, fast ausschließlich motiviert von den vermeintlichen Notwendigkeiten des Augenblicks. Die Pläne zwingen mich dazu, den Blick vom „Aktuellen“ zu lösen und mir klar zu werden, was ich eigentlich will. Worin liegt echte Befriedigung???
Dass mich z.B. der Shop reizt, ist reine Abenteuerlust. Klar will ich da „schöne Dinge“ verkaufen, die mir selbst gefallen bzw. die ich irgendwie bemerkenswert finde, doch wesentlich an der Idee ist das Ausprobieren von etwas Neuem: Kann ich das? Kauft mir da tatsächlich jemand was ab??? Gelingt es mir, einen Shop zu kreieren, der anders aussieht als alles, was ich so kenne? Wird er den Leuten gefallen?? Wird es gelingen, den Frieden zu bewahren oder muss ich mich auf „Wildwest-Manieren“ einstellen? (=Betrüger, Abmahner etc.) Kann ich damit Geld verdienen oder wird es nur wieder eine neue Schiene für die kreative Selbstausbeutung?
Alsdenn: Abenteuerlust ist ein Motiv. Etwa aufbauen und schauen, ob es funktioniert – darauf fahre ich ziemlich ab! Es ist allerdings ein fast ausschließlich mentales Motiv, eine Form des Ehrgeizes, keine sinnlich spürbare Lust. Die Gestaltung des Ganzen ist immerhin „freudige Kreativ-Arbeit“: geeignet, sich im Flow des Tuns selbst zu vergessen – und mal nicht „im Auftrag“, sondern fürs eigene (kommerzielle!) Projekt.
Vom sinnlichen Genießen
Was gibt’s noch für Motive, die die Kraft zur Veränderung ergeben?? In der Reihe der möglichen Lüste, die das Leben bringen kann, drängt sich das „sinnliche Genießen“ als vermeintlich nahe liegende und einzig wahre Form in den Blick. Constantin Wecker hat jedoch nicht zu Unrecht gesungen: „Genießen war noch nie ein leichtes Spiel!“. Wer sich ums sinnliche Genießen zentriert, verfällt dem Spannungsfeld zwischen Ignoranz und Sucht: um überhaupt sinnlich genießen zu können, bedarf es der Fähigkeit, die Identifikation mit dem Strom der Gedanken zu lösen, was durch einfaches „Abschalten“ nicht zu leisten ist. Gelingt es aber doch, ist man schnell mit dem Faktor „Gewöhnung“ konfrontiert: was eben noch köstlich mundete, reizte, erregte, allerlei „Kicks“ vermittelte, schleift sich schnell ab und verlangt nach MEHR.
Wir sind nun mal nicht dafür geschaffen, in ruhigem Wohlbefinden zu ruhen – niemand hält zum Beispiel länger als 1,5 Stunden liebevolle Massage aus. Wer schöne Dinge um sich versammelt, sieht sie schon bald nicht mehr und wird leicht zum reinen Sammler, der sich am gänzlich unsinnlichen Fakt des Besitzens erfreut. „Anregende“ Stoffe und Drogen zeigen im Dauerkonsum schnell ihre dunkle Seite, und selbst so etwas Gesundes wie Sport kann zur Sucht werden: wie schön, wenn der Schmerz nachlässt!
Handeln mit Sinn
Es gibt noch eine weitere Freude, die mir ab und zu begegnet: ungeplant, unbedacht, einfach so. Das ist die tiefe Herzensfreude, wenn ich jemandem tatsächlich helfen kann. Nicht als „Gutmensch“, der hier und da was spendet oder Pfadfindermäßig zur Verfügung steht, sondern weil ganz zufällig irgend ein „Vermögen“ den wahren Bedarf eines Anderen trifft und das Geben ohne Denken statt findet. Die Freude entsteht nicht deshalb, weil ich dabei etwa „stolz auf mich“ wäre, im Gegenteil, es ist Dankbarkeit für die Gelegenheit, etwas zu tun, das die Welt WIRKLICH braucht: Spontanes Handeln mit Sinn – Holz hacken, Wasser holen, wie es im ZEN heißt.
Dieses Erleben würde ich gerne als Motiv fürs eigene Streben im Reich der Arbeit heran ziehen: mehr verdienen, mehr HABEN als Potenzial, mehr zu geben. Nicht bloß „horten und sichern“, sondern die zunehmende Handlungsfreiheit, die mit „mehr Geld“ verbunden ist, sinnvoll einsetzen – ob ich das in diesem Leben noch schaffe?
Schau’n wir mal!
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7 Kommentare zu „Wofür arbeiten? Die Suche nach der Freude“.