Als ich um die 18 war, gab‘ es gerade einen richtigen Hype um LSD, die neue, spektakulär bewusstseinsverändernde Droge jener wilden Jahre. Timothy Leary meinte, man solle es am besten überall ins Trinkwasser schütten, dann würden alle glücklich und könnten einander liebevoll begegnen: vorbei mit Krieg und Interessenkonflikt, Schluss mit Nachbarschaftsstreit und Beziehungsknatsch, Ende aller Angst und nur noch Friede, Freude, Liebe, Glück!
Als ich es dann selber ausprobierte, wusste ich, dass das keine gute Idee war. Denn wie soll eine Wirtschaft und Gesellschaft funktionieren, wenn die Leute vor jedem bunten Blatt und jeder interessant strukturierten Wand staunend verharren und sich selbst vergessen? Und zwar nicht in jenem übertragenen Sinne, der unter Spirituellen als „Befreiung vom Ego“ gerühmt wird, sondern ganz buchstäblich: nicht mehr wissen, dass eine Hand zum Greifen da ist und dass man da unten irgendwo auch Beine zum Laufen hat. Verklärt lächelnd schwelgt der Blick in wild bewegten Farben und Formen, doch jede Fliege kann leicht zum Monster werden und der Trip zum gar nicht „sprichwörtlichen“ Horror-Trip.
Vom ganz realen Wahnsinn
Heute kommt mir vieles in dieser Welt als ein mutwillig veranstalteter Horror-Trip vor. Noch habe ich Glück und sitze betrachtend am Rande, leide weder Hunger noch Durst, erlebe keinen „ungesunden Stress“ und nutze die Freiheit, mich ausschließlich mit angenehmen Mitmenschen zu umgeben. Da ich mich aber nicht dazu durchringen kann, Nachrichten einfach zu vermeiden, sondern im Gegenteil täglich in vielen Quellen lese, was so alles stattfindet, komme ich nicht daran vorbei, zu bemerken, wie die Verrücktheit um sich greift. Ganze Gesellschaften scheinen wahnsinnig zu werden, depressiv, voller Angst und gleichzeitig extrem aggressiv gegen „Abweichler“.
Die USA, die einst für Freiheit als obersten Wert standen, haben sich in ein enges Korsett aus Null-Toleranz-Gesetzen eingesponnen, das sogar 6-jährige Grundschüler aussortiert, die es wagen, ein Campingbesteck in die Schule mitzubringen. In England muss sich künftig jeder, der Kontakt mit Kindern hat, bei einer eigens geschaffenen Behörde (ISA) registrieren lassen. Wer sich weigert, riskiert 5000 Pfund Geldstrafe und die Eintragung ins Strafregister. 200 Beamte erstellen „Risikoprofile“ der Registrierten und können den Umgang mit Kindern untersagen, sofern die Person nicht ganz stromlinienförmig lebt: „Schwere emotionale Einsamkeit“ etwa, eine „impulsive, chaotische und instabile Lebensführung“ oder die Verwendung berauschender Substanzen zur Bekämpfung von Stress können demnach Alarmsignale auslösen. Das Glas Rotwein nach einem harten Tag, so scheint es, birgt das Risiko, als Kinderschänder abgestempelt zu werden.“ (SZ)
Hierzulande schreitet man mit großen Schritten auf den totalen Überwachungsstaat zu, denn offenbar ist die große Mehrheit bereit, jegliche Privatheit und persönliche Freiheit einer vermeintlichen „Sicherheit“ zu opfern, von der uns fortwährend berichtet wird, wie sehr sie in Gefahr sei. Auch um die Gesundheit sollen wir uns gefälligst sorgen und uns massenhaft gegen eine „Schweinegrippe“ impfen lassen, die in aller Regel weit harmloser verläuft als die jährliche Wintergrippe.
Stress und Hetze, wohin man schaut
Gar nicht harmlos ist allerdings der immer weiter verschärfte Stress in der Arbeitswelt, dem sich alle widerstandslos unterwerfen, um nicht ins Nichts abzurutschen, wo die bösen faulen Arbeitslosen und Sozialschmarotzer ihr ARGEs Fegefeuer-Leben fristen. Anstatt gemeinsam Missstände zu bekämpfen, flieht man auseinander in hübsch abgegrenzte gut bewachte Wohnbezirke einerseits und präventiv observierte „soziale Brennpunkte“ andrerseits. Besser Verdienende und Noch-Mittelständler rauben ihren Kindern die Kindheit und pfropfen sie ab Kita-Alter mit Wissen voll, Gymnasiasten werden zu 34-Schulstunden-Wochen plus Hausaufgaben gezwungen, um in 8 Jahren einen viel zu umfangreichen Lehrplan zu bewältigen. Und alle, die damit Probleme haben, bekommen Ritalin & Co. oder werden – wenn das auch nicht hilft – einfach aussortiert.
Gestern im TV, Thema „Rente mit 67“: Ein Trupp Bauarbeiter wird in schwindelnder Höhe beim Herumwuchten und Aufstapeln von Dachschindeln gezeigt, der Älteste ist knapp über 50 und hat schon Probleme, „bei dem Stress mitzuhalten“. Verdammt nochmal, warum muss denn überall so eine Hetze sein? Warum wird auf dem Bau zunehmend nachts gearbeitet? Egal was für Gewerke und Produkte da allüberall entstehen: meist sind es nicht unbedingt lebenswichtige Dinge und man sollte denken, es sei recht egal, ob das Dach ein wenig früher oder später fertig wird. Ist es aber nicht, denn wir haben uns eine Welt erschaffen, in der jede Minute zählt und in der es kaum noch darauf ankommt, wie WICHTIG eine Arbeit mit Blick aufs Ganze ist, sondern einzig darum, den Verwertungsprozess zu beschleunigen.
Krankmeldungen wegen psychischer Störungen haben seit der Jahrtausendwende massiv zugenommen. Das zeigt immerhin, das die Menschen noch nicht komplett zu Robotern geworden sind, sondern in all diesem sinnlosen Stress an ihre Grenzen geraten. Leider erwächst aus solchen Fakten keinerlei Solidarisierung oder gar gemeinsamer Widerstand: jeder ist dazu erzogen, alles als perönliches Versagen anzusehen, nicht etwa als Fehlentwicklung im Betrieb, gar im System. Wir reißen uns ein Bein aus und eifern hirnlos dem amerikanischen „Hard Working“ nach, das da drüben lange schon als einzige Legitimation zum Mitleben gilt: wer mit zwei Niedriglohn-Jobs nicht rum kommt, braucht halt einen dritten!
Jeder für sich und alle gegen die Schwachen
Wer nicht depressiv wird, wird zunehmend aggressiv: gegen Schwache, Arbeitslose, Immigranten und alle, die nicht wie ein gut geöltes Rädchen im Getriebe funktionieren. Eine Stimmung, die der Staat gerne nutzt: 20.000 Roma, die seit vielen Jahren hier leben, sollen jetzt in den Kosovo abgeschoben werden, wo ihnen weitere Verfolgung droht und die Lebensverhältnisse keinerlei Perspektive bieten (100% arbeitslose Roma schon jetzt!). Hessen und Niedersachsen haben bereits mit dem Abschieben angefangen, doch auch lange integrierte Minderheiten wie die Berliner Türken sind wieder mal mediale Opfer neuer Feindseligkeiten, die sich unter dem Schutz der Anonymität derzeit aufs Widerlichste in den Kommentarbereichen vieler Medien austobt. (Ich leugne nicht die Probleme, es kotzt mich nur der Umgang damit an!)
Angesichts der restriktiven Einwanderungspolitik, die sich an Europas Grenzen in all ihrer menschenverachtenden Art und Weise zeigt, frage ich mich immer mal wieder: wie gedenkt man eigentlich mit der langsam aber sicher zur Greisenrepublik tendierenden Bevölkerungsentwicklung umzugehen? Es wäre doch das nahe liegendste Mittel der Wahl, aktive und engagierte Menschen aus aller Welt einzuladen und sie entsprechend zu fördern und zu bilden – anstatt ihre Boote im Mittelmeer kentern zu lassen und Kapitäne wegen Flüchtlingsrettung vor Gericht zu stellen.
Wird die Welt immer wahnsinniger? Oder ist es mein eigenes Altern, das mich die Dinge als komplett irre geworden ansehen lässt? Das werde ich nie wissen, doch anders als Timothy Leary würde ich heute kein LSD fürs Trinkwasser empfehlen, sondern eher ein Beruhigungsmittel, kombiniert mit einem Stimmungsaufheller. Die Ausbringung in sämtliche städtischen Trinkwasserversorgungen und Flüsse könnte von der WHO organisiert werden, die sich jetzt so erfolgreich um die Schweinegrippe kümmert. Alle wären friedlich, ein bisschen schlaff, aber bei bester Laune – und die Pharmaindustrie hätte auch wieder was davon!
Warum eigentlich nicht?
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7 Kommentare zu „Tranquilizer für die Menschheit ?“.