„Der Hass und die Bereitschaft zum Krieg und zur Feindbildproduktion ist tief verwurzelt in der Menschheit, gerade in Zeiten großer Krisen und existentieller Ängste. Heute aber gilt: Wer die Welt wirklich retten will, diesen kostbaren einzigartigen wunderbaren Planenten, der muss den Hass und den Krieg gründlich verlernen. Wir haben nur diese eine Zukunftsoption.“
Das schreibt Antje Vollmer in ihrem Vermächtnis einer Pazifistin: „Was ich noch zu sagen hätte“ in der Berliner Zeitung.
Was stattfindet, ist das genaue Gegenteil. Auf Twitter trendet das Hashtag „Friedensschwurbler“ – für mich das krasse Zeichen, dass die Debatte auf ihrem Tiefpunkt angekommen ist. Es gibt nur noch „kriegsgeile Bellizisten“ und „Friedensschwurbler“ – eine abwägende, differenzierende Position dazwischen scheint unmöglich geworden.
Heute demonstrieren Wagenknecht und Schwarzer, sowie alle, die deren „Manifest“ unterzeichnet haben und es nach Berlin schaffen, für einen Waffenstillstand – in Grund und Boden gebasht vom medialen Großkonzert, dass sie alle als Putinknechte und eben „Friedenschwurbler“ diffamiert. Ich finde das Manifest auch nicht gut, aber die Art und Weise, wie z.B. Sascha Lobo die Initiatorinnen in die Tonne tritt, ihnen lediglich persönliche Genervtheit von den Kriegsfolgen unterstellt, ist mindestens ebenso daneben.
Vor der russischen Botschaft haben Enno Lenze und andere Aktivisten ein Panzerwrack aufgestellt – hier seine Story dazu. Der Bezirk Mitte hat versucht, das zu verhindern, doch letztlich entschied ein Gericht, dass der Panzer zwei Wochen als „Kunst im Stadtraum“ dort stehen darf. Klar, Kunst darf (fast) alles, nur vermittelt sich mir durch diese Aktion keine vernünftige Botschaft. Aber das ist ja auch nicht intendiert, es geht wohl eher darum, Hassgefühle zu demonstrieren.
Hass ist verständlich angesichts der russischen Verbrechen in der Ukraine, aber nie und nimmer entsteht daraus ein Weg in Richtung Frieden. Die von der ukrainischen Seite ebenso nachvollziehbare Forderung nach einem vollständigen Rückzug der russischen Arme vom gesamten Staatsgebiet einschließlich der Krim als Voraussetzung für Verhandlungen ist ebenso illusorisch wie das Vorhaben Putins, die Ukraine einer Art Großrussland einzuverleiben und einen „Diktatfrieden“ zu erzwingen. Wenn irgendwann verhandelt wird, werden beide Seiten mit ihren Maximalforderungen nicht durchkommen, es wird Kompromisse geben müssen, die die Interessen beider Seiten beachten.
Das bedeutet, dass in der Debatte über mögliche Wege zum Frieden die Vorgeschichte des Kriegs eine Rolle spielen muss, ohne dass die Erzähler/innen dieser Geschichte (z.B.Vollmer, Fabio de Masi) gleich als „Friedensschwurbler“ gebasht werden, die lediglich Putins Interessen dienen. Diese Geschichte mag umstritten sein, aber man muss sie besprechen können, weil sie nun einmal stattgefunden hat und man damit umgehen muss, um dem Frieden näher zu kommen.
Sind Gespräche über Verhandlungsoptionen gefährlich?
Von einigen werden solche Überlegungen als „gefährlich“ gebrandmarkt, weil sie Putin Hoffnung machen könnten, dass im Westen „die Stimmung kippen“ könnte. Ich sehe derzeit nicht, dass das eine begründete Hoffnung ist, denn trotz der 640.000 Unterzeichnerinnen (Stand jetzt) steht die große Mehrheit weiter hinter den Waffenlieferungen und zur Unterstützung der Ukraine.
Nimmt man das Argument aber mal als stimmig an, verweist das auf eine Schwäche der Demokratien: Hierzulande wird die Öffentlichkeit nicht unterdrückt, man darf gegen das Regierungshandeln sein und das auch laut sagen, ohne staatliche Repressionen bis hin zu Gefängnis und Folter fürchten zu müssen wie in Autokratien und Diktaturen á la Russland und Iran. Weder das Internet noch einzelne soziale Medien werden abgeschaltet, um unliebsame Meinungen nicht zu Wort kommen zu lassen. Es kann sich also für die Diktatoren lohnen, in die Meinungsbildung einzugreifen, um den Westen zu „destabilisieren“, während sie ihre Bevölkerung von jeglicher Beeinflussung von außen abschirmen. Dennoch sind nicht alle gleich „Putintrolle“, die in eine andere Richtung denken als der „Mainstream“. Wenn das Reden über Verhandlungsoptionen unter Denk- und Sprechverbot fallen sollte, verraten wir gerade jene Europäischen Werte, für die die Ukrainer laut herrschender Meinung kämpfen.
Persönlich sehe ich derzeit wenig Chancen auf Verhandlungen, denn noch glauben beide Seiten, sie könnten gewinnen. Solange das so ist, wird der Krieg weiter gehen mit all seinen schrecklichen Folgen und auch MIT der Gefahr einer Eskalation. Der weitere Verlauf wird zeigen, ob dieser Glaube auf einer oder beiden Seiten erschüttert wird – durch Gelände-Gewinne und Verluste, durch Erschöpfung der Ressourcen, kippende Stimmungen oder den bisher leider ausgebliebenen inneren Verfall der Putin-Front.
Wie ätzend, dass ich einen solchen Diary-Artikel nicht mit einem hoffnungsvolleren Ausblick beenden kann! Immerhin kann ich mich (noch!) zeitweise „vom Thema abwenden“ – ein Privileg, dass die geschundenen Ukrainier nicht haben, ebenso wenig wie die russischen Soldaten, die für Putins Angriffskrieg sterben.
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12 Kommentare zu „Am Tiefpunkt: #Friedensschwurbler“.