Claudia am 25. Februar 2023 —

Am Tiefpunkt: #Friedensschwurbler

„Der Hass und die Bereitschaft zum Krieg und zur Feindbildproduktion ist tief verwurzelt in der Menschheit, gerade in Zeiten großer Krisen und existentieller Ängste. Heute aber gilt: Wer die Welt wirklich retten will, diesen kostbaren einzigartigen wunderbaren Planenten, der muss den Hass und den Krieg gründlich verlernen. Wir haben nur diese eine Zukunftsoption.“

Das schreibt Antje Vollmer in ihrem Vermächtnis einer Pazifistin: „Was ich noch zu sagen hätte“ in der Berliner Zeitung.

Was stattfindet, ist das genaue Gegenteil. Auf Twitter trendet das Hashtag „Friedensschwurbler“ – für mich das krasse Zeichen, dass die Debatte auf ihrem Tiefpunkt angekommen ist. Es gibt nur noch „kriegsgeile Bellizisten“ und „Friedensschwurbler“ – eine abwägende, differenzierende Position dazwischen scheint unmöglich geworden.

Heute demonstrieren Wagenknecht und Schwarzer, sowie alle, die deren „Manifest“ unterzeichnet haben und es nach Berlin schaffen, für einen Waffenstillstand – in Grund und Boden gebasht vom medialen Großkonzert, dass sie alle als Putinknechte und eben „Friedenschwurbler“ diffamiert. Ich finde das Manifest auch nicht gut, aber die Art und Weise, wie z.B. Sascha Lobo die Initiatorinnen in die Tonne tritt, ihnen lediglich persönliche Genervtheit von den Kriegsfolgen unterstellt, ist mindestens ebenso daneben.

Vor der russischen Botschaft haben Enno Lenze und andere Aktivisten ein Panzerwrack aufgestellt – hier seine Story dazu. Der Bezirk Mitte hat versucht, das zu verhindern, doch letztlich entschied ein Gericht, dass der Panzer zwei Wochen als „Kunst im Stadtraum“ dort stehen darf. Klar, Kunst darf (fast) alles, nur vermittelt sich mir durch diese Aktion keine vernünftige Botschaft. Aber das ist ja auch nicht intendiert, es geht wohl eher darum, Hassgefühle zu demonstrieren.

Hass ist verständlich angesichts der russischen Verbrechen in der Ukraine, aber nie und nimmer entsteht daraus ein Weg in Richtung Frieden. Die von der ukrainischen Seite ebenso nachvollziehbare Forderung nach einem vollständigen Rückzug der russischen Arme vom gesamten Staatsgebiet einschließlich der Krim als Voraussetzung für Verhandlungen ist ebenso illusorisch wie das Vorhaben Putins, die Ukraine einer Art Großrussland einzuverleiben und einen „Diktatfrieden“ zu erzwingen. Wenn irgendwann verhandelt wird, werden beide Seiten mit ihren Maximalforderungen nicht durchkommen, es wird Kompromisse geben müssen, die die Interessen beider Seiten beachten.

Das bedeutet, dass in der Debatte über mögliche Wege zum Frieden die Vorgeschichte des Kriegs eine Rolle spielen muss, ohne dass die Erzähler/innen dieser Geschichte (z.B.Vollmer, Fabio de Masi) gleich als „Friedensschwurbler“ gebasht werden, die lediglich Putins Interessen dienen. Diese Geschichte mag umstritten sein, aber man muss sie besprechen können, weil sie nun einmal stattgefunden hat und man damit umgehen muss, um dem Frieden näher zu kommen.

Sind Gespräche über Verhandlungsoptionen gefährlich?

Von einigen werden solche Überlegungen als „gefährlich“ gebrandmarkt, weil sie Putin Hoffnung machen könnten, dass im Westen „die Stimmung kippen“ könnte. Ich sehe derzeit nicht, dass das eine begründete Hoffnung ist, denn trotz der 640.000 Unterzeichnerinnen (Stand jetzt) steht die große Mehrheit weiter hinter den Waffenlieferungen und zur Unterstützung der Ukraine.

Nimmt man das Argument aber mal als stimmig an, verweist das auf eine Schwäche der Demokratien: Hierzulande wird die Öffentlichkeit nicht unterdrückt, man darf gegen das Regierungshandeln sein und das auch laut sagen, ohne staatliche Repressionen bis hin zu Gefängnis und Folter fürchten zu müssen wie in Autokratien und Diktaturen á la Russland und Iran. Weder das Internet noch einzelne soziale Medien werden abgeschaltet, um unliebsame Meinungen nicht zu Wort kommen zu lassen. Es kann sich also für die Diktatoren lohnen, in die Meinungsbildung einzugreifen, um den Westen zu „destabilisieren“, während sie ihre Bevölkerung von jeglicher Beeinflussung von außen abschirmen. Dennoch sind nicht alle gleich „Putintrolle“, die in eine andere Richtung denken als der „Mainstream“. Wenn das Reden über Verhandlungsoptionen unter Denk- und Sprechverbot fallen sollte, verraten wir gerade jene Europäischen Werte, für die die Ukrainer laut herrschender Meinung kämpfen.

Persönlich sehe ich derzeit wenig Chancen auf Verhandlungen, denn noch glauben beide Seiten, sie könnten gewinnen. Solange das so ist, wird der Krieg weiter gehen mit all seinen schrecklichen Folgen und auch MIT der Gefahr einer Eskalation. Der weitere Verlauf wird zeigen, ob dieser Glaube auf einer oder beiden Seiten erschüttert wird – durch Gelände-Gewinne und Verluste, durch Erschöpfung der Ressourcen, kippende Stimmungen oder den bisher leider ausgebliebenen inneren Verfall der Putin-Front.

Wie ätzend, dass ich einen solchen Diary-Artikel nicht mit einem hoffnungsvolleren Ausblick beenden kann! Immerhin kann ich mich (noch!) zeitweise „vom Thema abwenden“ – ein Privileg, dass die geschundenen Ukrainier nicht haben, ebenso wenig wie die russischen Soldaten, die für Putins Angriffskrieg sterben.

 

 

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Diskussion

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12 Kommentare zu „Am Tiefpunkt: #Friedensschwurbler“.

  1. Wir gehen immer schlechter miteinander um. Debatten gibt es fast keine mehr. Gegenseitige Beleidigungen und vor allem moralische Überheblichkeit dominieren. Nachdem ich Sascha Lobos Artikel gelesen habe, nahm ich mir die Leserbriefe vor. Ich hatte nichts anderes erwartet. Die meisten frohlockten über den Text Lobos und lobten diesen gar als besten, den dieser Irokese je geschrieben habe. Für mich war er nur die Bestätigung, wie gewisse Leute heute mit anderen Meinung umgehen und sie negativ für ihre Zwecke nutzen.

    Es ist wahr. Wir können uns von diesem Mist abwenden. Die Ukrainer können es nicht. Sie sind der Gewalt von Putins unmenschlichen Kriegern ausgesetzt, jeden Tag, jede Stunde. Ob sich mit so etwas wie dem Manifest für den Frieden etwas erreichen lässt? Jedenfalls haben es eine Menge hochanständiger, gebildeter Menschen unterschrieben. Sie setzen sich für Frieden ein, der aus ihrer Sicht eben nicht mit „mehr Waffen“ erreichbar ist. Ich verstehe die Position und teile sie manchmal, manchmal aber auch nicht. Immerhin gebe ich es zu und ja, die Gründe haben auch mit Angst zu tun (von mir aus German Angst). Ist mir doch egal, wer auf mich einprügelt, weil ich nicht ein so klares Meinungsbild besitze wie solche Typen, von denen dieser Lobo ja immer einer ist. Der weiß immer ganz genau, was Sache ist.

    Da bewahre ich mir lieber meine Naivität, als mich mit solchen Leuten gemein zu machen. Dann lieber mit der Band „Berge“ die mal folgendes geschrieben hat:

    Denn wir haben die Wahl
    Die ganze Wut und all die Ängste abzulegen
    Unsere Feinde zu umarmen
    Und uns selber zu vergeben

    Lasst uns zusammenführen, was längst zusammengehört
    Und nie wieder wegsehen, sondern voneinander lernen
    Und wenn es das Letzte ist in dieser kalten harten Zeit
    Ich bleib‘ weich

    Ich entscheid‘ mich für die Liebe
    Und für die Menschlichkeit
    Denn nur wer nicht geliebt wird
    Hört auf, ein Mensch zu sein
    Ich entscheid‘ mich für den Frieden
    Und ich hör‘ immer auf mein Herz
    Wir sollten anfangen, uns zu lieben
    Ich weiß genau, wir sind es wert

    Bisschen Naivität kann manchmal helfen. Zumindest auf der emotionalen Ebene. Anke Vollmer hat recht, auch wenn sie eigentlich ein anderes Ziel vor Augen hat, das so wie es gerade läuft, weiter entfernt ist denn je. Der dringend aufzunehmende Kampf der Menschheit gegen die Klimaerwärmung findet wohl nie statt. Wir haben Wichtigeres zu tun. Schmidt, der alte Helmut, hat mal in einem seiner Interviews davon gesprochen, dass er nicht verstehe, dass zwar der Klimawandel in unserer Öffentlichkeit eine zunehmende Bedeutung erhalte, die Überbevölkerung des Planeten jedoch seltsamerweise keine Rolle spielen würde. Genau darüber muss auch dringend nachgedacht werden.

  2. Als „Kriegsherr“ kann man das, was derzeit in der Bundesrepublik medial hochkocht und von einer breiten Masse der Bevölkerung mitgetragen wird, nur freudig zur Kenntnis nehmen. Die Junge Union entblödet sich nicht, sogar eine Unterschriftenaktion gegen Friedensaktivisten zu initiieren.

    https://www.spiegel.de/politik/deutschland/junge-union-und-junge-liberale-politiker-sammeln-unterschriften-gegen-wagenknecht-und-co-a-0677d458-e152-4d53-95d7-45b894a437f5

    Kriegsparolen und Anleihen an die Sprache der Nationalsozialisten sind inzwischen wieder gesellschaftsfähig. Dabei geht es nicht darum, Waffen zu liefern oder nicht. Natürlich kann sich die Bundesrepublik nicht erlauben, als einziges Land keine Waffen zu liefern, aber das ist nicht Kern der Debatte. Die Deutschen sind wieder wer. Wir debattieren über Militarismus und Kampfeinsätze, einige fordern den „totalen Sieg“ und die Vernichtung Russlands. Von Deutschland wird eine Führungsrolle erwartet, wir sollen und wollen „Führungsmacht“ werden. https://www.morgenpost.de/politik/article236623825/ukraine-krieg-scholz-deutschlands-fuehrungmacht.html

    Vielleicht sollte man die Bürgerinnen und Bürger in der Ukraine und in Russland mal fragen, ob sie auch so kriegsfreudig sind wie einige Bundesbürger.

    Natürlich muss verhandelt werden, wie sollte es sonst zu Frieden kommen? Selenskyj hat allerdings sehr früh Verhandlungen mit Putin per Dekret verboten.

    https://www.tagesspiegel.de/politik/per-dekret-von-selenskyj-ukraine-verbietet-gesprache-mit-putin-8711455.html

    Der Krieg hat sich zu einem Abnutzungskrieg entwickelt, wie General Vad vor ein paar Wochen bereits mutmaßte. D.h. es gibt von beiden Seiten immer wieder Durchbrüche, allerdings ohne Geländegewinn. Euphemistisch sagt man wohl Materialschlacht; tausende Soldaten und Zivilisten krepieren elend im Dreck, trifft es wohl besser.

    Das Problem bei Sofakriegern wie Baerbock, Hofreiter, Strack-Zimmermann und anderen ist die vermeintlich moralische Überlegenheit, die sie glauben zu haben. Auf den ersten Blick mag das zutreffen. Was allerdings in Vergessenheit gerät ist die Tatsache, dass der Krieg keinerlei Moral kennt. Wir nähren eine Hydra des Bösen, die mit unvorstellbarer Grausamkeit alles vernichtet.

  3. Hätte auch nicht damit gerechnet, dass ich die Position von Antje mehr als nur teile.

    Das Manifest mag zwar optimierbar sein, der Rest hingegen nur, wenn die Welt halbwegs erhalten bleibt.

    Die Petition habe ich indes mitgezeichnet. Das ist zwar Symbolpolitik galore, aber irgendwo muss man ja anfangen.

    Es ist leider so, dass man dann mit den Putinverstehern in einen Topf geworfen wird, was aber eher damit zu tun hat, dass es im Diskursrahmen nicht vorkommen darf, dass man beide Seiten nicht besonders toll findet

    Zu blöd, dass man gezwungen ist, die narzisstische Systeme zu bedienen, die man sonst bemängelt.
    Micromanagement oder die Politik der kleinen Schritte ist jedoch in Krisenzeiten unausweichlich.

    Nebenbei bemerkt: Der Krieg im Jemen hat bisher noch viel mehr Tote produziert. Ein Jemenit bekommt hier aber nicht Bürgergeld. Die Erdbebengeschädigten aus der Türkei sicher auch nicht.

    Die Probleme gehen ja über den Ukrainekrieg hinaus..
    Allein was das bedingungslose Waffengescühiebe in Krisengebiete angeht, wurde nun die Büchse der Pandora komplett geöffnet. Da kann man dann die Liste beliebig verlängern.
    Auch das man Vermögenswerte plötzlich beliebig konfiszieren kann, entbehrt jeder Rechtsstaatlichkeit.

  4. @Peter Lohren Dein Beitrag ist genau das, was ich in Claudias „eine abwägende, differenzierende Position dazwischen scheint unmöglich geworden.“ lese. In seiner Einseitigkeit und Wortwahl nur schwer zu ertragen.

  5. @Behan: So kann jeder seine Meinung äußern – sogar anonym.

  6. @alle: vielen Dank für Eure Kommentare! Derzeit traut man sich ja vielerorts wirklich nicht mehr, zu diesem Großthema Stellung zu beziehen!

    @Peter: So schlimm fand ich Peters Meinung jetzt nicht, wenn auch tatsächlich etwas einseitig und in mancher Wortwahl etwas harsch – aber so ist das nun mal, wenn man sich aufregt über das, was sonstwo gesagt, geschrieben und gemacht wird – Ausgewogenheit erwarte ich da nicht, jedenfalls nicht in einem Diary-Kommentar.

    @Behan: Dass Scholz sich danach drängt, DE zur Führungsmacht zu machen, sehe ich nicht, er wurde und wird ja eher wegen Zögern und Zaudern gescholten. Womit er nahe an der Mehrheit der Bevölkerung ist, die das auch nicht will. Es ist eher etwas, das uns von anderen aufgedrängt werden soll, was aber nicht so einfach ist bei einem Land, das gelernt hat, wie schief das schon einmal gegangen ist!

    Was die Stimmung in der Ukraine angeht, scheinst Du mit deinen Annahmen falsch zu liegen. Da hat eine aktuelle Umfrage gerade recht erschreckende Ergebnisse gebracht, die zunächst der Tagesspiegel berichtete, wo ich es grade nicht finde, deshalb hier:

    Mehrheit der Ukrainer würde trotzt Atomschlag weiterkämpfen wollen

    „Neun von zehn Befragten sprachen sich dafür aus, dass die Ukraine beim Einsatz einer taktischen Atomwaffe über dem Schwarzen Meer weiterkämpfen solle. Eine nahezu identische Mehrheit war der Meinung, man solle auch dann weiterkämpfen, wenn Russland einen nuklearen Schlag auf eine ukrainische Stadt ausführen sollte. Lediglich sechs Prozent sprachen sich in einem solchen Fall für die Kapitulation aus. Ganze 95 Prozent sind dafür, dass die Ukraine weiterkämpften solle, wenn Russland die konventionelle Bombardierung ukrainischer Städte fortsetze.“

    Zur Umfrage selbst fand ich noch diesen Link der Verfasser – es gibt gewiss viele Ansätze, die Stimmigkeit dieser Befragung von 1000 Leuten anzuzweifeln.

    Dass ausgerechnet die GRÜNEN so vorn dran sind beim kriegerischen Wording, irritiert mich auch.

  7. Was ist denn an den Ergebnissen erschreckend? Dass die Ukrainer zum weitaus größten Teil in Freiheit leben wollen? Dass sie im Gegensatz zu anscheinend vielen im Westen, die Vorstellung in Russland unter Putin eingemeindet zu werden, nicht allzu erstrebenswert finden?

  8. @Behan: nein, DAS ist nicht erschreckend. Aber die Verbindung mit „auch nach Atomschlag“ hat mich schon erschreckt! (Nach Einsatz von Atombomben gegen Japan hat da niemand mehr weiter kämpfen wollen…)
    Ich zweifle aber auch an, dass bei einer solchen Umfrage ehrlich geantwortet wird. Selbstverständlich wird unbrechbarer Kampfwille gezeigt, wenn so ein West-Unternehmen daher kommt und dazu befragt.

  9. Putin würde niemals eine taktische Atomwaffe einsetzen. Und warum sollten die Ukrainer aufhören zu kämpfen, wenn Putin eine Atomwaffe über einer Stadt oder einem besrimmten Gebiet einsetzt? Sterben tun sie doch jetzt auch schon. Zynisch? Nein, Realität und zwar jeden Tag. Und nein, die russischen Soldaten tun mir nicht halb so leid wie die ukrainischen. Ganz zu schweigen von den toten, vergewaltigten und deportierten Zivilisten.

    Putin weiß, das wäre sein Ende. Aber keinesfalls das der Ukraine. Es gehört zu seinem Propagandarepertoire und seiner Kriegsrhetorik, immer wieder mal das Thema aufploppen zu lassen entweder in eigenen Reden oder durch Medwedew. Aber selbst sein Freund Xi hat ihm mittlerweile mitgeteilt, dass nicht nur der Einsatz, sondern allein schon die Drohung damit nicht akzeptabel ist.

    Mich erschreckt vielmehr, dass er immer mal wieder mit Atomwaffen drohen darf und es im Westen immer noch Leute gibt, die meinen, mit ihm ernsthaft verhandeln zu können, ihn irgendwie besänftigen zu müssen und zu können (hat Merkel jahrelang versucht), Verständnis für seinen Krieg in der Ukraine haben, weil die Ukraine und der Westen ihm ja keine Wahl gelassen hätten und wie viele Leute auf die erschreckend plumpe Propaganda bestehend aus Polemik, Lügen, anti-amerikanischen Ressentiments und antiwestlicher Zivilisationskritik hereinfallen. Diese Borniertheit und Ignoranz schockiert und erschreckt mich.

    Erlaube mir einen längeren Twitter Rant der russischen Journalistin Olga Beschlej angesichts Putins Rede zur Mobilmachung zu posten. Zu finden hier: https://www.dekoder.org/de/article/beschlej-mobilmachung-verdrehung-luege

    Eine Seite, die ich nur jedem empfehlen kann.

    „Die gesamte Rede Putins ist reinstes Gaslighting und psychische Gewalt den Bürgern Russlands gegenüber. Ich träume von dem Tag, an dem die Menschen kapieren, WIE sie betrogen wurden und WIE DOLL man sie belogen hat und dass sie und das ganze Land die letzten zehn Jahre in der ausgedachten Realität und dem nicht existierenden Imperium eines gekränkten Mannes gelebt habenn.

    Er verdreht einfach alles, aber auch wirklich alles: Er war es, er und seine Regierung haben alles dafür getan, dass die NATO an die Grenzen Russlands kam, dass die Ukraine GEZWUNGEN war sich zu verteidigen, dass der Westen Waffen an die Ukraine lieferte, denn er hat einen Krieg losgetreten und schreckte alle mit Drohungen. Und absolut all seine aggressiven Handlungen schreibt er anderen zu! Das ist unerträglich anzuschauen und zu lesen.

    Und es ist unerträglich, dass Menschen das glauben, denn es nicht zu glauben, macht Angst. In welche verfickte Zeit sind wir hineingeraten! Die Lüge vergiftet und zermalmt den Menschen doch förmlich das Hirn.“

    Man beachte, dass sie über Russen schreibt, die wesentlich weniger Möglichkeiten haben, sich zu informieren und geradezu dazu gezwungen werden, das zu glauben. Bei uns tun das einige freiwillig und schreiben „Friedensmanifeste“.

  10. @Behan: Dass Putin lügt, dass sich die Balken biegen, ist sonnenklar! Nicht bekannt ist, inwieweit er seine Verlautbarungen selber glaubt. Seit Jahren hat er sich hinein gesteigert in dieses großrussische, nationalistisch und religiös unterlegte Narrativ – und auch entsprechend gehandelt. Dass „die Ukraine ihm keine Wahl gelassen hätte“, vertreten aber nur recht wenige – und eher nicht die hier Kommentierenden. Dass er die Russen gegen Infos von außen abschottet und jegliche Proteste aufs Übelste unterdrückt, hatte ich geschrieben!

    Zu den aktuellen Chancen von Verhandlungen unter diesen Bedingungen empfehle ich das Interview mit Claudia Major: „Raus aus der Kuschelecke“. So wünsche ich mir Beiträge zur Debatte: sachlich argumentierend und ohne herab würdigende Anwürfe wie „Friedensschwurbler“.

    Dass der Krieg nicht zum Großkrieg eskaliert, können wir nur hoffen, nicht wissen. Gestern hab‘ ich mal wieder in Talkshows reingeschaut und erfahren, dass das amerikanische Nein zu Kampfjets nur „für jetzt“ gelten soll, da die Ausbildung von Ukrainern an diesen in den USA erst im Juni abgeschlossen sei. Auch Angriffe auf russische (militärische) Ziele hinter den Grenzen wurden diskutiert: Waffenlager, Versorgungslinien etc.

    Verhandelt wird erst, wenn eine der beiden oder beide Seiten nicht mehr daran glauben, gewinnen zu können. Daran ändern auch 600.000 Manifest-Unterzeichner und 13.000 Demonstrierende nichts.

  11. Rückblickend auf mein Leben würde ich sagen, dass ich dort, wo ich um Hilfe gebeten wurde, diese auch immer geleistet habe. In sehr, sehr wenigen Fällen bin ich diesen Bitten nicht nachgekommen. Nicht, weil es mir nicht möglich war, sondern weil ich der Meinung war, damit nur das Leid zu verlängern. Das war meine sehr subjektive Einstellung, gespeist aus meiner Lebenserfahrung und auf Annahmen in die Zukunft projiziert. Ich mag heute Abend nicht darüber nachdenken, ob ich damit immer wirklich richtig gelegen habe. Aber eins weiß ich genau: Meine Entscheidung NICHT zu helfen, ist mir immer sehr viel schwerer gefallen und hat ich immer deutlich viel mehr Kraft gekostet, als dieser nachzugeben.

    Auch wenn ich die Ansichten von Frau Wagenknecht und Frau Schwarzer nicht teile, so möchte ich ihnen nicht unterstellen, dass es ihnen nicht um ein tiefes Anliegen geht, dass es zur Bewusstseinswerdung dieses aktuellen Medienhypes bedurfte.

    Meine mit Wagenknecht/Schwarzer nicht konforme Meinung speist sich aus einer Mehrheitsmeinung (nicht wissend wem sie dient), die ich wohl nachdenklich, – aber nicht tiefgehend reflektierend -, übernehme. Das ist bequem. Gemütlich.
    Die „Blase“, mein Lieblingsort, bezeugt anerkennend, das ich RICHTIG liege und verwirft damit jeden Grund, mich eingehend mit anderen Argumenten noch auseinander setzen zu müssen.

    Dies aber dennoch zu tun erfordert viel Kraft, auch von mir und ich kann nur jeden darum bitten dies auch zu tun, damit es wie in Antje Vollmers sehr bemerkenswerten Beitrag dazu kommt, dass wir Hass und Krieg irgendwann einmal in ferner Zukunft gründlich verlernt haben sollten.

  12. @Menachem: danke für deinen ausführlichen Kommentar! Ja, ablehnen, Nein sagen – das kostet mehr Überwindung als einfach machen, was jemand wünscht. Das verweist auf unsere evolutionäre Positionierung als soziale Primaten-Horde, die ohne dieses „willige Mittun“ nicht existieren könnte. Meist ist das ja auch ein positiver Wert, der uns zur Kooperation und Organisation in Großgruppen verholfen hat, in denen nicht mehr jede jeden kennt. Aber eben nicht immer!
    Die Auseinandersetzung mit einer Mehrheitsmeinung ist auch aus meiner Sicht unverzichtbar. Das mache ich auch, jedoch nehme ich mir auch heraus, Pausen vom „Auseinandersetzen“ zu nehmen. Wenn sich die Dinge wesentlich ändern, ganz neue Argumente auftauchen oder Ereignisse, die die Einschätzung ändern können, dann bekomme ich das immer noch zeitnah mit.