Auf seinem Blog X-Town.net schrieb Christian Rentrop einen etwas wehmütigen Artikel über die „Web2.0-Einsamkeit“, den er wie folgt einleitet:
„Twitter, Facebook, Xing, Weblog, Webforen, Skype und E-Mail: ich bin rundum vernetzt, rund um die Uhr, per Laptop, iPhone, immer on, immer greifbar. Alle Freunde, Bekannten, Geschäftskontakte sind nur einen Mausklick entfernt. Und doch fühle ich mich manchmal einsam. Wenn ich Skype öffne, und keiner online ist. Wenn ich in Facebook schaue und zwar genau weiß, was wann wer warum gerade treibt, aber merke, dass dabei niemand an mich gedacht hat. Wenn niemand Blogbeiträge kommentiert. Doch wenn es dunkel wird, kann das Web 2.0 sehr, sehr einsam sein.“
(gefunden via YuccaTreePost)
Ich finde diesen Artikel schon deshalb bemerkenswert, weil hier mal jemand miese Gefühle inmitten all des ansonsten eher in den digitalen Himmel gehypten Web 2.0-Geschwurbels zugibt. Und ich kenne diese Anwandlungen durchaus, auch wenn ich bei weitem nicht so extrem „vernetzt“ und schon gar nicht „allways on“ lebe. Ja, das gab es sogar schon damals, im Web 1.0., als man die Leser-Reaktionen noch per E-Mail erhielt und „händisch“ unter Beiträge auf Magazin-artige Webseiten setzte, die nach Themen und nicht nach Erscheinungstagen geordnet waren.
Ist es nicht ein seltsames Phänomen, dass immer mehr Kontakte auf immer mehr Plattformen zustande kommen, begleitet von vielerlei Formen, Resonanz und Aktivitäten zu unterstützen und transparent zu machen („X hat ein neues Bild eingestellt“) – und dennoch fühlen sich Menschen in diesen Kontexten einsam? Offenbar sogar einsamer bzw. „anders einsam“ als in der alten Internet-losen Welt?
Das Ganze jetzt mit dem Hinweis abzubügeln, Netzkontakte und Aktivitäten seien ja nicht das richtige, das „reale Leben“ und wer sich darin verstricke, werde zwangsläufi vereinsamen, greift zu kurz bzw. trifft das Spezifische an der „neuen Einsamkeit“ nicht. Denn Christian HAT ja durchaus ein Leben außerhalb des Paralleluniversums, „eins mit Familie, Freundin, Freunden und Arbeit. Eins, das auch ohne Internet und nur per Telefon weitestgehend funktioniert.“
Warum also dieses Einsamkeitsgefühl? Nochmal Christian, weil er es so schön auf den Punkt bringt:
„Rund 500 Menschen besuchen täglich meine Website, aber nur wenige hinterlassen einen Kommentar. Ich aktualisiere Statusmeldungen bei Facebook, kommentiere auf Blogs, aber niemand antwortet, niemandem “Gefällt dies”. Es ist frustrierend. Man fühlt sich ein wenig wie ein Komapatient, der alles mitbekommt, dessen geistige Aktivität aber niemand mehr bemerkt. Als brüllte man permanent in die große, weite Welt, ohne dass jemals jemand antwortet.“
Der aktuelle Artikel hat ihm Antworten gebracht – nicht nur diese, sondern auch nicht wenige gute Kommentare. „Seelenstriptease“ zieht Leser, auch das weiß Christian, der uns im weiteren mitteilt, dass er die „A-Blogger“ bewundert und gerne in der ersten Liga mitspielen würde, es aber trotz aller Bemühungen nicht schafft.
Das Ganze ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Web2.0-Möglichkeiten der Selbstdarstellung und Interaktion den Narzissmuss in den Menschen verstärken. Anstatt Themen und Aufgaben zu finden, für die der Einsatz lohnt, wird das bloße eigene Da-Sein und bemerkt-werden zum Ziel des Tuns. Doch je mehr das von Erfolg gekrönt ist, desto größer wird die Abhängigkeit von der Resonanz anderer: heute nur 150 Besucher? Was ist los? Bin ich etwa nicht mehr interessant genug?
Narzissmuss ist die Liebe zum Bild von sich selbst, keine wahre Selbstliebe. Dieses Bild ist NICHTS ohne genug Betrachter, die es wieder und wieder als „schön“ (bzw. spannend, wichtig, unterhaltsam…) bestätigen. Der Mensch wird zum sich abstrampelnden Sklaven dieses Bildes und fühlt sich zu recht „leer“, wenn die Resonanz ausbleibt. Alle, die immer schon in der Öffentlichkeit standen (Politiker, Medienstars etc.) kennen diese Falle, die früher einmal dem gemeinen Volk mangels Möglichkeit gar nicht drohte. Web 2.0 hat das erfolgreich geändert. Es ist nicht schwer, „für 15 Minuten berühmt“ zu sein und auch mal eine Sau durch die Blogosphäre zu treiben – und jeder für sich kann locker sämtliche Methoden austesten, die man einst der Zeitung mit den vier Buchstaben vorgeworfen hat, um die eigene Publizität zu erhöhen, koste es, was es wolle.
Wer?
Aber WER ist es eigentlich, der diesen Versuchungen verfällt? WER will gesehen und beachtet werden? Wer bin ich, abgesehen von jeglicher Darstellung nach außen?
Diese vielleicht seltsam anmutende Frage kann die ganze Ver-rücktheit, in der sich der Selbstdarstellungssüchtige befindet, stoppen. Man muss sie nicht umfangreich beantworten, es reicht, sie täglich im Bewusstsein zu halten und immer wieder kleine Teil-Antworten zu finden. Dafür lohnt es sich, auch die Leere einfach mal eine Zeit lang auszuhalten und anzusehen, anstatt sich in die nächsten aufmerksamheitsheischenden Tätigkeiten zu stürzen. Ein unangenehmes Gefühl tritt ja oft genug nur wegen der Ungewohntheit einer Sache auf: wer die Leere partout vermeiden will, dringt nie zur Erfahrung vor, dass das üble Gefühl auch ganz von selbst wieder verschwindet. Eine nie gekannte innere Ruhe breitet sich aus, in der man sich beheimatet fühlen kann – ganz ohne die Resonanz von Anderen.
Manchmal stehe ich mit der DigiCam im Garten und versuche, das Lichtspiel und die Farben in der späten Nachmittagssonne einzufangen. Es gelingt nicht, denn die Kamera ist nicht im Stande, gleichzeitig Himmel UND Erde, Wolken und Wiese, Büsche, Bäume richtig zu belichten. Ich müsste einiges dafür tun und mit technischen Features tricksen, um am Ende ein Bild zeigen zu können, das dem Anblick nahe kommt, den ICH gerade SEHE, der mich einfach so ohne jeglichen Geräte-Einsatz ergreift und in Begeisterung versetzt.
Die das Abendlicht im Garten ganz ohne „Equipment“ SO sehen und empfinden kann, das bin „ich“ – nur so als Beispiel. Dieses „Ich“ (manche nennen es auch „Selbst“) ist leistungslos einfach so da und letztlich nicht mit-teilbar. Es ist sehr leicht zu übersehen durch äußere Aktivitäten wie etwa das Bemühen um die „korrekte“ Abbildung, doch ist es der leere Grund, aus dem alles echte Engagement kommt. Sein Kennzeichen ist die Abwesenheit jeglicher Gedanken an „seine Majestät, das Ich“ – sie verschwinden im Sehen und Fühlen, ganz „von selbst“.
Mit diesem einfach-so-Sein des öfteren in Kontakt zu treten, hilft gegen die Verlorenheit im Web 2.0 ganz genauso wie gegen althergebrachtere Formen der Einsamkeit. Doch trendige, allumfassende Geschäftigkeit („allways on“) ist der beste Weg, diesen Kontakt zu verlieren, bzw. gar nicht erst zu gewinnen.
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14 Kommentare zu „Einsam im Web 2.0 ?“.