Danke, danke für die guten Wünsche: Heute ist der dritte Tag der Erkältung, der Tag ihres Verschwindens. Als erste Erkältung seit vielen Jahren ist das sowieso eher eine interessante Erfahrung: diese körperliche Schlaffheit, die volle physische Unfähigkeit zu irgend welchen Anstrengungen bringt mir eine selten verspürte innere Ruhe. Vermutlich funktioniert der psychische Mechanismus nach dem Motto: Wo nichts geht, kann auch nichts verlangt werden, wie schön! Und aus dieser Entlastung heraus konnte ich locker aktiv werden, voller Freude vor dem Monitor sitzen und mein neues KnowHow-Projekt anschieben, dessen erster Artikel (zu Nielsen, siehe Kasten) ja seit gestern zu besichtigen ist.
Meine Motivationskrise, die sich seit Monaten hinzog, ist mit diesem Projekt-Start vorbei: Endlich wieder ein lebendiger Hypertext! Das Diary ist natürlich auch lebendig, doch seine Form ist fest, mit ihr experimentiere ich nicht mehr. Das Erotische des Webdiarys, das praktisch ein Teil meiner Existenz geworden ist, findet auschließlich auf der inhaltlichen Ebene statt: Wie weit zeige ich mich? Ist das, was ich zeige, überhaupt real? Welche Motive stehen hinter diesem Tun? Soll ich dies und jenes wirklich schreiben? Hat es einen Sinn, und wenn nicht, warum findet es trotzdem Leser? Usw. usf. – im Ganzen eine sehr persönliche Angelegenheit, nichts, womit ich irgendwie auf’s real existierende öffentliche Leben einwirken will.
Im jetzt endlich gestarteten Webwriting-Magazin kann ich dagegen das Netz für mich wieder mal ganz neu erfinden: Den in jahrelanger Praxis gemachten Erfahrungen mit dem Publizieren im Internet eine eigene Form geben und diese gleichzeitig auch ausformulieren und begründen. Mit Michael Charlier ist mir dafür der ideale Co-Worker begegnet, er hat erstens Jahrzehnte schreiberisch-journalistische Erfahrung, doch vor allem auch die Geduld, Dinge wirklich auf den Punkt hin auszuformulieren. Quellen angeben, Autoren zitieren, Dinge wirklich von Anfang bis Ende rezipieren und dann nachvollziehbar bewerten, das ist nicht unbedingt das, was mir Spaß macht. Ich setze lieber ein Beispiel, verschaffe ein ERLEBNIS und sage dann: Wenn sie es nicht selber schnallen, dann eben nicht. Insofern ergänzen wir uns aufs Beste und ich bin guter Dinge, dass das Webwriting-Magazin eine unverwechselbare Qualität aufweisen wird, von der auch andere etwas haben.
Lebendige Texte?
Gute Hypertexte haben für mich etwas Utopisches. Schließlich sind es keine fertigen Artefakte, die irgendwo ausgestellt stehen, keine WERKE, in irgendwelchen Speichern und Bibliotheken gehortet, vielleicht gerühmt, oft schnell vergessen. Nein, Hypertexte sind im besten Fall offene STRUKTUREN, Organisations- und Kommunikationsstrukturen für Texte und Menschen. Nehmen wir einen guten Prototyp als Beispiel: Selfhtml [aktualisierte URL, Stefan ist nicht mehr dabei] von Stefan Münz ist nicht nur das Produkt (die 7 Versionen des Hypertextes selbst), sondern ein Teil von Stefan, den er so nach außen gestellt hat, worauf sich andere einfanden, die zur Sache etwas beitrugen. Rund um das Dokument entstand eine weit verstreute Community aus Menschen, die von Stefans ganz spezifischen Art, Wissen weiterzugeben, angerührt sind und diese Art & Weise mit- und weitertragen. (Natürlich gibt es auch jede Menge „blosse Konsumenten“, das ändert aber nichts.)
Es ging und geht dabei nicht nur um HTML, sondern um die Vermittlung der spezifischen Sicht von Stefan auf das Netz: Um den Geist gegenseitiger Hilfe, um Kooperation jenseits kommerzieller Interessen, um Ordnung, und wie man sie im Chaos schaffen kann, um Werte eben, die durch den Hypertext (dessen „Leben“ im Web) nicht etwa zitiert und beschrieben, sondern VERWIRKLICHT werden. Und es ist ja auch eingeschlagen! Dass Einsteiger heute oft lieber zu grauenhaften WYSIWYG-Editoren (Ihre Homepage in zehn Mausklicks) greifen, anstatt selbst HTML zu lernen, liegt einerseits am großen Umfang, den HTML mittlerweile angenommen hat, zum anderen daran, dass sie in einer (fast) ganz kommerzialisierten Umgebung keinen Zugang zur „Energie des Verstehens“ (=Untertitel zu Selfhtml) finden, die ja etwas anderes ist als die Energie des Verkaufens. Es braucht mehr und immer neue Hypertexte, um das immer wieder neu zu vermitteln.
Übrigens hab‘ ich mich gerade mal in den Chat auf Selfhtml-Life eingeklingt. Da heißt es auf einem Laufband: „Frage Dich stets, wer Du bist, bevor du uns fragst, wie das alles mit JavaScript geht….“. Klasse! Da ist er wieder, der philosophische Geist von Selfhtml, den man in einer Lernstruktur zu so etwas Trockenem wie HTML gar nicht erwarten würde.
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