Im Kino gewesen: THE CELL angesehen und gestaunt! Den Kritiken kann ich voll zustimmen: Story recht dünn, doch spektakuläre Bilderwelten und Effekte beeindrucken so sehr, dass der Besuch lohnt. Die Rahmenhandlung braucht nur wenig Worte: hübsche Psychologin wird über Hirn/Computer/Hirn-Interface mit häßlichem Serienmörder verschaltet, reist in dessen Bewußtsein, um ihm den Aufenthaltsort seines letzten, noch lebenden Opfers zu entlocken: Der begehbare Frauenmörder als virtueller Freizeitpark für alle.Von einem Film wie THE CELL erwarte ich nun ganz sicher keine geistigen Höhenflüge, sondern visuelle Lust, Emotionen und einen Einblick in das, was derzeit sich anschickt, Mainstream des Filmschaffens zu werden. Daraus ziehe ich dann meine Rückschlüsse über den Status Quo des herrschenden Wahnsinns.
Was Punkt 1 angeht, so ist mir seit Matrix nichts besseres vors Auge gekommen – und ich seh‘ ja zumindest die Trailer, wenn ich so ungefähr einmal im Monat ins Kino gehe. Wobei THE CELL ganz andere Wege geht als Matrix, der auf der gleichen Schiene einfach nicht mehr zu toppen war: Noch gibt es auch bei den allerjüngsten Usern Grenzen für die weitere Verkürzung der Schnittfolgen eines Films, auch die Veränderung der visuellen Wahrnehmungsfähigkeit braucht eine gewisse Zeit der Übung. Nichts ist einfach so klick_und_da!
Movie.inside.de schreibt über die Szenerie:
„THE CELL spielt zu einem Großteil in einer ebenso phantastischen wie lebendigen Landschaft – im Innersten der Träume und erschreckenden Phantasien eines Serienkillers. Carl Starghers Traumwelt ist wie ein auf den Kopf gestelltes Wunderland, ein bedrückender, unheimlicher Ort voller Dämonen und dunklen Ecken, wie ihn Hieronymus Bosch nicht besser hätte erfinden können.“
(Der ganze Artikel beschreibt gut, was alles an Visuellem geboten wird)
Man kann es nicht anders sagen: Die Bilder und Sequenzen sind schockierend und gleichzeitig vielfältig schön. Wie sie sich entfalten, aus jeder Seins-Ebene herauswachsen können wie auf einem LSD-Trip, ist perfekt und immer wieder verblüffend vorexerziert – einfach fantastisch! Lustvoll genießend könnte man sich dem Strom der Eindrücke hingeben, wenn nicht….
Tja, wenn es nicht emotional gelegentlich so niederschmetternd wäre! (Das ist jetzt Punkt 2). Mich stört einfach diese blutlüsterne Gewalt, dieses „Därme aus dem Leib ziehen und an einer Winde über dem noch lebenden Opfer langsam aufrollen“. Ich will auch nicht, dass man versucht, mir das Geile am Beobachten und langsamen Ersäufen eines hübschen Mädels in einem Tötungsautomat einzuüben. Ich finde das grauenhaft, und das soll bittschön auch so bleiben!
Womit ich beim dritten Punkt bin: Was soll ich von einer Gesellschaft halten, die sich offensichtlich an solchen Bildern aufgeilen will? Was ist nur los, sowohl mit den Machern als auch mit den Konsumenten, dass das nicht etwa verübergeht, sondern mehr und mehr zum einzigen „Content“ wird? Was sagt mir das über meinen Mitmenschen?
Es sagt mir: …Das ist der Feind. Dem darfst du nie vertrauen. Der kann dich jederzeit schlachten wollen, mag er auch noch so nett aussehen und freundlich gucken. Der wird dich im Geschäftsleben genau wie in der Tiefgarage ex_und_hoppen wann’s beliebt! Muss mir angewöhnen, mit der Waffe im Anschlag herumzulaufen, immer damit rechnend, dass auch der Nächste und Liebste Mensch ein Monster in sich trägt, das nichts anderes will als mich zerlegen und leiden sehen…
Sorry, das will ich mir nicht immer neu und immer wieder einbläuen lassen. Ich kenne meine Mitmenschen anders. Sicher gibt es Zuspitzungen, unter denen vielleicht jeder zum Schlächter wird, wer weiß. Über die Missbrauchsthematik wird diese Frage auch in der rudimentären Story von THE CELL aufgeworfen, bzw. eigentlich nur zitiert: Es ist ja gerade KEIN Film, der zum Denken anregen soll. Im Gegenteil, reines Amüsement, Unterhaltung, lustvolles Abträumen ist angepeilt. Diese Lustorientierung macht es ja gerade zwingend, dass man eher an die Freude des Täters beim Blutpanschen herangeführt wird als an die Angst und das Grauen der Opfer. Die Opferdarstellung ist in einer rituell sich wiederholenden Frau-im-Panzerglaskasten-Szene erstarrt wie eine endlos loopende Gif-Animation. Mal schaut man direkt auf den Behälter, öfter aber auf einen Monitor, der den Behälter mit der zum seltsamen Insekt werdenden Frau zeigt – Zitat Webcam, Bigbrother…
Mal im Ernst: Warum immer Horror, Gewalt, Schlächtereien? Wem nützt das? Wer will das? Ist es einfach der kleineste gemeinsame Nenner in einer globalisierten, aber von den USA dominierten Filmwirtschaft? Vermutlich lieg ich da garnicht so falsch: Um in Kasachstan, Indien, Irland, Dubai, Mecklenburg-Vorpommern und San Francisco gleichermassen anzukommen, kann ein Film nur auf ganz allgemein menschliche Emotionen Bezug nehmen, um mitzureissen und anzusprechen. Und was gäbe es allgemein verständlicheres als Horror, Angst, Hass, Gewalt?
Zum Beispiel Sex und Erotik, das kennen ja auch alle. Man stelle sich vor, man würde die Mittel von THE CELL einsetzen, um mal einen wirklich geilen Film zu machen. Keinen platten Porno, sondern einen, der ‚unter die Haut‘ geht. Aber da ist ja der amerikanische Puritanismus vor, auch den Arabern, Japanern, den orthodoxen Juden und vielen anderen Saubermännern und Frauen wäre das nicht zu vermitteln. Wäre ja allenfalls Nischenkino, nicht profitträchtig genug und also nicht finanzierbar… Dasselbe gilt für alles Spirituelle: Wo sich weltweit noch immer institutionelle Religiöse über die wahre Lehre streiten, kann sich das Welttheater Hollywood & Co. nicht emanzipieren und gleich der griechischen Tragödie geistig innovative und verbindende Mythen transportieren (die Maria-Himmelsgöttinnen-Pose der zuletzt siegreichen Psychologin: einfach nur peinlich!).
Na, zum Ende sei gesagt, dass THE CELL keinesfalls nur grausame Bilder bietet, im Gegenteil, sie sind eher selten. Auch zartere Gemüter können diesen Film überstehen (frei ab 16), der insgesamt eher kalt wirkt. Neben dem durchästhetisierten Horror steht auch die reine Verblüffung, wenn etwa mehrere guillotine-artig herabfallende Messer ein Pferd in 10 Scheiben zerlegen und in Glas eingießen; diese Scheiben dann wie Objekte einer Ausstellung auf dreifache Pferdlänge auseinandergezogen werden, und die einzelnen Teile, um die man jetzt herumgehen kann, sich noch immer lebendig bewegen! The Visible Human läßt grüßen. Auch die berühmte Performance von Stellarc, der sich, wenn ich richtig erinnere, auch mal an Haken im eigenen Fleisch aufgehangen hat, ist in verschärfter Form neu inszeniert und mehrfach zu besichtigen. Dagegen ist nun mal eine Wüste, in der Apfelbäume blühen, auf die es wattig-weiss schneit, nicht so erwähnenswert. Die leider nur recht finster-erotische Szene, wenn DAS BÖSE sich anscheinend über die Schöne hermachen will – Zitat Rosemaries Baby (wo der Teufel die Rosy schwängert) – kann höchstens andeuten, wohin die Reise gehen könnte, wenn der „wahnsinnige Frauenmörder“ als Träger menschlicher Collectiv Identity weltweit fallen gelassen würde.
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