Endlich mal wieder deutlich früher aufgestanden: um sieben anstatt erst um halb acht. In der dunklen Jahreszeit besteht eine Neigung, länger im Bett zu bleiben, doch genau das trägt zum Winterblues bei. Je später man aufsteht, desto kürzer wirkt der Tag, umso länger die Nacht, die jetzt schon kurz nach vier beginnt: Was um Himmels willen soll ich diese ganze lange Zeit tun? Manchmal beneide ich die Bären um ihren Winterschlaf! Die morgendliche Nacht wirkt dagegen inspirierend, die Stille ist voller Versprechen, langsam verdichtet sich die Energie in Richtung Tag, die Morgendämmerung setzt ein, hier draussen noch immer in Stille. Wunderschön.
So ungefähr an zwei Dritteln aller Tage übe ich morgens von 8 bis 9 mit meinem Lebensgefährten Yoga. Eigentlich hatte ich nie vor, das morgens zu machen, doch letztlich hat es sich so ergeben: es ist sehr viel schwerer, einen Tag – und sei er noch so eintönig und ereignislos – zu unterbrechen, um eine Stunde Übungen zu machen, als gleich morgens damit zu beginnen. Das gilt erst recht, wenn es Übungsformen sind, die sowieso einen leeren Geist benötigen, bzw. erst richtig erfahren werden können, wenn das Gedanken-Wandern im Kopf zum Erliegen kommt oder zumindest von der Konzentration auf den Atem dominiert, wenn schon nicht ganz abgelöst wird.
1991 hab‘ ich mit Yoga angefangen, eine wirklich lange Zeit. Ich möchte gar nicht wissen, was aus mir geworden wäre, wie ich heute das Leben spüren bzw. nicht spüren würde und was ich darüber dächte, wenn ich NICHT mit Yoga angefangen und es stets und ständig fortgeführt hätte. Acht Jahre mit Unterstützung meines ZEN-inspirierten Lehrers in seinen wunderbar kleinen Gruppen von jeweils nur vier Schülern! Der einmal-die-Woche-Termin hat sich dadurch als Minimum eingespielt, das ich mit wenigen Ausnahmen all die Jahre durchgezogen habe, auch in lustlosen Zeiten. Doch per „einmal die Woche“ geschieht im Yoga nicht viel. Ich kann von Glück sagen, dass Hans-Peter es fertig brachte, meine Motivation zu Beginn derart zu steigern und regelmäßig neu zu entfachen, dass ich die ersten Jahre fast täglich übte. Allein die Veränderungen der Befindlichkeit, die sich im ersten halben Jahr ergaben, gerieten deshalb spektakulär und taten das ihre, mich weiterhin bei der Stange zu halten. Auch später gab es viele lange Phasen, wo das Üben zumindest in Richtung täglich tendierte oder sich bei zwei bis dreimal pro Woche einpendelte.
Wenn eine Übungsweise mal so weit in einem Leben etabliert ist, gewinnt sie einen ganz anderen Charakter und völlig andere Bedeutungen, als zu Beginn des Engagements. (Da liegt auch der Grund meiner tiefen Dankbarkeit für Hans-Peter-Hempel, denn ohne ihn hätte ich diese Kontinuität niemals aufbringen können). In der Rückschau wirkt manches geradezu komisch, was ich über Yoga zu wissen meinte, bzw. davon erwartet habe, als ich damit anfing. Und es ist ein unverdientes Wunder, ein großes Glück, dass ich dabei geblieben bin, wenn auch mit größtmöglichen Schwankungen in der inneren und äußeren Beteiligung.
Vermutlich ist es ganz egal, was man macht: ob Yoga, Tai Chi, Feldenkrais, QiGong, Bogenschiesen, Karate, KungFu, Sitzmeditation oder Marathon, man muss es nur machen, öfter als einmal die Woche, länger als ein paar Monate. Und nicht mechanisch wie ein sogenanntes „Working Out“, sondern mit aller Sorgfalt, Aufmerksamkeit und Hingabe. Es braucht nun einmal diese Zeit, damit sich die eigentlichen, weniger oberflächlichen Wirkungen dieser Übungen entfalten – auf Ebenen, auf denen man sie gar nicht erwartet hätte.
Es wäre nun zwar möglich, Konkreteres aus meiner Yoga-Geschichte zu erzählen, doch damit wäre der Abgrund nicht überbrückt zu denjenigen, die noch nie eine Geist-UND-Körper-einbeziehende Übungsweise LÄNGER praktiziert haben: Die vielleicht nach drei Monaten Yoga zu TaiChi geweschselt sind, danach Kailash-Besteigung oder Trecking in Nepal, im Winter dann Sitzmeditation, im Frühling das Sportstudio und zur Sonnwende die Schwitzhütten-Zeremonie, als Vorbereitung und Reinigung vor dem Tantra in der Toskana. Oder die, die vom Körper allenfalls Leistung verlangen, aber keinerlei Erkenntnisse – schließlich findet denken im Kopf statt und den behält man am sichersten oben, wenn man sein Leben im Sitzen verbringt.
Das schreibt sich lustig dahin, doch war ich auch nicht viel besser. Mit Yoga hätte ich ganz gewiss nicht angefangen, hätte ich nicht Hans-Peter getroffen, ihn einfach um einen Termin gebeten nach seinem Vortrag über „Buddhismus und Abendland“ an der Berliner Urania.
Hans Peter Hempel,
Yogalehrer, Professor für Politik & Philosophie an der TU Berlin
lehrt einen buddhistisch inspirierten Yoga (ZEN-Yoga), der darauf verzichtet, neue Systeme absoluter Wahrheiten zu errichten.Offene Weite – nichts von heilig
Bücher z.B.
- „Alle Menschen sind Buddha. Der Weg des Zen“
- „Im Hier und Jetzt – Unterweisungen im ZEN-Yoga“
Dass er Yoga lehrte, wusste ich gar nicht, sondern hatte aufgrund des Vortrags angenommen, dass er eine Meditationsgruppe leite. Yoga war bei mir „schon durch“ wie vieles andere: Mal ein tolles Buch gelesen, selber mit den Übungen angefangen, nach dem dritten Mal wieder aufgehört, weil ich mir ein bißchen blöd vorkam auf der Matte am Boden meines Zimmers. Das nächste Buch, bitte. Es kann auch gut sein, dass ich das „heiligmäßige Leben“ nicht länger als eine Woche ausgehalten habe, das für meine Begriffe zwingend dazugehörte. Jedenfalls war Yoga für mich kein Thema, als Hans Peter davon anfing: Der Körper sei so unruhig, nervös und verspannt bei uns Westlern, dass es ganz unmöglich sei, aus einem solchen Zustand in Meditation zu kommen. Deshalb lehre er Hatha-Yoga, schlichte Übungen, die jeder machen könne.
Ich hatte meine Zweifel, denn mein Leben lang hatte ich Sport vermieden und erst kürzlich wieder bemerkt, dass ich mich kaum noch ohne Schmerzen bewegen konnte. Ein paar Wochen Krankengymnastik hatten mir gezeigt, wie eingerostet ich mit 36 schon war und das schlimmste wieder hingebügelt. Aber auch sonst war ich weit vom REINEN LEBEN entfernt, das ich als Voraussetzung meinte erstmal leben zu müssen: Der Alkohol war immerhin schon „von mir abgefallen“, nicht aber rauchen, kiffen, zuviel essen, der Kaffee und vieles mehr. Ich – eine Yogini? Unmöglich!
Nicht mehr rauchen? Das könne man nicht verordnen, sagte Hans-Peter. Das müsse alles von selber verschwinden. Und in seiner unendlichen Geduld kreidete er es mir niemals an, dass ich über viele Jahre Raucherin blieb, bzw. es immer wieder wurde. Nur merkte er gelegentlich in der Yogastunde an, dass man es wieder mal sehr stark rieche…
Dass er mich trotzdem angenommen hat, obwohl ich seine Nase beleidigte, dafür bin ich ganz besonders dankbar. Neun Jahre später scheint das Rauchen sich zu verabschieden – eine lange Zeit.
Genug spontane Autobio – die Arbeit lockt…
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