Erst Corona, dann Ukraine-Krieg und jetzt der zunehmende Druck der Klimakatastrophe: Viele Menschen sind aus nachvollziehbaren Gründen krisenmüde und sehnen sich nach „Normalität“. Eine Normalität, die es nie wieder geben wird, denn der Klimawandel mit all seinen destruktiven Folgen schreitet voran und ist nicht mehr zu leugnen. Dass wir das 1,5 Grad-Ziel noch schaffen, glaubt kaum noch jemand, denn die CO²-Emissionen steigen weltweit und sinken nicht etwa, trotz aller Absichtserklärungen und Vereinbarungen.
Lasst mich doch damit in Ruhe…
Immerhin scheint es noch möglich, „das alles“ aus dem eigenen Leben heraus zu halten und so zu tun, als könne alles so weiter gehen. Wer bei dieser Verdrängung der Tatsachen stört, bekommt Ärger! Aktuell richtet sich der Unmut gegen jene, die wirklich handeln und Anpassungsleistungen auf den Weg bringen wollen. Das trifft derzeit Habeck mit dem Heizungsgesetz, das den Einbau neuer (!) Öl- und Gasheizungen verbieten will, aber auch die GRÜNEN allgemein und natürlich Aktivisten wie #LetzteGeneration. Jede mögliche Anpassungsleistung wie „weniger Fleisch“, „mehr Windräder“, „Fahrrad statt Auto, wo machbar“, „E-Mobilität statt Verbrenner“ und „Wärmepumpe statt Gas/Ölheizung“ trifft auf eine breite Front der Ablehnung, geschürt von Populisten und vielen Medien, die Ängste und Zumutungen mit Freude aufnehmen und verstärken.
Schöner scheitern: Eine neue Bewusstseinskultur?
Der Philosoph Thomas Metzinger hat ein bemerkenswertes Buch zur Lage geschrieben: „Bewusstseinskultur – Spiritualität, intellektuelle Redlichkeit und die planetare Krise“. Er geht davon aus, dass der Kampf gegen den Klimawandel nicht zum Erfolg führen werde, weil die Evolution das „Mehr“ (mehr Nachkommen, mehr Ressourcenverbrauch…) belohne. Zudem sei die „Klimakrise“ keine klassische Krise, denn Krisen hätten einen Anfang und ein Ende. Der elend lange Bremsweg des Klimawandels lasse jedoch auf absehbare Zeit keine Verbesserungen erhoffen, selbst wenn es gelänge, jetzt die Emissionen drastisch zu vermindern.
Optimismus ist für Metzinger also keine Option. Seine Frage: „Wie kann es gelingen, angesichts der planetaren Krise in Bewusstheit und Anmut zu scheitern?“ bezieht sich nicht auf politische Veränderungen, sondern auf das Innenleben des Individuums. Er fordert eine „neue Bewusstseinskultur“, die es uns ermöglichen soll, bei sich verdüsternden Aussichten und zunehmenden Problemen das Richtige zu tun, auch ohne Hoffnung auf schnelle Besserung. Voraussetzung sei, sich nicht mehr in die Tasche zu lügen (=“intellektuelle Redlichkeit“): Fakten ernst nehmen und entsprechend handeln. Damit wir das schaffen, brauche es „eine neue Kombination von Herzensgegenwart und Geistesgegenwart“, sowie eine Bewusstseinskultur, die auch in anhaltenden Krisen „den Geist bereit mache für Mitgefühl und neue Perspektiven“.
Für sich selbst hat Metzinger einen Weg gefunden. Er meditiert schon lange und empfiehlt östliche Meditationstechniken als Methode, den eigenen Geist in der gewünschten Richtung zu verändern. Die Gesellschaft müsse „gute“ Bewusstseinszustände fördern, die Meditation ist also nur als Beispiel zu verstehen. Konkretes findet man bei ihm allerdings kaum, jedoch ist die Idee durchaus überlegenswert. Im Bildungssystem von der Kita bis zum Abi würde das allerdings erfordern, nicht mehr das Funktionieren im Arbeitsleben als obersten Wert zu setzen, sondern die Entwicklung zur Resilienz: Zur Fähigkeit, auch in schlechten Zeiten nicht zu verzweifeln, nicht in Wut, Hass oder Depression abzudriften, sondern konstruktiv zu bleiben und gelassen das Richtige zu tun.
Bewusstseinszustände bewerten
Wo Metzinger schwammig bleibt, ist es an uns, über mögliche „positive Bewusstseinszustände“ nachzudenken. Explizite Sitzmeditation wird nur für wenige eine machbare Möglichkeit sein, aber gibt es nicht viele andere gute Bewusstseitszustände? Die geforderte Bewusstseinskultur müsste diese sichten, vergleichen und bewerten, sowie Wege aufzeigen, in sie hinein bzw. aus ihnen heraus zu finden.
- Ein Waldspaziergang ergibt zum Beispiel einen „guten Bewusstseinszustand“, allerdings nur, wenn man dabei nicht die ganze Zeit an irgend etwas Nerviges denkt, sondern sich auf die Wahrnehmung konzentriert. Regelmäßige Praxis verbessert Laune und Gesundheit, man entwickelt auch Mitgefühl für die hier und da recht geschundene Natur. Ohne Frage ein „guter“ Bewusstseinszustand!
- Weniger positiv zu bewerten, aber ebenfalls „positiv empfunden“ ist der Bewusstseinszustand, der bei der Suche nach einem neuen Konsumgegenstand auftritt: Jagen und Sammeln, das mögen wir! Eigenschaften vergleichen, Bewertungen lesen, womöglich ein Schnäppchen machen – das ergibt ein gewisses Hochgefühl, solange es andauert. Was könnte man dagegen setzen, um das Konsumieren um des Konsumierens willen zu vermindern? Mir fällt da schon einiges ein, aber hier soll es ja nur um Beispiele gehen.
Mein persönliches Fazit aus diesen Überlegungen ist durchaus gemischt. Was Metziger verlangt, ist die Übernahme der Verantwortung für den eigenen Geisteszustand. Dass das möglich ist, ist für mich eine Tatsache, ob es aber „skalierbar“, also für viele machbar ist, weiß ich nicht. Es ist ja so viel einfacher, in der Opferrolle zu verharren und die „böse Welt“ bzw. die „bösen Anderen“ anzuklagen, die an allem schuld sind. Dennoch ist Metzingers Denkanstoß inspirierend, denn er unterscheidet sich vom Zweckoptimismus, der von den meisten Klima-Aktivisten aus guten Gründen verbreitet wird. Dem aber immer weniger geglaubt werden kann angesichts dessen, was tatsächlich geschieht.
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24 Kommentare zu „Klimawandel und wir: Optimismus ist keine Option – was dann?“.