Ein Stück Autobiografie
Als ich um die dreißig war, dachte ich, mit 50plus sei man quasi scheintot und die geschlechtliche Liebe läge komplett außerhalb des persönlichen Horizonts. Meine Beziehungen waren eher Schlachtfelder als friedlich-lustvolle Inseln im Meer des stressigen Alltags. Wie ein lieber Freund es so treffend bezeichnete: ich spielte das Papi-und-Mami-Spiel, mit jedem Partner aufs Neue.
In diesem Spiel geht es um Macht und Anerkennung, um die Suche nach dem Eigenen im Kontrast zu dem, was der Partner will. Ohne darum zu wissen, wählte ich meine Geliebten „nach dem Bild des Vaters“ – nur eben andersrum: ER sollte ganz anders sein, nicht so ein unberechenbarer Choleriker, der mich stets zu etwas zwingen will, das ich nicht mag, und mir gleichzeitig jede Anerkennung verweigert (um meinen Ehrgeiz anzustacheln, wie er mir in späteren Jahren mal sagte!). Doch seltsam seltsam: Obwohl sie zunächst „ganz anders“ wirkten, verstrickte ich mich mit ihnen in genau die Art Kampf, den ich mit meinem Vater geführt hatte. Stets hatte ich das Gefühl, sie wollten mich beschränken, unterdrücken, meine Freiheit einzäumen, wogegen ich mit aller Macht rebellierte – bis ich eines Tages merkte, dass dieser Kampf keine Sieger kennt. Wer gewinnt, hat ebenfalls verloren, nämlich das, was eine Liebesbeziehung eigentlich sein soll: ein Verhältnis, in dem ich nicht kämpfen muss, sondern angenommen werde, wie ich eben bin.
Wenn nur Leistung zählt
Genau dazu war ich jedoch nicht im Stande, denn ich wurde von Kindheit an von meinem Vater „auf Leistung getrimmt“. Geliebt werden, ohne dass ich dafür etwas leistete, hatte ich zwar von meiner Mutter erfahren, doch war sie mit dieser Liebe in der Familie machtlos und konnte uns Kinder nicht vor dem „Kampf mit dem Vater“ beschützen. Ihm gegenüber zählte nur, etwas zum „vorzeigen“ zu haben – er stand auf Geld, Status und Intelligenz, wobei er sich als kleiner Angestellter nach Ersterem immer nur sehnte und uns Kindern damit unwillentlich die Verachtung materieller Werte anerzog. Wir wurden also intelligent, aber nicht reich – und meine Männer versuchte ich zeitlebens, mit dem Intellekt zu beeindrucken. Wer durchblicken ließ, dass er mich z.B. wegen meines Körpers bzw. „als Frau“ begehrte, der konnte sich meiner Verachtung sicher sein. Und nicht einmal aus feministischen Gründen, wie mir heute klar ist, sondern weil ich mich nicht persönlich gemeint fühlte: Was konnte ich schon für mein Aussehen? Das hatte ich mir doch nicht redlich erarbeitet, es war keine LEISTUNG, mit 18 gut auszusehen! Ein hochkarätiges philosophisches Buch zu verstehen, war dagegen schwierig und anstrengend. Ich war stolz, wenn ich den Gedankengängen folgen konnte und wählte mir Partner, die sich über die Welt, wie sie ist und wie sie sein sollte die Köpfe heiß reden konnten – und trat dann „in der Sache“ gegen sie an!
Dass es nicht eben leicht war, aus solchen geistigen Landschaften in die „Niederungen“ erotischen Tuns zu gelangen, liegt auf der Hand. Ich zeigte ihnen meine „männliche Seite“, um ihnen als Frau zu gefallen, womit ich automatisch bei Männern landete, in deren Leben die Mutter eine große und mächtige Rolle gespielt hatte. In mir begegneten sie ihr wieder und mussten nun zeigen, dass sie nicht mehr der kleine, ohnmächtige Junge waren – das Papi-und-Mami-Spiel nahm seinen zerstörerischen Lauf. In jeder Beziehung aufs Neue.
Beziehung ohne Sex
Ende dreißig hatte ich die Nase voll davon. Die Krise in der Lebensmitte erwischte mich und kein Stein blieb auf dem anderen. „Liebestechnisch“ tat ich mich mit einem sanften Philosophen zusammen, der mit der Welt nicht viel am Hut hatte und zum Kämpfen nicht im Stande war. Machtkampf war nicht angesagt, denn er wäre einfach abgehauen, wenn ich ihn mit meiner kämpferischen Seite belästigt hätte – also lernte ich erstmalig, mich zurück zu nehmen. Auf einmal war ich nicht mehr „das Opfer“, sondern Täterin, die sich drum kümmern musste, ihr Gegenüber vor der eigenen Mächtigkeit zu verschonen. Eine denkwürdige Erfahrung!!
1986 hatten wir uns kennen gelernt, 1991 zog ich mit ihm zusammen und bis Ende 2002 lebten wir miteinander ein Leben ohne Sex, denn auf dieser Ebene waren wir nicht füreinander geschaffen. Das hatten wir bereits im ersten Jahr bemerkt und gut geheißen – es war mein ganz persönlicher „Klosteraufenthalt“ in diesem Leben, der mir sehr viel gegeben hat. Wir lebten nebeneinander in unseren zwei Zimmern mit großer Küche und trafen uns zum plaudern und fernsehen. Wir hatten denselben Yogalehrer und gingen fast täglich spazieren – viele Jahre reichte mir das voll und ganz, wenn man mal von zwei drei kurzen Affären absieht, die es in dieser Zeit gab.
Geendet hat es ebenfalls auf einem Spaziergang. Wir kamen kaum mehr vorwärts, denn ich machte keine Vorschläge, in welche Richtung wir gehen sollten. Ja, ich versuchte sogar, hinter ihm zu laufen, was ihn schwer irritierte, denn normalerweise ging ich auf engen Wegen voran. Ohne greifbaren Grund waren wir auf einmal sehr aggressiv gestimmt: ich hatte mich verändert, wollte mal folgen und nicht mehr führen. Damit konnte er nicht umgehen, unsere „Rollen“ stimmten nicht mehr friedlich und passgenau zusammen. Wir setzten uns auf eine Wiese, fanden kaum Worte für das, was mit uns geschah – doch wir beschlossen an diesem Tag im Sommer 2002, auseinander zu ziehen.
Angekommen
In den letzten Jahren ist mir dann aufgefallen, dass die Männer, die mir seitdem im Reich der Erotik etwas bedeuten, körperlich einem bestimmten Typ entsprechen: groß, stattlich, so dass ich zu ihnen aufsehen muss, wenn ich mit ihnen rede. Ha, genau diesen Typ hatte ich zuvor gemieden wie die Pest: Keiner meiner früheren Beziehungspartner überragte meine 165 mehr als einen halben Kopf! Was für ein AHA-Erlebnis: mein Vater war so GROSS gewesen, breitschultrig, massig – und in meinem Versuch, ihm zu entkommen, hatte ich alle Männer abgelehnt, denen ich nicht „auf gleicher Augenhöhe“ gegenüber treten konnte. Ich hatte körperlich verwirklicht, wonach es mich geistig verlangte! Und gar nicht bemerkt, dass ich psychisch und geistig eben NICHT auf gleicher Augenhöhe agierte, sondern immer noch als das Mädchen, das um die Anerkennung des Vaters buhlt, bzw. immer erst beweisen muss, dass es „genauso gut“ ist wie das männliche Gegenüber.
Dass dem nicht mehr so ist, manifestiert sich in der Tatsache, dass ich jetzt „auf große Männer stehe“, die körperlich meinem Vater ähneln. Endlich lebe ich in Frieden mit meinen Liebsten und die Lust folgt den ursprünglichen Prägungen auf den ERSTEN Mann im Leben eines jeden Mädchens. Ich kann ebenso gut führen wie folgen und mich an beidem erfreuen, muss nicht mehr intellektuell glänzen und finde es normal, dass Mann mich liebt, wie ich bin: psychisch, geistig, und auch körperlich – sogar ohne dass ich mich darum bemühen müsste, „jünger auszusehen“. Prickelnde Erotik entsteht nicht im Fitness-Center oder beim Schönheitschirurgen, sie lässt sich nicht als Klamotte kaufen und auch nicht in Büchern „anlesen“. Wer mit sich selber glücklich ist und den Partner nicht als Bestätigung dringlich braucht, muss den „Geschlechterkampf“ nicht mehr führen, sondern kann ihn SPIELEN und lustvoll inszenieren – in gewissen Stunden…
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23 Kommentare zu „Die LIEBE und das ÄLTER WERDEN“.