Mehrere Tage ohne das morgendliche Diary-Schreiben bringen mich in eine neue Form von Entzug, doch noch nicht in neue Dimensionen der Arbeit, bisher nicht. Zwar staut sich das, was normalerweise alsbald zum Ausdruck kommt, nun zu größeren Mengen an und entfaltet mehr Druck, mehr Verlangen, mehr Drive. Dennoch packe ich es einfach nicht, die Energie sinnvoll zu nutzen und von der Gedankenebene auf die symbolische Schiene zu kommen.
Im Kopf schreiben sich gleich mehrere Kurzessays gleichzeitig, doch wenn ich mich hinsetze und das in eine konsumierbare Form bringen will, läßt der Elan schnell nach, versickert nach ein paar Sätzen wie ein Glas Wasser in der Wüste – warum nur? Es ist, als wandele mich in dem Moment, in dem etwas vom Möglichen ins Wirkliche übergeführt werden soll, mit aller Macht die Sinnfrage an, also immer dann, wenn es beginnt, in irgend einer Weise anzustrengen.
Wenn ich Familien mit Kindern sehe, beneide ich sie manches Mal. Sie verströmen eine Anmutung von Normalität, Sinn, Selbstverständlichkeit, Fraglosigkeit, konkretisierter Form und Heimat in dieser Form, wie es ein einzelnes Individuum niemals zustande bringen kann. Das große „Worum willen“, das als unbekannter Beweger hinter allen Aktivitäten steht, ist ein- für allemal geklärt, es gibt nur das „Wie?“, aber keine Überlegung, ob überhaupt, und wenn ja, warum eigentlich…
Dieser eigenartigen Schaffenskrise kann ich mich nur hingeben, weil derzeit kein Druck aus dem Bereich der Brotarbeit auf mich wirkt. Und genau darauf habe ich ja hingearbeitet! Es war mein größter Wunsch, einige Zeit frei zu haben, undefiniert frei, nicht etwa Urlaub oder Krankheit oder Töpfern in der Toscana. Wenn ich mich so umsehe, gibt es kaum Leute, die einfach mal untätig sind, ohne Plan und Ziel, ohne vorgegebenen Zweck. Nein, es ist im Gegenteil so, dass praktisch alle guten Freelancer, die ich kenne, überlastet, ausgebucht und bis ins nächste Jahr verplant sind. Sie arbeiten und arbeiten – ja woraufhin eigentlich? Ist das eine unzeitgemäße Frage? Ist Arbeiten & Geld verdienen mittlerweile selbst letztes Ziel und finaler Sinn? Wir arbeiten, damit wir nicht aus dem Geschäft kommen, damit wir immer weiter arbeiten dürfen?
Ich kenne vier Gründe, um zu arbeiten: Lebenserhaltung, Anerkennung, Freiheit, Selbstvergessenheit. In dieser Reihenfolge werden sie bewußt, werden sie wichtig und wieder unwichtig. Der Bereich der Lebenserhaltung ist keineswegs so groß, wie man gemeinhin denkt. Würden alle nur soviel arbeiten, wie unbedingt nötig, wäre der ganze wirtschaftliche Umtrieb längst nicht so auschweifend. Die Sehnsucht nach Anerkennung treibt dagegen viel weiter als die Notwendigkeit, und wer die Siegertreppchen nicht (mehr) braucht, wünscht zumindest Freiheit – Freiheit in Zeit und Raum, also in der Regel genug Geld auf der Kante.
Doch es gibt keine wirkliche Unabhängigkeit, man ist immer im Austausch, immer betroffen von Anderen, von der Umwelt, der Gesellschaft. „Fertig werden“ ist keine ernstzunehmende Arbeits-Utopie, und das ist sogar ebenso schön wie schlimm: Der untätig am Strand herumlungernde Millionär aus der Werbung ist nur eine lächerliche Figur, der alsbald schon psychisch vor die Hunde gehen würde, fände er keinen ganz persönlichen Sinnhorizont – tätig oder untätig.
So bleibt also nur die Selbstvergessenheit: Etwas arbeiten, in das ich so hineinversinke, dass es daneben nichts mehr gibt, vor allem nicht mich selbst mit meinen langweiligen Anliegen. Wenn ich zum Beispiel im Fotoshop experimentiere oder ein Webprojekt designe, manchmal auch, wenn ich einen Text niederschreibe – dabei bin ICH als Konglomerat von Gedanken, Fähigkeiten und Energie genau so wichtig oder unwichtig wie die Maus, die Tastatur, die Grammatik, der Strom oder sonstige Komponenten, die zum fertigen Werk führen. Ich falle dabei also sinnvoll in eins zusammen mit allem, was sonst noch da ist und mitwirkt. Es gibt nichts Schöneres, aber leider läßt es sich nicht zwingen. Weil es derzeit nicht gelingt, die Selbstvergessenheit in der Arbeit zu erleben, wechsle ich einfach die Ebene und switche in die Sinnlichkeit: Musik hören, Saunabesuche, Yoga-Übungen, einfach nur daliegen….
(Ich hoffe ja doch, dass sich das bald mal wieder ändert! :-)
Meine Musikempfehlung heute: Einstürzende Neubauten – Silence is sexy)
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