In den letzten Tagen hab‘ ich mich mal wieder nach Sinn & Ziel dieses Diarys gefragt. Tatsache ist, dass es mir großen Spaß macht, dass ich mich freue, wenn die „Schreibzeit“ anbricht, wenn ich – meist ohne vorher festgelegtes Thema – so in mich „versinke“ und warte, bis Worte und Sätze kommen. Oft sind es dann gleich mehrere Themen, die erstmal miteinander konkurrieren, letztlich kann ich nicht sagen, wie und warum nun DIES und nicht JENES die Datei füllt, auf jeden Fall befriedigt es mich, was immer es ist. Das Hinschreiben an sich ist wohltuend und wenn ein Beitrag ins Netz gestellt und das Forum gesichtet ist, könnte ich eigentlich den PC ausmachen.
Und da liegt einer der Hunde begraben, die mich dazu bewegen, wieder einmal etwas zu verändern: Für mein Schreiber-Ego ist es das Größte, völlig frei über „mich und die Welt“ zu schreiben (und auch noch gelesen zu werden!). Normalerweise hat man andere Schreibaufgaben und versucht, in jedes Werk, das seinem Zustandekommen einem bestimmten Zweck oder Auftrag verdankt, soviel wie möglich vom EIGENEN zu verpacken. Das ist ein Kampf im Spannungsfeld der Formate, Traditionen, Moden – eben all der Erwartungen Dritter, und dem eigenen Drang, sich auszudrücken und einfach nur zu schreiben, was man will.
Im Digital Diary brauche ich nicht zu kämpfen. Es befriedigt mein Schreibbedfürfnis optimal, denn es gibt keine Grenzen ausser denen, die ich mir selber setze. Natürlich ist es mir ein bißchen zu wenig, ein Stück zu flach, die Stunde am Morgen ist zu kurz, um tiefer in ein Thema einzusteigen. Das aber kommt vermutlich dem Leser entgegen, der hier ja auch nur einen kurzen Moment der Ablenkung, Entspannung, Anregung sucht, keineswegs irgend eine Anstrengung oder gar längere Texte. Statt Tiefe und Länge bietet das Diary immerhin Regelmäßigkeit, eine vergleichsweise große Bandbreite an Themen und dazu all das, was rund um die Beiträge NOCH stattfindet: die Forumsgespräche, Privat-Mail, mancher Kontakt, der in Richtung Zusammenarbeit geht und vieles mehr.
Herzblut ist knapp
Kurz gesagt: Das Diary befriedigt mich so sehr, dass ich für andere Schreibvorhaben keinen emotionalen Bedarf mehr habe. Sie erscheinen als reine Pflicht, weil ich nicht mehr danach giere, mich in sie soweit einzubringen, dass auch etwas von mir ‚rüberkommt. Das hab‘ ich ja morgens schon in Reinform erlebt und es reicht für den Tag. Blosse Pflichten und Dienstleistungsvorhaben schiebe ich gern vor mir her, solange es nur immer geht oder lasse sie ganz, wenn ich nicht muß.
Es ist offenkundig, dass ich SO nicht weitermachen kann, wenn mir mein Schreiberleben lieb ist. Ich bin nun mal keine belletristische Literatin und will es auch vorerst nicht werden (vielleicht, wenn ich über 60 bin…:-). Ich mach‘ gerne was richtig Nützliches, auch hier im Diary komme ich ja gelegentlich auf Themen, die eine andere, umfassendere und intensivere Behandlung verdient hätten (Webdesign, Selbstdarstellung im Netz, durchaus auch der Komplex „Rauchen/Sucht“).
Immer wieder schreiben mich Leute an und wünschen Hilfe bei ihrer Homepage. Das zeigt mir, dass es eine Nachfrage gibt nach dem, was ich in meinen fünf Webjahren gelernt habe und was ich – neben meinen Webdesign-Aufträgen – weitergeben könnte. Es gibt ja wahrlich genug allgemeine How-to-Seiten im Web, deshalb wollte ich das erst nicht glauben. Doch ich erlebe, dass Leute ganz konkret solche Seiten machen wollen, wie ich sie bevorzugt erstelle: unspektakulär und schlicht, aber durchaus professionell, zudem mit dem gewissen emotionalen Touch und stets in einer gewissen Entfernung vom Mainstream.
Und weiter: Die Umfrage da oben rechts ist eigentlich auch nicht just for fun da, sondern sollte ermitteln, ob es Bedarf gibt nach dem Thema „Selbstdarstellung im Web“ – das Ergebnis ist ja wohl deutlich! Ich plane einen umfangreichen Hypertext dazu, das Konzept steht schon und eigentlich brauch‘ ich alles nur ‚runterzuschreiben – wenn, ja wenn ich mal von diesem gemütlichen Diary loskommen könnte. Im Zuge des Artikels muß ich als erstes meine eigene kommerzielle Site völlig neu schaffen – die Vorhandene war nicht wirklich ernst gemeint, weil ich meine Aufträge auf anderen Wegen bekam, und ist zudem von 1997, also total veraltet!
All diese Vorhaben sind mir wichtig, aber sie brauchen die Energie, die bisher täglich in dieses Diary fliesst, um verwirklicht zu werden. Ich war noch nie eine Malocherin, die sich lustlos zu etwas zwingen kann, allenfalls kann ich mehr oder weniger geschickt mit den eigenen Motivationen umgehen. Vom jahrelangen Diary-Schreiben (es geht ja praktisch seit 1998, seit dem Nichtrauchertagebuch) hab‘ ich richtige Disziplin gelernt: täglich schreiben, immer zur selben Zeit, schnell und manchmal auch viel schreiben, korrigieren, kürzen (!) – und all das ist mir sogar zum Bedürfnis geworden. Jetzt brauche ich nur die Schreibzeit zu verdreifachen und das Ganze anderen Themen und Projekten widmen, dann könnte ich richtig nützlich sein und was leisten!
Real Life ist banal
Ein anderer Aspekt, der mich zu mehr Distanz in Sachen Webdiary bewegt, ist der Wunsch, nicht in eine Big-Brother-Situation abzugleiten. Ob man nämlich eine Kamera aufstellt oder mit Worten den direkten Einblick ins Innere verschafft, ist nur eine andere Ebene, nicht eine andere Qualität.
Mein Stil, dies zu vermeiden, war immer, die Ereignisse und Erlebnisse aus meinem Leben soweit zu abstrahieren, um darüber in verallgemeinernder Form philosophierend schreiben zu können. Dieses Verfahren ist aber endlich, die Abstrahierungen münden in Wiederholung und erzeugen Bedarf an phänomenalen Beschreibungen aus dem realen Leben. Wenn ich als Schreiberin den Focus meiner Aufmerksamkeit nicht darauf lege, die künstlerische Form zu steigern (= literarischer oder philosophischer werden), dann gerate ich auf das Gleis, einfach mehr zu beschreiben, auf dass sich der Leser selber eine Meinung bilde.
Doch in einem öffentlichen Webdiary will ich nicht mein „reales Leben“ in den KONKRETEN Einzelheiten ausbreiten. Ja, man kann mal über die Hühner schreiben, aber nicht über den Lebensgefährten, die Freunde und Nachbarn, die Auftraggeber und Kollegen. Das empfinde ich als Verrat an der jeweiligen Beziehung, die immerhin zwischen zwei Personen geknüpft wurde und nicht (von beiden Seiten!) als „Veranstaltung“ fürs WORLD WIDE WEB gemeint war, freigegeben zur Berichterstattung, zu Bewertung und Kritik.
Auch mich selbst in all meinen Schattenseiten will ich keineswegs öffentlich vorführen, und die müßten schon dabei sein, wenn ich auf die „erzählerische Schiene“ einschwenke. Selber lese ich gelegentlich Tagebücher von Autoren, die sich „schonungslos“ in allen Tiefen und Höhen ausbreiten. Die im Namen der Offenheit und Ehrlichkeit nichts auslassen, was sie im täglichen Leben beeindruckt hat. Man kann zu solchen Menschen keinen Kontakt mehr aufnehmen, denn man muß damit rechnen, sofort in ihren Schriften vorzukommen. In der Regel leben sie in zwei Welten, ihre Partner und Bekannten leben „netzfern“ und lesen also nicht mit, was über sie geschrieben wird. Für mich wäre so eine Lebensweise undenkbar. Auch deshalb, weil alles „Reale“ auf diese Art zu Material für’s Schreiben wird, ganz wie der Sonnenuntergang schon Bild ist, wenn ich ihm mit der Kamera entgegenwarte.
Schlußendlich ist das reale Leben – ob mein’s oder dein’s oder das dieser ‚offenen‘ Autoren oder auch das der Leute im Big-Brother-Container oder vor den WebCams dieser Welt unendlich banal. Immer dasselbe: Lust und Leid, Ehrgeiz und Scheitern, Verliebtheit, Beziehungsstress, Liebeskummer, Sexprobleme und Sucht, Krankheit, Alter, Tod. Die Kunst der Kommunikation beteht darin, aus diesem „Material“ ein MEHR zu machen, oder auch nur die Illusion eines „mehr“. Bedeutung schaffen, um sie dem Tod entgegen zu halten – mehr nicht, aber das immerhin. Darauf will ich nicht ohne Not verzichten.
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