Claudia am 02. September 2023 —

Wie wir die Krisen durchstehen (könnten…)

Worum gehts? Klimawandel, Energiewende, Inflation, wieder mehr Flüchtlinge, extremer Arbeitskräftemangel, drohender wirtschaftlicher Niedergang mit Wohlstandsverlusten, Wohnungsnot – und das alles nach dem Coronastress mit Lockdowns und Maßnahmen, mit Homebüro, Schulschließungen, gerissenen Lieferketten, Jobverlusten und Wegfall der Existenzgrundlage bei vielen Selbständigen und kleinen Unternehmen. Viel Veränderung war und ist in all diesen Krisen auszuhalten, jedoch hatten und haben bei weitem nicht alle gleich gute Möglichkeiten, die Folgen fürs eigene Leben locker auszubalancieren!

Vielfach gespalten, zerstritten bis in die Familien

Kein Wunder, dass wir jetzt eine vielfach gespaltene Gesellschaft sind, die sich aus immer mehr guten und schlechten Gründen weiter zerstreitet. Blöd nur, dass die aktuellen Probleme, die uns doch alle betreffen, mehrheitlich getragene Antworten erfordern – und die werden immer unwahrscheinlicher, je gespaltener und zerstrittener wir sind. Man hört einander oft gar nicht mehr zu, die „Meinungscluster“ sind fest geschlossen, gefährlich viele haben gar kein Interesse mehr an einer vernünftigen Diskussion.

Es erinnert an die biblische Geschichte vom Turmbau zu Babel: eine „Sprachverwirrung“ hatte die notwendige Verständigung der am Turm bauenden Menschen untereinander unmöglich macht, also scheiterte das Projekt. Heutzutage brauchen wir keinen Gott, der eine Sprachverwirrung als Strafe für die Hybris verhängt, ihm gleich sein zu wollen. Wir schaffen das ganz allein mittels der „Sprechverweigerung“, der vielstimmigen Entscheidung, gegeneinander zu kämpfen statt miteinander Lösungen zu suchen. Das aber muss sich ändern, wenn es noch eine Hoffnung auf Besserung geben soll – genau das!

Wir müssen uns nicht mögen, aber…

„Ach, du bist halt ein Hippie!“ sagt mein Liebster zu diesen Thesen. Damit fühle ich mich trotz gewisser Sympathien nicht ganz getroffen, denn schwärmerisches Beschwören von „Love, Peace und Happyness“ ist sicher nicht das, was uns derzeit voran bringt!

Was es braucht, ist die Rückbesinnung auf jene urmenschliche Fähigkeit, die uns – im Vergleich mit anderen Tieren – so erfolgreich gemacht hat: Kommunikation, die zur Kooperation genutzt wird, um gemeinsam Probleme zu lösen. Dafür müssen wir uns nicht mögen, aber soweit Respekt voreinander haben, um berechtigte Ängste und auch Wut über erlittene Ungerechtigkeiten nicht ignorant vom Tisch zu wischen. Und vor allem braucht es die Einsicht, dass verschiedene Entwicklungen ein Gefahrenpotenzial mitbringen, die entschlossenes Handeln erfordern – was mit der Methode „im Zweifel gegeneinander“ sicher nicht gelingt.

Typisch deutsche Frage: Wer ist zuständig?

Wer aber ist mit diesen Vorhaltungen eigentlich angesprochen? Wer ist in der Bringschuld und sollte Kooperieren statt sich weiter zu zerfleischen? So, wie unsere Gesellschaft politisch verfasst ist, mag man denken: Die Politik, die Parteien, die Regierung, die Verwaltung, der Staat – die sollen es richten, an sie haben wir das „Kümmern ums Gemeinwohl“ doch delegiert. Allerdings sind wir eine repräsentative Demokratie und das bedeutet: Politisch bildet sich in Parlament und Regierung Konsens und Dissens der Staatsbürger ab – so einig und so gespalten, wie es der Realität in der Gesellschaft entspricht. Das ist auch jetzt so, wie das Verhalten der Hauptakteure zeigt:

  • Die dauerstreitende Ampel, die zwar einiges, aber bei weitem nicht genug voran bringt, die es einfach nicht schafft, ihre Dissense ohne Schlagabtausch intern zu lösen,
  • Die CDU/CSU-Opposition, die mit Merz jetzt gegen alles ist, was von der Ampel kommt, die auf unsere Mega-Probleme scheißt, Hauptsache, man kann den Grünen („Hauptgegner“) eins reinwürgen.
  • Die LINKE, kaum mehr vorhanden – da brauch ich wohl nicht mehr zu sagen!
  • Und dann der Aufsteiger AFD, partiell gesichert rechtsradikal, anti-demokratisch, faschistisch – dazu aber auch Sammelbecken vieler, die aus Gründen eine „Wut auf…“ etwas oder jemanden haben, dem gegenüber sie sich machtlos und untergebuttert fühlen, die es jetzt „denen da oben mal zeigen“ wollen.

Sie alle werden es nicht richten, werden unsere Probleme nicht lösen (oder auch nur ertragbarer machen), wenn sie so weiter machen wie bisher! Im Gegenteil, die Dinge verschlimmern sich, wobei zu sämtlich aktuellen und zu erwartenden Krisenfolgen noch zunehmende Unsicherheit, Perspektivlosigkeit, Wut und Hass der vielen Unzufriedenen hinzu kommen.

Sich einmischen, Kooperation einfordern!

Womöglich wird „die Politik“ alleine es also nicht schaffen – aber wer dann? Da kommt eigentlich nur die meist weniger laute Mehrheit in Frage, die vielen Menschen, die sich konstruktive Lösungen wünschen und keinen Bock auf Pseudo-Debatten und das Feiern der Dissense haben. Wir müssen uns mehr einmischen, lösungsorientiertes Denken und Verhalten einfordern, aber auch selbst praktizieren, im eigenen Umfeld und überall da, wo es Möglichkeiten zur Einwirkung gibt!

Demokratie kann auf Dauer nur erfolgreich verteidigt werden, indem die jeweilige Bürgerschaft sich zusammen rauft und mehrheitlich getragene Lösungen findet! Gelingt das nicht oder immer weniger, werden jene Zuwachs bekommen, denen das egal ist, die auf Demokratie und Rechtsstaat pfeiffen und von einer Machtergreifung der „Volksopposition“ träumen – wie etwa Höcke:

Die Sehnsucht der Deutschen nach einer geschichtlichen Figur, welche einst die Wunden im Volk wieder heilt, die Zerrissenheit überwindet und die Dinge in Ordnung bringt, ist tief in unserer Seele verankert, davon bin ich überzeugt.“ Und:Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen, dann werden die Schutthalden der Moderne beseitigt“.

(Quelle B. Höcke: „Niemals zweimal in denselben Fluss“)

Politisch desaströs: demnächst Sachsen – und dann?

So würde in Sachsen gewählt, wenn am Sonntag Landtagswahl wäre:

Sonntagsfrage Sachsenwahl

Tatsächlich findet die nächste Sachsenwahl im Herbst 2024 statt. Zur Zeit regiert eine Koalition aus CDU, GRÜNEN und SPD. Wenn der Trend anhält wird es jedoch vier, vielleicht sogar fünf Parteien brauchen, um die AFD vom Regieren abzuhalten.

Wird irgendwo ernsthaft darüber gesprochen, was dann passieren soll? Und ist die Befürchtung, im Bund könne es mit etwas Verzögerung ebenso kommen, etwa allzu weit hergeholt?

Unter der Grafik zur Sachsenwahl finden sich auf Twitter hunderte Kommentare: Schlagabtausch, Hass und Hetze, Schuldzuweisungen, Zynismus, Auswanderungs-Empfehlungen und Ankündigungen – konstruktiv will hier niemand sein.

Dabei gibt es doch nur wenige Optionen, mit einem solchen Wahlausgang umzugehen – mal optimistisch davon ausgegangen, dass Merz’ Versprechen („Brandmauer steht“) tatsächlich bis nach der Wahl hält:

  1. Die vier bis fünf Parteien müssen sich einigen (kooperieren!) und eine Regierung bilden
  2. oder man lässt die AFD als stärkste Partei eine Minderheitsregierung bilden – und schmettert dann im Landtag alles ab, was der bisherigen Politik der 3-er-Koalition widerspricht.

Die erste Variante wird hohe Anforderungen an die Kooperationsbereitschaft stellen und verlangt eigentlich schon jetzt von den Beteiligten, die Gräben zwischen den Parteien auch im Bund (!) nicht zu tief werden zu lassen!

Die Variante „Minderheitsregierung der AFD“ hätte den Hauch des radikal Kreativen: Sollen sie doch mal sehen, wie es ist, wenn man vom „dagegen sein“ in konkretes Handeln wechseln muss! Das sind sie nicht nur nicht gewöhnt, das können und wollen sie auch nicht = und es würde überdeutlich sichtbar. Abwählen kann man sie ja jederzeit, wenn’s dann genug ist mit der Demonstration der Unfähigkeiten.

Es ist aber auch eine zugegeben unwahrscheinliche Variante, denn es müsste eine große Mehrheit so wollen, auch über das Land hinaus. Und einmal im Amt, könnten sie evtl. doch allerlei Schlimmes anrichten, bevor sie wieder weg von Fenster wären. (So genau kenne ich mich nicht damit aus, wieviel eine Minderheitsregierung ohne Mehrheit im Land ändern könnte.)

AFD verbieten? Auch dann wäre der Unmut nicht weg!

Es gibt noch eine DRITTE Möglichkeit: Die AFD nicht nur partiell, sondern insgesamt als „erwiesen rechtsradikal“ begutachten und dann verbieten. Ein NPD-Verbot wurde 2017 vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt „wegen fehlender Anhaltspunkte für eine erfolgreiche Durchsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele“. Die NPD erschien insgesamt zu schwach und kaum noch aktiv. Für die AFD kann das heute sicher nicht so gesehen werden, wenn es einer Allparteienkoalition bedarf, um ohne sie zu regieren.

Immerhin gibt es aktuell ein wenig Bewegung, z.B. hat der Volksverpetzer eine Petition an den Bundesrat gestartet „Prüft ein AFD-Verbot!“ und manche setzen ihre Hoffnung auf eine Wagenknecht-Partei, die die AFD entscheidendes Stimmen kosten könnte.

***

Jetzt bin ich wieder mal allzu tief in die Niederungen der Realpolitik eingestiegen – eigentlich hatte ich das gar nicht vor! Egal was in Sachen AFD passiert, wären die potenziellen Wähler/innen ja nicht plötzlich anderer Meinung, weniger in Fundamentalopposition, weniger wütend und unzufrieden. Und auch abseits der AFD gibt es jede Menge Menschen, die mit den bestehenden Verhältnissen hadern, Existenzängste schieben, für sich keine Perspektiven sehen und die Zukunft vor allem als ein Bündel voller Drohungen fürchten.

Wie wir die Krisen durchstehen könnten….

Der Parteienstaat wird alledem nicht abhelfen, bzw. immer nur ein Stück weit da, wo am meisten Druck gespürt wird. Alternativen haben wir nicht, es hat sich auch noch keine als besser erwiesen, ganz im Gegenteil!

Es kommt – da führt kein Weg dran vorbei – auf die „Zivilgesellschaft“ an:

  1. Wir alle müssen wieder mehr dazu bereit sein, Konflikte und widerstreitende Interessen friedlich zu verhandeln und Kompromisse zu finden.
  2. Anstatt im Negativen zu kreisen, nur zu schimpfen, zu kritisieren, zu entlarven und zu verdammen sollten wir unsere Energie wieder mehr darauf richten, positive Entwicklungen wahrzunehmen, anzustoßen, zu unterstützen und zu verbreiten.
  3. Was unterscheidet mich? Wo bin ich besonders? Wie kann ich für mich das Beste herausholen? Sich immer nur das zu fragen und entsprechend zu handeln, reicht nicht aus, um ein lebenswertes „Gemeinwesen“ aufrecht zu erhalten. Sogar die oberen 10 Prozent unserer Mitbürger/innen haben doch mehrheitlich keine Lust, irgendwann nurmehr in gut bewachten gated Communities ihres Lebens sicher zu sein!
  4. Wo können wir helfen? Was fehlt, das ich geben kann? Was kann ich Schädliches unterlassen, ohne dass mir gleich ein Zacken aus der Krone bricht? Ja, es gibt so viel sinnvollere Fragen als die unter Punkt 3!
  5. Mehr reales Leben wagen statt ständig im schier überwältigenden Strom negativer Nachrichten zu baden! Das ist nämlich nicht nur deprimierend, sondern auf Dauer auch gesundheitsschädlich!

Zusammenarbeit, Kooperation, Kommunikation – wir Menschen können das eigentlich gut. Erinnert Ihr noch die erste Coronaphase? 90 bis 95 % Zustimmung zu Lockdown und Maske, große Solidarität untereinander, nachbarschaftliche Hilfe, auch viel frei gesetzte Kreativität. Oder die umfangreiche, schnelle und sogar nachhaltige Hilfe vieler Freiwilliger nach der Ahrtal-Katastrophe: Wenns wirklich brennt, schaffen wir vieles, was vorher unmöglich schien!

Das macht doch immerhin ein wenig Hoffnung, oder?

***

Für heute mach’ ich Schluss mit Schreiben und widme mich dem realen Leben: 800 Meter neben meiner Wohnung soll eine Autobahn mitten durch die Stadt geführt werden – das darf so nicht kommen, es ist eine uralte, nicht mehr Zeit-gemäße Planung, Deshalb geht’s nachher zur Kungebung „A100 wegbassen“ – und Euch wünsch’ ich ein schönes Wochenende!

***

Siehe auch:

Immer mehr Menschen vermeiden Nachrichten bewusst. Grund dafür ist der Stress durch Krieg und Krisen. Könnte der Konstruktive Journalismus die Lösung sein?

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Diskussion

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8 Kommentare zu „Wie wir die Krisen durchstehen (könnten…)“.

  1. Ob es auf dieser Welt noch ein Volk wie uns gibt, dass es so umfassend wie umfassend versteht, sich bzw. das eigene Land schlechtzureden? Wann gab es zuletzt eine Phase, in der die Mutlosigkeit solche Ausmaße hatte? Dagegen war die Agonie des Landes zum Ende der Kohl-Ära ja fast ein Klacks. Trotz Millionen von Arbeitslosen.

    Keiner fühlt sich zuständig. Aber alle scheinen zu wissen, dass die Politik es richten muss. An die Leute, die Politik machen, will aber auch keiner mehr so richtig glauben.

    Claudia, Danke für deinen Artikel. Hoffentlich kriegen wir uns wieder ein. So kann es nicht weitergehen, oder wir schauen wirklich in einen abgrundtiefen Schlund.

  2. Ein interessanter und ausführlicher Beitrag, @Claudia, der erst mal bei mir sacken muss.

    Eine Frage die mich dabei umtreibt ist, woher die „Unfähigkeit“ zum kompromiss- und konfliktbereiten Dialog herrührt, die kaum noch einen respektvollen Umgang miteinander zulässt. Mit „Unfähigkeit“ meine ich, dass es nicht böser Wille des Einzelnen ist, die eigene Positionen in Frage zu stellen oder zu verschieben, sondern es wirklich und einfach nur eine „Unfähigkeit“ ist.

  3. Herzlichen Dank für Eure Kommentare!!! Dieser Artikel musste wirklich raus, auch wenn ich weiß, dass sich kaum jemand auf so etwas kommentierend einlassen will. (Die Erfahrung ist eher: je kleiner und konkreter das Thema, der besprochene Wirklichkeitsausschnitt, desto eher wird es kommentiert).

    Horst: ich werde immer skeptischer, was den jeweiligen Blick auf die aktuellen Verhältnisse in der Gesellschaft angeht (obwohl ich das selbst auch mache, wie der Artikel zeigt). Wenn du etwa von der „Mutlosigkeit“ sprichst, die nie da gewesene Ausmaße angenommen habe – woher stammt das? Doch vermutlich aus Medien, die wesentlich mehr geworden sind und in kurzer Frequenz negative, beängstigende, zur Sorge Anlass gebende News raus hauen. Dazu das Jammern, Klagen, Schimpfen und Haten der sozialen Medien… Jene Bereiche und gesellschaftliche Akteure, die davon kaum berührt sind oder sich positiven Änderungen und Lösungen widmen, kommen kaum vor. Dazu gehört auch die „meist schweigende Mehrheit“, die nicht zu Extremen neigt und der es nach wie vor ganz gut, jedenfalls nicht besonders schlecht geht.

    @Menachem: du meinst, es sei wirklich eine „Unfähigkeit“, keine Unwilligkeit? Für alle Kommunikationsverweigerer kann man vermutlich weder das eine noch das andere nachweisen, aber mich wundert, dass du das überhaupt so siehst, weil ich – als wär das selbstverständlich – meist davon ausgehe, dass es eine Unwilligkeit ist. Bei einem gewissen Anteil besonders hassvoll vorgetragener Äußerungen denke ich, es ist in dem Sinne eine „Unfähigkeit“, dass der „eigene Standpunkt“ gar nicht so fest ist, sondern aus Gründen der Zugehörigkeit zu einem Protestspektrum so eingenommen wird. Klar kann so jemand eine ernsthafte Debatte schon intellektuell gar nicht bestehen, weil der Standpunkt kein Ergebnis eigener Denkarbeit (inkl. Recherche, Abwägung andere Meinungen) ist.

  4. Das ist mal wieder ein gründlicher Rundumschlag. Und natürlich stimmt es: kleine Häppchen können leichter kommentiert werden als so eine Umschau. Deshalb beschränke ich mich auf wenige Teile von denen ich ein wenig Ahnung zu haben glaube.

    Unsere Gesellschaft (und ich schließe mich nicht aus) ist lange dem amerikanischen Way of Life nachgerannt. Viel arbeiten muss sich finanziell sehr lohnen. Vom Ergebnis leisten wir uns was. Dabei ist die Diskursfähigkeit zu kurz gekommen. Das kam unserer politischen Elite (durchaus nicht positiv gemeint) gerade recht. So entwickelte sich der Bundestag von einem Gröl- und Beleidigungshort eines Wehner, eines Strauß, eines heute verklärten Schmidt zu einer immer mehr vor allem verbalfähigen Quasselbude von Juristen und solchen, die es gerne wären oder würden, deren Lösungskompetenz für anstehende Probleme nicht besonders hoch war, deren Kompetenz für Zukunftsfragen noch weiter unterentwickelt ist. Eine Enquete-Kommission zum demographischen Wandel hat fast alles beschrieben, was wir jetzt als unlösbares Problem nicht mehr übersehen oder verstecken können. Es ist ihnen gelungen uns so sehr in juristische Kompliziertheit zu manövrieren, dass ein Hausbau fast so kompliziert ist wie der Bau eines Krankenhauses, dieser so kompliziert wie ein Atomkraftwerk. Alles vor allem „gut gemeint“. Und dabei sehr ärgerlich.

    Gleichzeitig hat dieser Gesetzgeber es vermocht uns einzulullen in eine inaktive Gesellschaft von Versorgten und Anspruchstellern. Die Eigeninitiative ist geradezu abgetötet worden, Versorgung wird erwartet, Selbsthilfe wird in Sonntagsreden hofiert aber durch Haushaltskürzungen nach jahrelanger Verkomplizierung durch immer mehr und immer undurchschaubarere Regelwerke (zwischendurch eine Engagementstiftung irgendwo im Osten wo Selbsthilfe zwar traditionell gelebt, mit der Wende aber geradezu ersetzt wurde durch kollektives Misstrauen) klein gemacht, handhabbar. Gemeinnützige Vereine werden bestraft wenn sie sich politisch engagieren, die Gemeinnützigkeit wird ihnen aberkannt.

    Keine der politischen Parteien will daran was ändern, es würde eventuell ja ihren Machtanspruch angreifen. Die Finanzierung der politischen „Stiftungen“ ist generös, ehe man das verkleinert (im Sinne von „wirken mit“ statt „beherrschen die Themen“) lässt man selbst erklärte Feinde der Demokratie (sind das wirklich die einzigen Feinde derselben?) am Honigtopf schlecken.

    Du weißt, dass ich mich neben dem Schimpfen in der Behindertenselbsthilfe und dem Gesundheitssystem engagiere. Denn ich will einfach nicht einsehen, es so laufen zu lassen.

    Ich lese Pressespiegel und nur noch zwei Zeitungen (und die mit zunehmend abnehmender Lust) um ein paar Fakten mitzubekommen. Dabei erlebe ich wie Journalismus bzw. dessen Aufmerksamkeitsökonomie wirkt. Dann schaue ich noch Nachrichten am frühen Abend und bin bedient. Deshalb privatisiere ich dann gerne und schaue meiner Tochter zu, die so ganz anders tickt. Und dann geht es mir ziemlich gut, trotz alledem.

    Das wünsche ich Dir natürlich auch, wenn’s auch schwer ist.

    Lieben Gruß
    Wolf

  5. Ja, @Claudia, ich denke das stimmt ebenfalls, dass es auch eine „Unwilligkeit“ gibt, sich tiefergehend mit den Themen im Diskurs auseinanderzusetzen, auch, weil es eine eigene Denkarbeit voraussetzen würde. Aber auch diese spezielle „Unwilligkeit“ speist sich m.E. nach aus einer Unfähigkeit. Den einen ist es nicht gegeben, die anderen haben sich nie darin geübt, den anderen ist es „peng“…. Das ist nicht wertend, es ist einfach so.

    Ich möchte dich dazu aus deinem sehr berührendem und nachdenklichen Beitrag aus 2002, den Wolf oben verlinkt hat, metaphorisch zitieren:

    „Wir sehen immer nur das Defizit, das, was den……. fehlt, aber niemals das, was sie uns – deshalb! – voraus haben. Und schon gar nicht das Potenzial, das sich aus diesen Andersartigkeiten, die auch Fähigkeiten sind, ergeben könnte.“

    Ein Statement, dass ich unterschreibe.

    Und ich denke, @Claudia, das es im Rahmen der ganz individuellen und persönlichen Disposition einen Unterschied macht, ob dies eine Erkenntnis oder ein Glaube ist.

  6. @Wolf-Dietrich: was für eine grandiose, aber eben auch deprimierende Analyse des Stands der Dinge und der Entwicklungen dahin. Deprimierend insbesondere deshalb:

    „Keine der politischen Parteien will daran was ändern, es würde eventuell ja ihren Machtanspruch angreifen.“

    Du setzt ein absichtsvolles Zusammenwirken aller Parteien voraus – ich weiß nicht, ob das so ganz richtig ist. Die Verkomplizierungen und Verbürokratisierungen entstehen doch auch aus dem Versuch, alles möglichst gut und richtig zu machen, sowie Korruption zu verunmöglichen, zu der Mensch immer neigt, wenn es etwas zu verteilen gibt.
    Wir setzen Standards immer weiter hoch bis gar nichts mehr geht. Mit der „energetischen Sanierung“ und entsprechenden Vorschriften für Neubauten wird es im Wohnungssektor nun noch unmöglicher „bezahlbare“ Mietwohnungen zu bauen.
    „Europaweit ausschreiben“ ist auch so ein Hammer, dessen Nutzen evtl. kleiner ist als der Schaden, der angerichtet wird. M.E. ist Meloni u.a. auch deshalb an die Macht gekommen, weil es im Raum stand, alle Strandgrundstücke bzw. die Gastronomielizenzen EU-weit ausschreiben zu müssen – anstatt das wie immer schon regional untereinander auszuhandeln. Wer den „Stiefel“ vor Augen hat, weiß welche Relevanz das Thema in Italien hat!
    Momentan kann ich nur hoffen, dass die Angst vor der AFD die Akteure motiviert, praktischer und bürgernäher zu agieren – ob sie das können, weiß ich nicht. Sind ja auch nicht alle gleich….

  7. Ausschreibungen … da durfte ich ein paar vorbereiten und ein paar Mal auch in der „Vergabegruppe“ mitmachen. Noch nicht mal Tariftreue durfte man verlangen von den Bewerbern. Und am Schluss gewann wer von vornherein. Denn die Regeln sind von Juristen so gemacht, dass andere Juristen sie verbiegen können … aber ich wollte was ganz anderes nachschieben:

    Ich habe mir heute nach dem Marktbesuch mit der Lieblingstochter „Die zwölf Geschworenen – Fernsehfilm-Klassiker von 1963“ noch einmal angesehen. Und gleich auch die Analyse von Wolfgang M. Schmitt nachgeschoben. Hat mich sehr nachdenklich gemacht. Der Diskurs und seine Grenzen. Der Respekt vor den Respektlosen …

    Und natürlich hast Du recht: weder sind alle Parteien gleich noch alle darin handelnden Personen. So respektiere ich schon wie der Regierungschef in Sachsen-Anhalt diese respektlose „Partei“ in Schach gehalten hat. Aber was die Finanzierung der Stiftungen der Parteien angeht sind sie alle über einen Kamm zu scheeren, davon bin ich überzeugt und glaube es belegen zu können.

  8. Hmmmm – definiere Krise?!

    In der leider aus finanziellen Gründen letzten Papierausgabe der OXI, die ich seit gestern in den Händen halte, steht dazu sinngemäß, dass Krisen im neoliberalen Sinne nur die sind, welche Wachstum und Profit beschränken.

    Die von Dir genannten Krisen sind also nur dann welche, wenn sie den kapitalistischen Raubzug behindern und ansonsten sind Mensch, Natur usw. völlig egal, wiewohl diese Tatsachen ja unstrittig ein Ergebnis eben dieses Wirtschaftssystems sind. Das dabei jetzt grünes Wachstum propagiert wird, liegt letztendlich auch nur daran, dass sich darüber inzwischen neue Märkte und damit Profit erschliessen lassen.

    Vielleicht bin ich da auch zu pessimistisch, aber dieses neuerliche Entstehen rechten Denkens und Tuns liegt ebenfalls inhärent in diesem System, nur wird es in den siich konservativ gebenden Parteien etwas untergebuttert und tritt nur dann zutage, wenn sich solche Typen wie Merz et al Wahlchancen versprechen oder ihre Felle schwimmen sehen. Auch dieses Anbiedern hat System, macht aber ähnlich wie das mediale Hofieren – sei es auch nur um der Klick willen – die Rechten und ihre Meinung salonfähiger.

    Das bei einem sozialen Abstieg die kurzen und populistischen Lösungen von rechts Anklang finden, ist auch nicht wirklich neu. Ein gewisser Unterschied zu „früher“ ist jetzt nur, dass es keinerlei linke Gegenposition gibt, die diesen Namen verdiente. Den ganzen Parteienquatsch halte ich sowieso nicht für zielführend und auch eine eventuelle Wagenknechtpartei wird das nicht ändern, sondern nur eine Handvoll Enttäuschter einsammeln, die nicht die rechte Schiene fahren.

    Das liegt vielleicht auch daran, dass es den klassischen Arbeiter nicht mehr gibt oder besser viele sich nicht als solchen sehen, obwohl sie ihr Geld immer noch als Lohnabhängige verdienen, auch wenn es eben nicht mehr dem Klischee der Industriearbeit entspricht. Stattdessen sitzt man dem Bild dieses „Mittelstands“ auf, der jetzt Schiss hat abzustürzen und deshalb sich „radikalisiert“, dabei aber mehrheitlich auch nur nach unten tritt.

    Auch wenn es hin und wieder Ansätze zu geben scheint, die in der Lage wären, diesesn Saftladen aus sich heraus zu überwinden, bevor sich dieser selbst zerlegt, gehe ich nicht davon aus, dass es für diesen Fall eine weitere friedliche Revolution aka 1989 eben wird. Die jetzigen Mächtigen geben nicht freiwillig ab, sondern dann wird es so oder so gewalttätig, sei es in einem Bürgerkriegsszenario wie zur Novemberrevolution oder dass es eben doch noch zu einem „großen“ Krieg kommt. Wenn sich über den Bullshit Nationalismus und Patriotismus Gewinne erzielen lassen, dann landen Waffen nicht nur in Drittländern, sondern dann wird es wieder mit einer bis dahin aufgerüsteten Armee gegen XYZ gehen aus fadenscheinigen Gründen. Dabei ist es m.E. irrelevant, welches Land dabei den Anfang macht. Derzeit ist das jedenfalls im weltweiten Maßstab Russland, aber andere Großmächte zündeln dabei ebenfalls kräftig genauso wie z.B. eine Türkei, die darüber ihre inneren „Krisen“ nach aussen kaschieren.