Worum gehts? Klimawandel, Energiewende, Inflation, wieder mehr Flüchtlinge, extremer Arbeitskräftemangel, drohender wirtschaftlicher Niedergang mit Wohlstandsverlusten, Wohnungsnot – und das alles nach dem Coronastress mit Lockdowns und Maßnahmen, mit Homebüro, Schulschließungen, gerissenen Lieferketten, Jobverlusten und Wegfall der Existenzgrundlage bei vielen Selbständigen und kleinen Unternehmen. Viel Veränderung war und ist in all diesen Krisen auszuhalten, jedoch hatten und haben bei weitem nicht alle gleich gute Möglichkeiten, die Folgen fürs eigene Leben locker auszubalancieren!
Vielfach gespalten, zerstritten bis in die Familien
Kein Wunder, dass wir jetzt eine vielfach gespaltene Gesellschaft sind, die sich aus immer mehr guten und schlechten Gründen weiter zerstreitet. Blöd nur, dass die aktuellen Probleme, die uns doch alle betreffen, mehrheitlich getragene Antworten erfordern – und die werden immer unwahrscheinlicher, je gespaltener und zerstrittener wir sind. Man hört einander oft gar nicht mehr zu, die „Meinungscluster“ sind fest geschlossen, gefährlich viele haben gar kein Interesse mehr an einer vernünftigen Diskussion.
Es erinnert an die biblische Geschichte vom Turmbau zu Babel: eine „Sprachverwirrung“ hatte die notwendige Verständigung der am Turm bauenden Menschen untereinander unmöglich macht, also scheiterte das Projekt. Heutzutage brauchen wir keinen Gott, der eine Sprachverwirrung als Strafe für die Hybris verhängt, ihm gleich sein zu wollen. Wir schaffen das ganz allein mittels der „Sprechverweigerung“, der vielstimmigen Entscheidung, gegeneinander zu kämpfen statt miteinander Lösungen zu suchen. Das aber muss sich ändern, wenn es noch eine Hoffnung auf Besserung geben soll – genau das!
Wir müssen uns nicht mögen, aber…
„Ach, du bist halt ein Hippie!“ sagt mein Liebster zu diesen Thesen. Damit fühle ich mich trotz gewisser Sympathien nicht ganz getroffen, denn schwärmerisches Beschwören von „Love, Peace und Happyness“ ist sicher nicht das, was uns derzeit voran bringt!
Was es braucht, ist die Rückbesinnung auf jene urmenschliche Fähigkeit, die uns – im Vergleich mit anderen Tieren – so erfolgreich gemacht hat: Kommunikation, die zur Kooperation genutzt wird, um gemeinsam Probleme zu lösen. Dafür müssen wir uns nicht mögen, aber soweit Respekt voreinander haben, um berechtigte Ängste und auch Wut über erlittene Ungerechtigkeiten nicht ignorant vom Tisch zu wischen. Und vor allem braucht es die Einsicht, dass verschiedene Entwicklungen ein Gefahrenpotenzial mitbringen, die entschlossenes Handeln erfordern – was mit der Methode „im Zweifel gegeneinander“ sicher nicht gelingt.
Typisch deutsche Frage: Wer ist zuständig?
Wer aber ist mit diesen Vorhaltungen eigentlich angesprochen? Wer ist in der Bringschuld und sollte Kooperieren statt sich weiter zu zerfleischen? So, wie unsere Gesellschaft politisch verfasst ist, mag man denken: Die Politik, die Parteien, die Regierung, die Verwaltung, der Staat – die sollen es richten, an sie haben wir das „Kümmern ums Gemeinwohl“ doch delegiert. Allerdings sind wir eine repräsentative Demokratie und das bedeutet: Politisch bildet sich in Parlament und Regierung Konsens und Dissens der Staatsbürger ab – so einig und so gespalten, wie es der Realität in der Gesellschaft entspricht. Das ist auch jetzt so, wie das Verhalten der Hauptakteure zeigt:
- Die dauerstreitende Ampel, die zwar einiges, aber bei weitem nicht genug voran bringt, die es einfach nicht schafft, ihre Dissense ohne Schlagabtausch intern zu lösen,
- Die CDU/CSU-Opposition, die mit Merz jetzt gegen alles ist, was von der Ampel kommt, die auf unsere Mega-Probleme scheißt, Hauptsache, man kann den Grünen („Hauptgegner“) eins reinwürgen.
- Die LINKE, kaum mehr vorhanden – da brauch ich wohl nicht mehr zu sagen!
- Und dann der Aufsteiger AFD, partiell gesichert rechtsradikal, anti-demokratisch, faschistisch – dazu aber auch Sammelbecken vieler, die aus Gründen eine „Wut auf…“ etwas oder jemanden haben, dem gegenüber sie sich machtlos und untergebuttert fühlen, die es jetzt „denen da oben mal zeigen“ wollen.
Sie alle werden es nicht richten, werden unsere Probleme nicht lösen (oder auch nur ertragbarer machen), wenn sie so weiter machen wie bisher! Im Gegenteil, die Dinge verschlimmern sich, wobei zu sämtlich aktuellen und zu erwartenden Krisenfolgen noch zunehmende Unsicherheit, Perspektivlosigkeit, Wut und Hass der vielen Unzufriedenen hinzu kommen.
Sich einmischen, Kooperation einfordern!
Womöglich wird „die Politik“ alleine es also nicht schaffen – aber wer dann? Da kommt eigentlich nur die meist weniger laute Mehrheit in Frage, die vielen Menschen, die sich konstruktive Lösungen wünschen und keinen Bock auf Pseudo-Debatten und das Feiern der Dissense haben. Wir müssen uns mehr einmischen, lösungsorientiertes Denken und Verhalten einfordern, aber auch selbst praktizieren, im eigenen Umfeld und überall da, wo es Möglichkeiten zur Einwirkung gibt!
Demokratie kann auf Dauer nur erfolgreich verteidigt werden, indem die jeweilige Bürgerschaft sich zusammen rauft und mehrheitlich getragene Lösungen findet! Gelingt das nicht oder immer weniger, werden jene Zuwachs bekommen, denen das egal ist, die auf Demokratie und Rechtsstaat pfeiffen und von einer Machtergreifung der „Volksopposition“ träumen – wie etwa Höcke:
„Die Sehnsucht der Deutschen nach einer geschichtlichen Figur, welche einst die Wunden im Volk wieder heilt, die Zerrissenheit überwindet und die Dinge in Ordnung bringt, ist tief in unserer Seele verankert, davon bin ich überzeugt.“ Und: „Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen, dann werden die Schutthalden der Moderne beseitigt“.
(Quelle B. Höcke: „Niemals zweimal in denselben Fluss“)
Politisch desaströs: demnächst Sachsen – und dann?
So würde in Sachsen gewählt, wenn am Sonntag Landtagswahl wäre:
Tatsächlich findet die nächste Sachsenwahl im Herbst 2024 statt. Zur Zeit regiert eine Koalition aus CDU, GRÜNEN und SPD. Wenn der Trend anhält wird es jedoch vier, vielleicht sogar fünf Parteien brauchen, um die AFD vom Regieren abzuhalten.
Wird irgendwo ernsthaft darüber gesprochen, was dann passieren soll? Und ist die Befürchtung, im Bund könne es mit etwas Verzögerung ebenso kommen, etwa allzu weit hergeholt?
Unter der Grafik zur Sachsenwahl finden sich auf Twitter hunderte Kommentare: Schlagabtausch, Hass und Hetze, Schuldzuweisungen, Zynismus, Auswanderungs-Empfehlungen und Ankündigungen – konstruktiv will hier niemand sein.
Dabei gibt es doch nur wenige Optionen, mit einem solchen Wahlausgang umzugehen – mal optimistisch davon ausgegangen, dass Merz’ Versprechen („Brandmauer steht“) tatsächlich bis nach der Wahl hält:
- Die vier bis fünf Parteien müssen sich einigen (kooperieren!) und eine Regierung bilden
- oder man lässt die AFD als stärkste Partei eine Minderheitsregierung bilden – und schmettert dann im Landtag alles ab, was der bisherigen Politik der 3-er-Koalition widerspricht.
Die erste Variante wird hohe Anforderungen an die Kooperationsbereitschaft stellen und verlangt eigentlich schon jetzt von den Beteiligten, die Gräben zwischen den Parteien auch im Bund (!) nicht zu tief werden zu lassen!
Die Variante „Minderheitsregierung der AFD“ hätte den Hauch des radikal Kreativen: Sollen sie doch mal sehen, wie es ist, wenn man vom „dagegen sein“ in konkretes Handeln wechseln muss! Das sind sie nicht nur nicht gewöhnt, das können und wollen sie auch nicht = und es würde überdeutlich sichtbar. Abwählen kann man sie ja jederzeit, wenn’s dann genug ist mit der Demonstration der Unfähigkeiten.
Es ist aber auch eine zugegeben unwahrscheinliche Variante, denn es müsste eine große Mehrheit so wollen, auch über das Land hinaus. Und einmal im Amt, könnten sie evtl. doch allerlei Schlimmes anrichten, bevor sie wieder weg von Fenster wären. (So genau kenne ich mich nicht damit aus, wieviel eine Minderheitsregierung ohne Mehrheit im Land ändern könnte.)
AFD verbieten? Auch dann wäre der Unmut nicht weg!
Es gibt noch eine DRITTE Möglichkeit: Die AFD nicht nur partiell, sondern insgesamt als „erwiesen rechtsradikal“ begutachten und dann verbieten. Ein NPD-Verbot wurde 2017 vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt „wegen fehlender Anhaltspunkte für eine erfolgreiche Durchsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele“. Die NPD erschien insgesamt zu schwach und kaum noch aktiv. Für die AFD kann das heute sicher nicht so gesehen werden, wenn es einer Allparteienkoalition bedarf, um ohne sie zu regieren.
Immerhin gibt es aktuell ein wenig Bewegung, z.B. hat der Volksverpetzer eine Petition an den Bundesrat gestartet „Prüft ein AFD-Verbot!“ und manche setzen ihre Hoffnung auf eine Wagenknecht-Partei, die die AFD entscheidendes Stimmen kosten könnte.
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Jetzt bin ich wieder mal allzu tief in die Niederungen der Realpolitik eingestiegen – eigentlich hatte ich das gar nicht vor! Egal was in Sachen AFD passiert, wären die potenziellen Wähler/innen ja nicht plötzlich anderer Meinung, weniger in Fundamentalopposition, weniger wütend und unzufrieden. Und auch abseits der AFD gibt es jede Menge Menschen, die mit den bestehenden Verhältnissen hadern, Existenzängste schieben, für sich keine Perspektiven sehen und die Zukunft vor allem als ein Bündel voller Drohungen fürchten.
Wie wir die Krisen durchstehen könnten….
Der Parteienstaat wird alledem nicht abhelfen, bzw. immer nur ein Stück weit da, wo am meisten Druck gespürt wird. Alternativen haben wir nicht, es hat sich auch noch keine als besser erwiesen, ganz im Gegenteil!
Es kommt – da führt kein Weg dran vorbei – auf die „Zivilgesellschaft“ an:
- Wir alle müssen wieder mehr dazu bereit sein, Konflikte und widerstreitende Interessen friedlich zu verhandeln und Kompromisse zu finden.
- Anstatt im Negativen zu kreisen, nur zu schimpfen, zu kritisieren, zu entlarven und zu verdammen sollten wir unsere Energie wieder mehr darauf richten, positive Entwicklungen wahrzunehmen, anzustoßen, zu unterstützen und zu verbreiten.
- Was unterscheidet mich? Wo bin ich besonders? Wie kann ich für mich das Beste herausholen? Sich immer nur das zu fragen und entsprechend zu handeln, reicht nicht aus, um ein lebenswertes „Gemeinwesen“ aufrecht zu erhalten. Sogar die oberen 10 Prozent unserer Mitbürger/innen haben doch mehrheitlich keine Lust, irgendwann nurmehr in gut bewachten gated Communities ihres Lebens sicher zu sein!
- Wo können wir helfen? Was fehlt, das ich geben kann? Was kann ich Schädliches unterlassen, ohne dass mir gleich ein Zacken aus der Krone bricht? Ja, es gibt so viel sinnvollere Fragen als die unter Punkt 3!
- Mehr reales Leben wagen statt ständig im schier überwältigenden Strom negativer Nachrichten zu baden! Das ist nämlich nicht nur deprimierend, sondern auf Dauer auch gesundheitsschädlich!
Zusammenarbeit, Kooperation, Kommunikation – wir Menschen können das eigentlich gut. Erinnert Ihr noch die erste Coronaphase? 90 bis 95 % Zustimmung zu Lockdown und Maske, große Solidarität untereinander, nachbarschaftliche Hilfe, auch viel frei gesetzte Kreativität. Oder die umfangreiche, schnelle und sogar nachhaltige Hilfe vieler Freiwilliger nach der Ahrtal-Katastrophe: Wenns wirklich brennt, schaffen wir vieles, was vorher unmöglich schien!
Das macht doch immerhin ein wenig Hoffnung, oder?
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Für heute mach’ ich Schluss mit Schreiben und widme mich dem realen Leben: 800 Meter neben meiner Wohnung soll eine Autobahn mitten durch die Stadt geführt werden – das darf so nicht kommen, es ist eine uralte, nicht mehr Zeit-gemäße Planung, Deshalb geht’s nachher zur Kungebung „A100 wegbassen“ – und Euch wünsch’ ich ein schönes Wochenende!
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Siehe auch:
Immer mehr Menschen vermeiden Nachrichten bewusst. Grund dafür ist der Stress durch Krieg und Krisen. Könnte der Konstruktive Journalismus die Lösung sein?
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8 Kommentare zu „Wie wir die Krisen durchstehen (könnten…)“.