Und wieder ein Tag, an dem mir alles geboten wird, was ein Netzmensch so zum Leben braucht, natürlich völlig KOSTENLOS: Webspace bis zum Abwinken, Foren, Gästebücher und Chats sowieso, Umfragetools, Mailinglisten und Reports über mein Ranking bei den Suchmaschinen, Datenbanken, in denen ich meine Leistungen anbieten kann und Mail-Adressen für die nächsten 1000 Jahre. Die Banken wollen mir immer neue Brokerage-Konten eröffnen, kostenlos, wenn ich mich nur rechtzeitig entscheide. Andere Anbieter machen sich daran, meinen PC auszuweiden: Weg mit den Daten von der eigenen Festplatte, ‚rein ins Netz und auf den kostenlosen Backup-Server. Will ich mit einem Team arbeiten, kann ich dafür schöne Arbeitsumgebungen im Web nutzen, kostenlos, versteht sich. Und bald schon soll ich keine Programme mehr installieren, sondern sie im Web „aufsuchen“ – vermutlich erstmal kostenlos, was denn sonst?
Ist das nicht paradiesisch? Eine Welt, in der fast alles umsonst ist, mitten im digitalen Kapitalismus, wer hätte das zu hoffen gewagt? Das Loblied auf die Ökonomie des Kostenlosen tönt aus allen Kanälen, kleine und große Unternehmen überlegen, was sie noch alles kostenlos unters Volk werfen könnten, um Surfer anzulocken, die vielleicht, vielleicht aber auch nicht, eines fernen Tages zu dankbaren Kunden werden. (Sofern sie das Angebotene nicht beim Konkurrenten umsonst bekommen….)
Wißt Ihr was? Mir reichts! Ich will mal wieder etwas BEZAHLEN, so richtig altertümlich. Ich wünsche mir verläßliche Dienstleister, die für ihre Fehler gerade stehen, an die ich ANSPRÜCHE stellen kann und die ihrerseits HAFTEN. Richtige Menschen und Unternehmen, die an mir echtes Geld verdienen und die deshalb nicht morgen schon pleite, übernommen oder auf einem anderen Feld tätig sind, weil sich das aktuelle „Geschäftsmodell“ nicht bewährt hat. Einem geschenkten Gaul darf man nicht ins Maul sehen und wer sich von Kostenlos-Angeboten abhängig macht, gerät leicht in einen gefährlichen Blindflug. Schon morgen mag der Mail-Server nicht mehr erreichbar sein, was dann? Fremd-gehostete Teile der eigenen Website verschwinden von jetzt auf gleich im Nirwana – ich wundere mich geradezu, dass das Diary-Forum noch immer läuft. Ist es doch ein Kostenlos-Angebot, dessen Herausgeber es mir abgeschlagen hat, dafür zu bezahlen: zuviel Verwaltungsaufwand! Lieber wollen sie an der Bannerwerbung verdienen – aber seit Wochen seh‘ ich da kein einziges Banner mehr, komisch, nicht?
Wer die dramatische Abwärtsbewegung des Neuen Markts verfolgt, weiß, was die Stunde geschlagen hat. Das VC-Kapital ist vielerorts verbraucht, neues fliesst nicht nach, weil den Anlegern so langsam dämmert, daß keine Gewinne gemacht werden, wenn alles „kostenlos“ bleibt. Da mögen sich die Surfer zu Millionen einfinden, mit ein paar Werbebannern werden die Renditen nicht erwirtschaftet, die der Aktien-Freund schätzt. Die „Geschäftsmodelle“ sind ja auch – nüchtern betrachtet – reine Träumerei. Die eine Methode ist das „Wir bieten Kostenloses und verdienen an der Werbung“. Wenn man dazu liest, dass deutsche Unternehmen im Juni sage und schreibe 16,23 Millionen für Online-Werbung ausgegeben haben, kann jeder leicht ausrechnen, daß das nicht reicht, um eine ganze Branche am Leben zu erhalten. Die andere Variante ist das Modell „Fische anfüttern“: Wir bieten ERSTMAL kostenlos an, später werden die Leute bezahlen, wenn sie sich an unsere Leistungen gewöhnt haben. In einem so rasant wachsenden Bereich wie der Internet-Wirtschaft drängen allerdings ständig neue Anbieter mit Kostenlosem auf den Markt und nur der mit dem ganz langen finanziellen Atem wird am Ende abkassieren können (wer das ist, da müssen wir nicht lang raten…).
Anhand der Frage nach dem „Content“, der die Surfer locken soll und der doch irgendwie finanziert werden muß, zeigt sich zunehmend, dass das Kostenlos-Modell nicht funktioniert. Eigentlich kein Wunder, wenn man mal daran denkt, daß auch Fußballspiele nicht schon dadurch finanziert sind, dass man ums Spielfeld herum ein paar Banner aufstellen kann. Wer nichts zu verkaufen hat, wofür jemand gerne zahlt, hat auf dem Markt eigentlich nicht verloren.
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