Wow, den Eintrag von gestern sollte ich mir ausdrucken und an die Wand hängen: Mit ein paar Sonnenstrahlen glücklich sein – so geht’s! Heute ist wieder ein ganz anderer Tag, der Himmel ist durchgängig grau und verhangen, der Herbstwind setzt alles in Bewegung, die Luft ist frisch und kühl, optimales Arbeitswetter. Ich fühle mich leicht, irgendwie kompakt und könnte virtuelle Bäume ausreissen, ein Zustand voller Energie, die nicht nach DRAUSSEN drängt. Angenehm, und etwas völlig anderes als das gestrige Verschmelzen-wollen mit der Natur!
Wenn man nicht so viel unter Leuten ist, ergibt sich recht leicht eine Selbstbeobachtung ohne Wertung. Feststellen, dass ich gestern eine Andere war als jetzt, ist nichts mehr Besonderes, sozusagen Alltag. Am einen Tag fühle ich mich völlig frei, z.B. von allen Süchten und Genuss-Versuchungen – am nächsten Tag oder noch in derselben Nacht trete ich dann doch dem Kühlschrank zu nah…. Auch das Rauchen hab‘ ich wieder angefangen, wie schon öfter. Und nicht nur die materiellen Präferenzen ändern sich wie das Wetter, ich denke auch nicht dauernd dasselbe, nicht einmal über die wirklich wichtigen Dingen. (Am Jahresende, das hab‘ ich mir vorgenommen, werde ich mal dieses Diary von Anfang bis Ende am Stück lesen).
Was ist also das „Ich“, wenn doch gar nichts Statisches festzustellen ist? Zum einen wohl einfach Gedächtnis, zum andern die Ego-Funktion: Das eingebaute Konkurrieren, das besser-sein und beachtet werden wollen, das Horten von Möglichkeiten und Besitzständen. Dieses Kampf-Ego ist nun aber derart allgemein, dass ich dazu kaum noch „ich“ sagen kann. Wenn es in Aktion tritt, bemerke ich es mittlerweile, es ist manchmal wirklich zum Lachen, woran es sich aufspult. Es zu bemerken, heisst zwar nicht, es zu verlieren, doch immerhin entsteht da eine Lücke, ein Abstand, der manchmal die Freiheit der Wahl eröffnet. Für wen? Wer wählt das andere?
Gestern hab‘ ich mir die sieben jungen Hunde angesehen, die der Schäferhund einer Nachbarin geworfen hat. Sie sind ein paar Wochen alt und erreichen gerade das entzückende, wollige, ach so süße Stadium! Eins davon hatte ich auf dem Schoß und bin fast weggeschmolzen vor spontaner Zuneigung. Wie die Automaten reagieren wir auf das Kindchen-Schema und lieben alle kleinen Tiere und Menschen, die doch schon bald dieser Süße entwachsen und zu kleinen und größeren Monstern werden. Genauso hab ich das kleine Huhn geliebt, dem ich aus dem Ei geholfen hatte. Die Vorstellung, immer ganz nah an den Tieren dran zu sein, sie also als kleine Wesen zu lieben, dann aufwachsen zu sehen und schließlich zu schlachten – nicht, weil sie krank sind, sondern weil man sie essen will – das empfinde ich als typisch menschliches Dilemma. Der Raubtieranteil ist in uns, als Allesfresser sind wir nicht NUR Vegetarier. Doch wir erinnern uns an die Liebe und ziehen es vor, das Schlachten anderen zu überlassen, kaufen das Fleisch dann in fertigen Scheiben, die nicht im Traum den Gedanken aufkommen lassen, dass so ein kleines Kalb auch was Liebes ist.
Nicht anders mit den Menschen: Liebe deinen Nächsten, aber konkurriere und gewinne! Wie soll das gehen?
Ein paar Freunde und Kollegen haben ein Recht auf meinen nächsten Arbeitsanfall, deshalb werd‘ ich mich für heute von unlösbaren Fragen ab-, und machbaren Dingen zuwenden. Und heut abend brate ich eine Lachsforelle, Fische sind ja weder als Babys noch als Erwachsene besonders berückend!
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