Wenn man in den Medien Berichte über Internet-Start-Ups liest, wird regelmäßig das Engagement der Mitarbeiter gerühmt – oder kopfschüttelnd zur Kenntnis genommen, je nach Absicht des Schreibers. Da arbeiten sie bis zu 15 Stunden täglich, verlassen das Techno-beschallte Großraumbüro allenfalls zum schlafen, der Chef spendiert gelegentlich Pizza und es gibt gemeinsame Grillabende. Ein bißchen ist es wie in einem Jugend-Camp: Ausnahmezustand, Gruppendynamik, alle befinden sich in einem gemeinsamen High, das die Ringe unter den Augen vergessen läßt. Mit 20 oder 25 wäre ich da auch begeistert dabei gewesen, ist das doch ein deutlich abenteuerlicherer Einstieg in die Arbeitswelt als das, was mir in diesem Alter offen stand.
In einem solchen Artikel kam ich neulich an eine Stelle, wo es hieß: Der Chef stellt nur Leute ein, die das gewisse Flackern in den Augen haben, Zeugnisse und Ausbildungen sind lange nicht so wichtig. Tja, dieses gewisse Flackern ist eine wichtige Ressource, über die vor allem junge Menschen verfügen, die noch dringend etwas suchen: Erfolg, Anerkennung, einen Platz in der Gesellschaft, am liebsten natürlich auf einem Siegertreppchen. Erst im Lauf der Zeit tauchen andere Fragen auf: Was ist denn eigentlich MEIN Weg? Was macht MIR besonders Freude? Zuerst ist diese Frage versteckt in der Vorstellung, nun ein paar Jahre „ranzuklotzen, um richtig reich zu werden“, um dann… ja, WAS DENN? Es wäre absurd, anzunehmen, das blosse satte am-Strand-Liegen oder ständiges Herumreisen könnte auf Dauer erfüllend sein, doch genau diese Vorstellung reicht vielen lange aus.
Da ich in einer Zeit jung gewesen bin, in der das Geld-verdienen als Ziel nicht besonders angesagt war (Ausbeutung!), entwickelte ich andere Vorstellungen von Erfolg und Befriedigung. Während der Hausbesetzungen in Berlin zu Beginn der 80ger lebte ich in einem beständigen High: Freiheit und Abenteuer, Kampf den Bullen und Besitzern – das war sozusagen mein StartUp, und alles, was danach kam, lebte von ähnlicher Begeisterung. Das jeweilige Projekt-Ziel erschien mir als heiliger Gral, dem ich unter beliebig hohem Einsatz zustrebte, ohne viel darüber nachzudenken.
Das ging so eine Zeit, bis mir auffiel, dass die Arbeit, die Anstrengung, das Ranklotzen und Kämpfen jeweils eine lange Zeit dauerte, wogegen der Erfolg nur ganz kurz spürbar war. WOW, wir haben den Auftrag vom Stadtrat bekommen! 600.000 Mark und die Lizenz, zu tun, was wir für richtig finden! (Natürlich zahlten wir uns Hungerlöhne und verbrauchten das Geld für „die Sache“) Ein paar Sekunden echte Freude, ein kleines Erfolgsfest – und dann die ganz normale Arbeit. Wieder Wochen und Monate, halbe Jahre bis zum nächsten „Erfolg“, Feierabend unbekannt. Ich merkte, dass ich SO nicht weitermachen wollte und konnte (dazu ausführlich: Bedürfnisse und Pyramiden, vom 13.12.99).
Freude ist kein Gedanke
Heute liegen alle Motivationen und Erfolgsbedürfnisse vor mir wie ein offenes Buch – und sie FUNKTIONIEREN nicht mehr! Nach der letztlich frustrierenden Erfahrung mit vielen Arten von Engagement hab‘ ich festgestellt, dass Freude und Genuss, Erfüllung und Befriedigung immer KÖRPERLICH spürbar sein muss – oder sie sind blosse Einbildung, Gedanken, größenwahnsinnige Vorstellungen, mehr nicht. (Freude spürt man in der Brust, Angst eher im Bauch.) Daneben gibt es noch die sinnlichen Genüsse, die regelmäßig und ohne Ausnahme in Leiden umschlagen, wenn man sich nach dem Motto „MEHR davon!“ an ihnen krank (dick, besoffen…) konsumiert.
Zur Welt der reinen Einbildung gehört aller Medienerfolg, das Prominent-Sein, das Herumklotzen und Angeben mit Statussymbolen materieller oder geistiger Art: Man wird nicht etwa frei, sondern gefesselt durch die Erwartungen anderer. Und man wird auch nicht geliebt, sondern erregt Neid und Eifersucht.
Zurück aus dem Ruhrgebiet, verbrachte ich gestern den Tag in reiner Freude. Nach wenigen Stunden gab ich das Arbeiten auf, der Tag war einfach zu wunderschön: Den Wind spüren, die Sonnenstrahlen, das Rauschen in den Bäumen. Durch den Wald laufen, in Gummistiefeln über eine Feuchtwiese stapfen, die frische Luft atmen, die Hühner füttern und mit dem Hund spielen – mir scheint, diese Dinge werden mehr und mehr „das Eigentliche“. Und sie sind ganz einfach zu haben! Fast beleidigend einfach, wenn ich daran denke, dass mir jahrzehntelang ANSTRENGUNG als der Schlüssel zum Glück erschien.
Hätte man mir mit 30 gesagt, dass ich mal mit solchen Dingen zufrieden sein werde, hätte ich es nicht geglaubt. Damals war ich verspannt und verpanzert, spürte den Körper fast gar nicht, ausser eben durch Essen, Trinken und Sex, Genüsse, die deshalb einen übertrieben hohen Stellenwert einnahmen. Wenn ich mich nach vorne beugte, konnte ich den Boden mit den Händen nicht berühren und schon nach einer halben Stunde zügigen Spazierengehens war ich fertig mit der Welt. Als eine Last bewegte ich mich allenfalls von Stuhl zu Stuhl, wenn’s denn sein mußte – wie soll da der Körper Glück oder Ekstase empfinden?
Und so bin ich meinem Yoga-Lehrer unendlich dankbar, der aus mir eine andere gemacht hat. Der es geschafft hat, meine Motivation für die Übungen über ein paar Jahre aufrecht zu erhalten, ausreichend lang, um die Verpanzerungen zu lösen und den Körper empfindsam zu machen. Ohne ihn würde ich noch immer glauben, der nächste Projekterfolg, der nächste Auftrag, der nächste Hype wär‘ es jetzt….
„Aber warum schreibst du Diary?“, würde mein Lebensgefährte fragen. Ich brauche diese Form der Mitteilung, um meine Motivation für die anderen Arbeiten aufrecht zu erhalten. Sie sind ja ganz nett, die gerade anlaufenden Projekte, aber sie verschaffen mir kein „gewisses Flackern“ in den Augen. Ganz normale Arbeit, die dem Gelderwerb und der dafür nötigen Reputation dient, wogegen das Diary reiner Selbstausdruck ist – und sogar noch mit der Möglichkeit der Kommunikation. DAS freut mich am Internet und ohne Freude könnte ich nicht kreativ arbeiten.
Zum Yoga siehe auch: Entspannung
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